Macron und der Leichnam der V. Republik

Ein von der deutschen Presse mit den Narkotia von vorgestern begleiteter Wiederbelebungsversuch

von Rudolf Walther

Die hierzulande meinungsbildenden, also konservativen Medien machen sich nur noch lächerlich. Zuerst malten sie in leuchtenden Farben und mit schrillen Tönen den Teufel an die Wand und hysterisierten sich selbst und Teile des Publikums mit der abstrusen Vorstellung, Marine Le Pen vom „Front National“ könnte französische Präsidentin werden. Das war zu jeder Zeit eine völlig bodenlose Spekulation. Keine einzige Meinungsumfrage konzedierte der rechten Populistin einen Stimmenanteil von mehr als 40 Prozent. Tatsächlich gewonnen hat sie 33 Prozent der Stimmen.

Vor dem zweiten Wahlgang lancierten besonders deutsche Medien eine Kampagne gegen den mit knapp 20 Prozent der Stimmen ausgeschiedenen linken Kandidaten Jean-Luc Mélenchon und nötigten ihn, sich im Dienst der „republikanischen Front“ – ein Euphemismus für das Hirngespinst der „nationalen Einheit“ angesichts einer tödlichen Bedrohung – für die Wahl des Neoliberalen Macron auszusprechen.

Mélenchon hatte mit klaren Worten seine Position erklärt: Erstens gelte das Wahlgeheimnis und zweitens beabsichtige er nicht, seine Wähler wie Kinder zu behandeln, denen man vorschreibe, welche böse Tante sie zu fürchten und meiden hätten. Auch Laurent Joffrin, Chefredakteur von „Libération“, meinte: „Wir werden uns nicht lächerlich machen und Wahlempfehlungen aussprechen.“ Mélenchons klare Worte halfen ihm nicht in der gesinnungserpresserischen Kampagne, die die Medien von FAZ bis taz anzettelten, um ihren Dauerrefrain zu beschwören: „Im Ernstfall sitzen Links- und Rechtspopulisten im gleichen Boot und zerstören gemeinsam die Demokratie.“ Mélenchon wurde als Steigbügelhalter der Machtergreifung Marine Le Pens denunziert. Dabei war von vornherein klar, dass die überwiegende Mehrheit der Wähler Mélenchons im zweiten Wahlgang Stimmenthaltung üben oder Macron wählen würden – keinesfalls jedoch Marine Le Pen vom „Front National“. Solche rationalen, auch durch Umfragen belegte Überlegungen wurden als irrelevant heruntergespielt, um den Blödmann-Verdacht, „rechts“ sei gleich „links“ ,wieder einmal zu befeuern. Für die Demokratie wirklich bedrohliche Trends wie das Stimmverhalten der kasernierten Polizisten, die nach „Le Monde“ (6.5.2017) im ersten Wahlgang zu 51 Prozent Le Pen wählten und im Dienst Personenkontrollen nach der Gesichtsfarbe für ebenso selbstverständlich halten wie das Verprügeln von Einwanderern aus Nordafrika, wurden in der deutschen Presse nicht einmal erwähnt.

Nachdem Macron im zweiten Wahlgang voraussehbar mit zwei Dritteln der Stimmen gesiegt hatte, schalteten die Leitartikler, die sich und das Publikum wochenlang selbst hysterisiert hatten, auf „April-April“ um: „Europa atmet auf, Macron wird Präsident“ (Tages-Anzeiger vom 8.5.2017). Die Abkühlung dauerte freilich nur kurz, denn jetzt galt es, den neuen Messias zu feiern. Sein Alter, als ob das politisch mehr bedeutete als eine Wasserstandsmeldung oder eine Stromrechnung, wurde nun ebenso zum Schlager wie die Altersdifferenz zwischen Macron und seiner Ehefrau, die seine ehemalige Gymnasiallehrerin war. Jürg Altwegg, der Korrespondent der FAZ, drechselte aus den beiden Tatsachen, dass Marine Le Pen ihren Vater aus der Partei gedrängt und Macron seine Lehrerin geheiratet hatte, einen Indikator für „die Identitätskrise und Regression des Landes“ (FAZ 5.5.2017) von mythischem Ausmaß: die Vatermörderin Marine Le Pen trifft in der Stichwahl Ödipus Macron (der seine Mutter heiratete). Einfältiger war zuletzt nur der Versuch, aus Festigkeit von Trumps Händedruck dessen Verhältnis zu den Häuptern der G7-Staaten zu ergründen (in der „Qualitätszeitung“ FAZ am 30.5.2017 mit großem Bild auf die Titelseite befördert!!).

