Neue Wohnungsnot im Kontext der neoliberalen Globalisierung

von Werner Heinz

In vielen Städten und Gemeinden wie auch in den Medien ist zunehmend von Wohnungsengpässen und „Wohnungsnot“ die Rede. Diese Wohnungsnot ist keine allgemeine, wie in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg, sondern eine besondere, auf bestimmte Teilräume, Teilmärkte und Bevölkerungsgruppen beschränkte. Der ökonomischen und sozialen Polarisierung entsprechend, die mit dem neoliberalen Globalisierungsprozess einhergeht, kommt es auch auf dem Wohnungsmarkt zu einer deutlichen Spaltung: klein- wie auch großräumig. Regionen mit Rückgängen bei Wirtschaft und Bevölkerung weisen erhöhte Leerstandsquoten auf, in Großstädten und Wachstumsregionen wie München, Rhein-Main, Köln-Düsseldorf oder Hamburg wie auch in wirtschaftsstarken und attraktiven Mittel- und Universitätsstädten nimmt die Zahl gut ausgestatteter teurer Wohnungen kontinuierlich zu, während gleichzeitig das Marktsegment „bezahlbarer Wohnraum“ drastisch schrumpft.

Betroffen von dieser Entwicklung sind nicht allein die stets genannten unteren Einkommensschichten, sondern zunehmend auch Angehörige der Mittelschicht. Die Mietbelastungsquote der Haushalte steigt anhaltend. Nach einer aktuellen Studie der Böckler-Stiftung mussten im Herbst 2017 5,6 Millionen Haushalte mehr als 30 Prozent ihres Nettoeinkommens für Miete und Nebenkosten aufwenden. Jeder 10. Großstadthaushalt gibt mehr als die Hälfte des verfügbaren Einkommens für Miete aus (FR, 13.9.2017). Gleichfalls der Böckler-Stiftung zufolge fehlen in den deutschen Städten gegenwärtig mehr als 2 Mio. bezahlbare Wohnungen.

In der kommunalen Realität ist das Thema „Wohnungsnot“ keineswegs neu. Eine latente, in größeren Zeitabständen immer wieder sichtbar werdende defizitäre Versorgung mit Wohnraum für untere – inzwischen zunehmend auch mittlere Einkommensschichten – ist vielmehr ein Charakteristikum der deutschen Wohnungswirtschaft. Zwischen dem Angebot an bezahlbaren Wohnungen und der Zahl der NachfragerInnen klafft eine dauerhafte Lücke. Strukturelle Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt und Lohndumping, interregionale und internationale Wanderungen sowie Veränderungen beim Haushaltsbildungsverhalten oder Rentenarmut gehen mit immer wiederkehrenden Versorgungskrisen einher.

Warum ist das so? Weil die Wohnungspolitik der öffentlichen Hand durch eine deutliche Ambivalenz gekennzeichnet ist: zwischen einer sozialpolitischen und einer wirtschaftspolitischen Ausrichtung. Die sozialpolitische Funktion besteht darin, eine ausreichende Versorgung mit Wohnraum für breite Schichten der Bevölkerung zu gewährleisten: und dies zu akzeptablen Preisen. Auf der wirtschaftspolitischen Seite, die in der Regel Priorität genießt, stehen die Verwertungsinteressen von Haus- und Grundstückseigentümern und Immobilieninvestoren. Die beste Garantie für eine rentierliche Verzinsung ihres im Wohnungsbau angelegten Kapitals sind Wohnungsmangel (infolge einer das Angebot deutlich übersteigenden Nachfrage) und steigende Mieten.

Ein weiteres Merkmal der deutschen Wohnungspolitik – zunächst in den alten Bundesländern – ist, dass Wohnungsbau und Wohnungsversorgung von Anfang an als eine auf Dauer privatwirtschaftliche Aufgabe verstanden wurden. Wohnungspolitische Interventionen des Staates sollten zeitlich befristete und auf den jeweils für notwendig erachteten Umfang begrenzte Maßnahmen bleiben. Dieser Grundsatz gilt auch für das angesichts des gravierenden Wohnungsmangels der Nachkriegsjahre verabschiedete 1. Wohnungsbaugesetz von 1950 und die mit diesem beschlossene umfangreiche staatliche Förderung des Wohnungsbaus. Eine besondere Rolle spielte dabei der öffentlich geförderte „Soziale Wohnungsbau“. Adressaten dieser Förderung waren vor allem gemeinnützige, vielfach kommunale – privatrechtlich organisierte – Wohnungsbaugesellschaften und freie Wohnungsunternehmen sowie private Bauherren. Mit zinslosen oder niedrigverzinslichen Baudarlehen, die später von degressiv gestaffelten Aufwendungszuschüssen für Kapitalmarktmittel abgelöst wurden, sollten diese zum Bau von bezahlbarem Wohnraum stimuliert werden. Eine dauerhafte Bereitstellung von Wohnungsbeständen in öffentlicher (staatlicher oder kommunaler) Hand, und das ist der Kern dieser Förderform, war ungeachtet des streckenweise überaus hohen öffentlichen Subventionsaufwands, der nahezu die Höhe der gesamten Neubaukosten erreichen kann, nicht vorgesehen. Nach Rückzahlung der Darlehen und dem Ablaufen der Bindungsfrist, die inzwischen oft nur noch bei 20 bis 25 Jahren liegt, erlangt der – in der Regel private – Bauherr die vollen Eigentums- und Verfügungsrechte über die erstellten Wohnungen. Für die Stadtsoziologen Häußermann und Siebel kommt der soziale Wohnungsbau daher einer „staatlich bezuschussten Vermögensbildung Privater“ gleich. Nach einem Berliner Kollegen ist er nichts anderes als eine „soziale Zwischennutzung“.

Ab dem Ende der 1960er Jahre ging die Zahl staatlich geförderter Sozialbau-Wohnungen kontinuierlich zurück. Dieser Rückgang war kein Zufall, sondern Folge veränderter staatlicher Förderprioritäten, die mit einer Reihe marktorientierter, den Verwertungsinteressen von privaten Hauseigentümern, Kapitalanlegern und Kreditwirtschaft entsprechender Maßnahmen einhergingen: von einer stärkeren Einbeziehung von Kapitalmarktmitteln bis zu steuerlichen Vergünstigungen, um die Modernisierung und den Erwerb von Wohnungsbeständen für privates Kapital attraktiver zu machen. Die damit ausgelöste Vernichtung relativ preiswerter Altbau-Mietwohnungen hat schon – so Helmut Brede Anfang der 1980er Jahre – in den 1970er Jahren „gigantische Ausmaße“ angenommen und ca. eine Million Wohnungen den darauf angewiesenen Nachfragern entzogen.

Die Transformation der sozialstaatlichen Wohnungsversorgung wird auch darin deutlich, dass Engpässe auf dem Teilmarkt bezahlbarer Wohnungen nun zunehmend von einem gesellschaftlichen auf ein individuelles Problem („individuelle Härten“) reduziert wurden. Ein Problem, dem mit einer subjektbezogenen Förderung, d.h. der Gewährung öffentlicher Mietzuschüsse in Gestalt von Wohngeld begegnet wurde. Diese Mittel zur Anhebung der individuellen Zahlungsfähigkeit wurden und werden zum Großteil durch Mietsteigerungen von Seiten der Objektbesitzer, d.h. der Haus- und Grundeigentümer, vereinnahmt. Neue und bezahlbare Wohnungen wurden damit nicht geschaffen. Mit der rot-grünen Bundesregierung (ab 1998) wurde diese Politik weiter intensiviert. Der soziale Wohnungsbau wurde weitgehend beendet.

Die rückläufige Förderpolitik von Bund und Ländern sowie eine steigende Zahl auslaufender Bindungen führten dazu, dass der Sozialwohnungsbestand, der sich in den alten Bundesländern in den 1980er Jahren noch auf etwa 4 Mio. Wohnungen belief bis 2011 auf 1.5 Mio. zurückging.

Auch kommunale Wohnungsbaugesellschaften, die nach ihren Satzungen zur Bereitstellung von Wohnraum für untere Einkommensschichten verpflichtet sind und die sich oft nahezu vollständig im Besitz von Städten befinden, verstehen sich nach Abschaffung der Wohnungsgemeinnützigkeit und dem Auslaufen von Bindungen zunehmend als renditeorientierte Immobilienunternehmen. Als Unternehmen, die ihre Aufgabe immer weniger in der Bereitstellung bezahlbaren Wohnraums sehen als in der Unterstützung von kommunaler Wirtschafts- und Standortförderung.

Ebenso wie Bund und Länder haben auch viele Kommunen mit ihrer Politik in starkem Maße zum Rückgang bezahlbaren Wohnraums beigetragen. Im Kontext der Liberalisierungspolitiken der EU und mit dem Hinweis auf prekäre kommunale Haushalte setzte Ende der 1990er Jahre eine anhaltende Veräußerung größerer städtischer Wohnungsbestände ein. Bundesweite Aufmerksamkeit hat die kommunale Wohnungsprivatisierung mit der 2006 erfolgten Entscheidung des Rates der Stadt Dresden erregt, die (einzige) städtische Wohnungsgesellschaft mit einem Bestand von rund 48.000 Wohnungen für 1,7 Milliarden Euro zu verkaufen. Ebenso wie in anderen Bereichen der kommunalen Daseinsvorsorge treten auch bei der Wohnungsprivatisierung zunehmend internationale Finanzinvestoren in Erscheinung, die in den von ihnen übernommenen Wohnungsbeständen in der Regel nichts anderes sehen als ein Mittel der Kapitalanlage und -verwertung. Zwischen 2000 und 2006 haben ausländische Fonds etwa 600.000 Mietwohnungen erworben.

Im zunehmend globaler werdenden Wettbewerb der Städte um relevante Wirtschaftsakteure, zahlungskräftige Besucher und einkommensstarke Bewohner werden immer weitere kommunale Handlungsfelder im Sinne der Standortprofilierung eingesetzt. Dazu zählt auch die kommunale Wohnungspolitik, die verstärkt als Instrument der Wirtschaftsförderung verstanden wird. Innenstädte und innenstadtnahe Quartiere werden durch kommunalen Mitteleinsatz aufgewertet und sollen so zum Wohnort und Anziehungspunkt für die Angehörigen mittlerer und höherer Einkommensgruppen werden. Dieser Trend zur „Nobilisierung“ der Stadt zeichnet sich in immer mehr Quartieren einer steigenden Zahl von Groß- und Mittelstädten ab: von den Kölner Stadtteilen Ehrenfeld und Nippes bis zum Prenzlauer Berg und den teuren Town Houses in Berlin-Mitte; vom Hamburger Schanzenviertel und den Stadtteilen Ottensen und St. Georg bis zu den exklusiven „Lenbach Gärten“ in München oder dem früheren Arbeiterstadtteil Untergiesing.

Die öffentliche Hand hat also bei der Reduzierung des Bestandes an bezahlbarem Wohnraum eine maßgebliche Rolle gespielt. Und der private Sektor stand ihr dabei in nichts nach.

Im Wohnungsbestand schreitet die bereits in den 1970er Jahren einsetzende „Vernichtung preiswerter gründerzeitlicher Altbauwohnungen“ weiter fort. Diese werden mit Unterstützung staatlicher Mittel aufwendig modernisiert, um sie dann teuer zu vermieten oder in gleichfalls teure Eigentumswohnungen umzuwandeln. In den Zentren und „veredelten“ citynahen Wohnquartieren wirtschaftlich starker und attraktiver Städte steht heute stärker denn je die maximale Verwertung von Grund und Boden im Vordergrund. Priorität haben nach wie vor Büro- und Gewerbebauten, Priorität haben in zunehmendem Maße aber auch Investitionen in die Aufwertung von Altbaubeständen und in das obere Neubausegment eines zunehmend gespaltenen Wohnungsmarktes.

Da der Bau preisgünstiger Wohnungen eine zu geringe Rendite abwirft, konzentrieren sich gleichzeitig die Neubauaktivitäten privater Bauherren auf die Erstellung teurer Wohneinheiten, zum Teil in Gestalt von Hochhäusern mit hoher Nutzungsintensität. Hier nimmt Frankfurt in Deutschland eine Vorreiterrolle ein. Vorbild ist London mit nahezu 250 geplanten bzw. bereits realisierten und auf internationale Kapitalanleger zielenden Wohnhochhäusern. Der Zweck neuer Wohnhochhäuser besteht nach einem kritischen Beobachter der Londoner Entwicklung darin, Investitionsmöglichkeiten zu schaffen und nicht Wohnungen. Das Ergebnis ist ein Überangebot an Luxuswohnungen und ein wachsender Mangel an bezahlbarem Wohnraum.

Die Grundlage dieser Entwicklung ist stets die gleiche: es bedarf einer entsprechenden Nachfrage. Diese ist gegenwärtig – vor allem in den Ballungsräumen, aber auch in wirtschaftlich attraktiven Mittel- und kleineren Großstädten – immens und gilt für Grundstücks- wie Wohnungsmarkt gleichermaßen. In den Metropolen spielen vielfach auf Immobilien spezialisierte Fonds oder Immobilien AGn eine wachsende Rolle. Dahinter steht das Kapital vorwiegend institutioneller Anleger wie Versicherungen, Pensionsfonds, Stiftungen etc., deren Interesse an profitablen Immobilienbeständen in wirtschaftsstarken Städten angesichts der vergleichsweise geringen Rentabilität der meisten anderen Kapitalanlagemöglichkeiten weltweit deutlich gestiegen ist.

In der gegenwärtigen Entwicklungsphase der kapitalistischen Wirtschaft können Eigentumstitel von Wohnungen auch zu einer Form „fiktiven“ Kapitals werden, die sich im Prinzip nicht mehr von Aktien, Wertpapieren und Unternehmensbeteiligungen unterscheidet. Und ebenso wie bei diesen Anlageformen stehen auch bei der aktuellen Wohnimmobilien-Verwertung Ertragsmaximierung und Spekulation im Vordergrund. Negativbeispiele aus jüngerer Zeit sind die spekulationsbedingten Kredit- und Preisexplosionen in Staaten wie Spanien, Japan und den U.S.A., die mit der Verwandlung von Wohnimmobilien in handelbare Finanzprodukte und damit ihrer Finanzialisierung sowie der nachfrageanheizenden Kreditvergabe privater Finanzinstitute einhergingen. Die Ergebnisse sind bekannt. Der Zusammenbruch der us-amerikanischen Bank Lehman Brothers hat sich gerade zum zehnten Mal gejährt.

Eine wesentliche Rolle beim Kauf von Wohnimmobilien spielen in jüngerer Zeit auch zahlungskräftige ausländische Akteure aus dem asiatischen Raum, die ihr Kapital gleichfalls profitabel über Investitionen in den Immobiliensektor verwerten wollen. Die Stadt Frankfurt kommt diesem Interesse mit einschlägigen Werbeaktionen nach, in denen luxuriöse Neubauwohnungen unter anderem in Singapur und den arabischen Emiraten beworben werden. Wohnkaufverträge werden bei einigen Frankfurter Neubauprojekten neuerdings nicht mehr nur auf Deutsch und Englisch, sondern auch in Mandarin angeboten. Nach Lorenz Fink, dem Vorstandsvorsitzenden des Private Equity – Giganten Blackrock wird Gold als prioritäre Kapitalanlage für die Superreichen zunehmend durch Apartments in New York, Vancouver oder London verdrängt. 60 Prozent des globalen Anlagevermögens steckt derzeit im Immobiliensektor, drei Viertel davon in Wohnungen.

Wohnimmobilien in attraktiven städtischen Lagen erscheinen auch deutschen (Klein-) Anlegern angesichts von Finanzkrise und anhaltender wirtschaftlicher Unsicherheiten als sichere und lukrative Investition. Weiter angeheizt wird das kommunale Immobiliengeschehen durch die Aktivitäten des Finanzsektors: eine preistreibende Niedrigzinspolitik, die Auflage ständig neuer Finanzinnovationen sowie eine Kreditpolitik, die die Kauflust der Anleger befeuert und die Immobilienpreisspirale immer weiter nach oben treibt.

Die Nachfrageseite nach attraktiven Wohnungen wird aber nicht allein von Investoren und Anlegern bestimmt, sondern auch von einkommensstarken Nachfragern, die als Folge spezifischer oder auch veränderter Arbeits- und Lebensformen ein zunehmendes Interesse an (inner-)städtischem Wohnen zeigen.

Den zahlungskräftigen Nachfragern steht in einer steigenden Zahl von Städten ein ständig größer werdender Bedarf an bezahlbaren Wohnungen gegenüber. Die Gründe hierfür sind vielfältig. In den wirtschaftsstarken Ballungszentren, aber auch in attraktiven Mittelstädten nehmen die Bevölkerungszahlen als Folge hoher Zuwanderungsraten, aber auch von Geburtenüberschüssen zu. Gleichzeitig steigt – auch aufgrund veränderter Arbeitsmarktbedingungen – die Zahl der Ein-Personen-Haushalte und damit auch die Zahl der Wohnungsnachfrager. In Frankfurt beläuft sich die Zahl der Single-Haushalte derzeit auf etwa 54 Prozent.

Der steigende Bedarf an bezahlbarem Wohnraum ist vor allem aber Ergebnis der Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt. Anders als bei früheren Wohnungsengpässen gilt heute für eine zunehmende Zahl von Haushalten: steigenden Mieten stehen sinkende oder stagnierende Einkommen gegenüber. Mit der Deregulierung des Arbeitsmarktes und der Flexibilisierung von Arbeits- und Beschäftigungsverhältnissen nahmen neue, vielfach nur temporäre und schlecht bezahlte Beschäftigungsverhältnisse in Form von Leiharbeit, Minijobs, Zeitarbeit, Werkverträgen und ICH-AGn massiv zu. Dies gilt in besonderem Maße für den in Frankfurt dominanten Dienstleistungssektor, dessen Anteil sich bereits 2012 auf über 92 Prozent belief (Stuttgart: 85 Prozent, München 87 Prozent). Nach dem Wohnungsmarktbericht der Stadt Frankfurt von 2017 sind „die verfügbaren Einkommen je Einwohner – trotz hoher Wirtschaftskraft – in Frankfurt im Großstadtvergleich nach wie vor relativ gering“ und liegen unter den hessischen wie auch deutschen Durchschnittswerten. Hoch ist demgegenüber die städtische Armutsquote. In Frankfurt galt 2009 nahezu jeder fünfte Bürger als arm, jeder achte bezog 2010 bedarfsorientierte Sozialleistungen. Eine hohe Armutsquote gilt allerdings auch für andere deutsche Großstädte. Nach einer Untersuchung der Hans-Böckler-Stiftung lagen die Armutsquoten in 11 der 15 größten deutschen Städte 2011 deutlich über dem Bundesdurchschnitt. Und diese Armut ist, dies gilt es im Kontext der Wohnungsversorgung immer wieder zu betonen, kein vorübergehendes, sondern ein dauerhaftes Problem. Nach einer aktuellen Studie im Auftrag der Böckler-Stiftung zählen in Deutschland 4 Mill. Personen (das ist jeder achte Erwerbstätige) zum Prekariat. Diese Personen sind keine Dauerarbeitslosen, sie leben vielmehr in einer gesellschaftlichen Zwischenzone, in unsicheren Arbeitsverhältnissen (Leih-, Werksarbeit, Ich – AGn etc.) und ohne jegliche Planungssicherheit. Spiegelbild der sozialen und ökonomischen Spaltung ist eine zunehmende räumliche Segregation.

Die aktuelle Situation auf dem Wohnungsmarkt vieler Städte ist dadurch gekennzeichnet, dass das Angebot an bezahlbaren Wohnungen – sowohl im Sozialen Wohnungsbau als auch im privaten Altbau – kontinuierlich zurückgeht, während der Bedarf an diesen Wohnungen gleichzeitig signifikant steigt. Damit stellt sich die Frage: Was tun? Eine anhaltende kommunale Wachstumspolitik – mit Besuchen des Frankfurter Oberbürgermeisters in London, um Brexitflüchtlinge abzuwerben – ist hier sicher nicht der richtige, sondern ein, die angespannte Situation nur weiter verschärfender Schritt.

Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass die staatliche Wohnungspolitik durch eine Ambivalenz von Sozial- und Wirtschaftspolitik gekennzeichnet ist, bei der die wirtschaftspolitische Seite in der Regel Priorität genießt. Wird der Wohnungsmangel allerdings – wie derzeit – zu groß, können auch gegenteilige, gegen die Partikularinteressen der Wohnungseigentümer gerichtete staatliche Interventionen zum Zuge kommen – meist allerdings in sehr moderater Form. Bei diesen Interventionen handelt es sich in der Regel um punktuell einsetzbare, zeitlich befristete und auf bestimmte Räume begrenzte Instrumente, die vielfach aus früheren Wohnungsnöten bekannt sind: Bau von Sozialwohnungen mit nur kurzen Belegungsbindungen, Ankauf von Belegungsrechten in privaten in privaten Beständen, Erlass zeitlich begrenzter Erhaltungs- und Milieuschutzsatzungen, Erhöhung der Mittel für Subjektförderung etc. Alle diese derzeit auf Seiten der öffentlichen Hand diskutierten Maßnahmen wurden in deutschen Städten bereits bei früheren Wohnungsnöten in den späten 1970er, frühen 1980er Jahren gefordert und zum Teil auch umgesetzt, meist allerdings, wie eine umfangreiche Studie aus dem Jahre 1982 deutlich belegt, mit nur mäßigem Erfolg:. Die Fallzahlen der verschiedenen Maßnahmen zum Erhalt bzw. zur Schaffung bezahlbaren Wohnraums fielen danach insgesamt nur gering aus.

Wie sich der aktuelle Beschluss des Bundestages, künftig Grundstücke des Bundes schneller und kostengünstiger als beim bisherigen Höchstpreisverfahren an Kommunen zur Förderung des sozialen Wohnungsbaus zu vergeben, auf die kommunale Wohnungssituation auswirken wird, ist eine offene Frage. Immerhin handelt es sich um insgesamt 470.000 ha Grund und Boden und 36.000 Wohnungen. In den sieben Großstädten Berlin, Hamburg, München, Köln, Frankfurt, Düsseldorf und Stuttgart sind es allerdings nur insgesamt 970 unbebaute Grundstücke mit einer Gesamtfläche von 230 Hektar. Auf dieser Fläche könnten 4.500 kleinere Einfamilienhäuser oder eine wesentlich geringere Zahl von Mehrfamilienhäusern gebaut werden.

Nicht zuletzt wird von Haus- und Grundeigentümern wie auch von Bundes- und Kommunalpolitikern immer wieder die stereotype Forderung erhoben: bauen, bauen, bauen. Den damit unterstellten, durch Angebot und Nachfrage geregelten Wohnungsmarkt gibt es nicht. Gebaut wird ja auch gegenwärtig, nur nicht im Marktsegment des erforderlichen bezahlbaren Wohnraums. Ein großer Teil der 278 000 im Jahr 2016 neu gebauten Wohnungen waren Eigentumswohnungen oder teure Mietwohnungen – lediglich 9 Prozent waren öffentlich geförderte Sozialwohnungen. Wie bereits erwähnt, liegt der Zweck neuer Wohnbauten oft auch darin, Investitionsmöglichkeiten zu schaffen und nicht neue Wohnungen.

Zur gegenwärtigen Situation auf dem Wohnungsmarkt passt daher wieder einmal die bekannte Aussage von Friedrich Engels: „In Wirklichkeit hat die Bourgeoisie nur eine Methode, die Wohnungsfrage in ihrer Art zu lösen – das heißt, sie so zu lösen, dass die Lösung die Frage immer wieder von Neuem erzeugt“.

Für die Versorgung breiter Schichten der Bevölkerung mit bezahlbarem Wohnraum sind die praktizierten wohnungspolitischen Interventionen der öffentlichen Hand in vielen Groß- und Mittelstädten mehr als unzureichend. Was also tun ?

Von einschlägigen Bündnissen zur Bekämpfung der Wohnungsnot, Vertretern der LINKEN und kritischen Stadtforschern (so auch in der vor kurzem vorgelegten Reaktion auf ein Papier des wissenschaftlichen Beirats des BMWi) werden eine Vielzahl von Forderungen erhoben, die zum einen Spekulation, Wohnraumzerstörung und Verdrängung von Mieterinnen und Mietern Einhalt gebieten wollen (über den Erlass entsprechender Strategien und Verordnungen, restriktive und kontrollierte Mietpreisbegrenzungen zum Schutz von Bestandsmieten, Einrichtung von Mietshäuser-Syndikaten und kleinen Genossenschaften etc.) und die zum anderen auf eine grundlegende Änderung von Wohnungspolitik und Wohnungswirtschaft zielen: über die Wiedereinführung der Wohnungsgemeinnützigkeit, den Umbau und die Demokratisierung kommunaler Wohnungsbaugesellschaften und vor allem die Schaffung eines dauerhaften, bezahlbaren und der Renditelogik entzogenen Wohnungsbestandes in den Händen öffentlicher und zivilgesellschaftlicher nicht profitorientierter Träger. Engpässe bei bezahlbarem Wohnraum sind unter den vorherrschenden Bedingungen von Wirtschaft, Arbeits- und Wohnungsmarkt kein befristetes, sondern ein dauerhaftes Phänomen, das daher auch einer dauerhaften Lösung bedarf. Die Versorgung mit bezahlbarem Wohnraum muss folglich als Teil der sozialen, der Reproduktion der Arbeitskraft dienenden Daseinsvorsorge verstanden werden.

Ein Blick in die Wohnungspolitik anderer europäischer Länder macht deutlich, dass ein solcher öffentlich getragener Wohnungsbau auch unter kapitalistischen Wirtschaftsbedingungen möglich ist:

Eine Vorreiterrolle hat die Stadt Frankfurt in den 1920er Jahren mit einem aus der sogenannten Hauszinssteuer finanzierten Wohnungsbauprogramm eingenommen, mit dem für 11 Prozent der Frankfurter Wohnbevölkerung bedarfsgerechte und bezahlbare Wohnungen erstellt wurden.
Gleichfalls in den 1920er Jahren begann die Stadt Wien ein umfangreiches Wohnungsbauprogramm, das als Teil der gesamten öffentlichen Infrastruktur verstanden wurde und der Versorgung einkommensschwächerer Haushalte diente. Der Kommunale Wohnbau wurde in Wien auch nach dem Zweiten Weltkrieg fortgeführt. Das für den Gemeindebau zuständige Unternehmen „Wiener Wohnen“ ist Teil des Magistrats der Stadt, der politischen Verantwortung eines Stadtrats unterstellt und für die Verwaltung und Errichtung von 220.000 der 1 Million Wiener Wohnungen zuständig.
In Großbritannien wurden über „council housing“-Programme in vielen Städten umfangreiche Wohnungsbestände für breite Teile der Arbeiterschaft/Bevölkerung bereitgestellt. Diese Bestände sind allerdings inzwischen – seit dem Beginn der Thatcher-Ära Ende der 1970er Jahre – Gegenstand einer sukzessiven Privatisierung geworden.
Diese Beispiele zeigen, dass öffentliche Wohnungspolitik auch andere Wege gehen kann, wenn – und dafür stehen die Wohnungsbauprogramme von Frankfurt und Wien – starker externer Druck vorhanden ist: von Seiten anderer Kapitalfraktionen mit einem Interesse an niedrigen Mieten im Sinne niedrigerer Lohnniveaus zur Sicherung ihrer internationalen Konkurrenzfähigkeit, aber auch von Seiten der Wohnungsnachfrager. Einen solchen Druck gibt es gegenwärtig nicht bzw. nur ansatzweise. Es gibt (noch) keinen organisierten übergreifenden Mieter-Widerstand mit expliziten politischen Zielen, sondern nur ein buntes Spektrum von Mietern und Mieterinitiativen, die begrenzt konfliktfähig sind und denen jeweils andere Konfliktparteien (Wohnungseigentümer) gegenüberstehen. Zur Realisierung der oben genannten Ziele ist daher der Aufbau eines nicht allein stadtweiten, sondern städteübergreifend organisierten politischen Mieterwiderstands erforderlich.

Literatur:

Brede, Helmut, Bernhard Kohaupt und Hans-Joachim Kujaht, Ökonomische und politische Determinanten der Wohnungsversorgung, Frankfurt 1975.

Dörry, Sabine, Europäische Finanzzentren im Sog der Finanzialisierung, in: Informationen zur Raumentwicklung, Heft5/6 2010, S. 351 ff.

Eberhardt-Köster, Thomas, Wolfgang Pohl und Mike Nagler u.a., Wohnen ist Menschenrecht, AttacBasisTexte 52, Hamburg 2018.

Häußermann, Hartmut und Walter Siebel, Unpolitische Wohnungspolitik?, in: Leviathan 3-4/1981, S. 317-331.

Heinz, Werner, (Ohn-)mächtige Städte in Zeiten der neoliberalen Globalisierung, Münster 2015.

Unbezahlbare Mieten, in: Böckler Impuls, Ausgabe 07/2018.

(Anmerkung der Redaktion: bei dem Text handelt es sich um die überarbeitete Fassung eines Vortrags, den Werner Heinz am 25.9.2018 im Club Voltaire, Frankfurt a.M. gehalten hat).

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