Wo von Mythen, Blasen und Sphären die Rede ist, fehlt Sloterdijk nie: „Es gab Jeanne d’Arc“, die Hausheilige der Familie Le Pen, „es gab Charles De Gaulle und jetzt gibt es Macron“ als dritte „Erscheinung“ in der französischen Geschichte – 700 Jahre Geschichte mit drei Namen zur pflegeleichten Phrase verpackt – alles „Erscheinung“, wie die Visionen des Bauernmädchens aus Domrémy, die zur „heiligen Jungfrau“ aufstieg.

Nach der Wahl Macrons schossen die Erwartungen und Spekulationen ins Kraut. Macrons Regierung – eine ganz große Koalition jenseits aller Parteien – wurde nun zum „europäischen Kampfkabinett“ (FAZ 16.5.2017) gekürt, weil einige Minister außer Französisch auch Deutsch sprechen und die Verteidigungsministerin Sylvie außerdem Italienisch und Englisch. So viel an Sprachkompetenz hat zwar jeder gebildete Schweizer im Gepäck, aber niemand käme auf die Idee, eine Regierung aus Schweizern zum „europäischen Kampfkabinett“ zu adeln oder einen sprachkundigen Karrierediplomaten als „Generalgelehrten“. Jenseits solcher Leitartiklerphrasen deutet diese Regierungsbildung jenseits der Parteien wie das Bekenntnis Macrons, „weder links, noch rechts“ zu sein, auf historische Vorbilder wie den Bonpartismus und den ursprünglichen Gaullismus. Im Wahlkampf hat Macron diese Vorbilder ausbuchstabiert als demokratisch legitimierten Monarchismus, in dem der Präsident den seit dem Königsmord „nicht besetzten Sitz im Herzen des politischen Lebens“ einnehme. Die nächtliche Zeremonie im Hof des Louvre, dem ehemaligen Königsschloss, illustrierte diese Machtallüren.

Wie weit her es ist mit der „politischen Revolution“, die einige Macron zutrauen, werden die Parlamentswahlen zeigen. Das zweistufige Wahlrecht hat es in sich. In den zweiten Wahlgang kommen nämlich nur Kandidaten, die im ersten wenigstes 12,5 Prozent der Stimmen erreichten. Das hat zur Folge, dass die Parteien für den zweiten Wahlgang Absprachen treffen, ihre aussichtslosen Kandidaten in einem Wahlkreis zurückziehen und ihren Wählen empfehlen, den aussichtsreicheren Kandidaten einer anderen Partei zu wählen, sofern diese bereit ist, in einem anderen Wahlkreis ein Gegengeschäft abzuschließen. Insbesondere die unterlegenen konservativen Republikaner um Fillon und Sarkozy werden mit solchen Wahlabsprachen versuchen, eine regierungsfähige Mehrheit für Macrons Wahlverein „La République en Marche“ (LRM) in der Nationalversammlung zu verhindern und Macron zu einer „Cohabitation“ zu zwingen. Der „Revolution“, die Macron versprach, wären damit die Zähne schon gezogen, bevor sie begonnen hat.

Die hohen Erwartungen an den neuen Präsidenten beruhen vor allem auf seiner Wirtschaftskompetenz, die er als Banker und hoher Beamter erworben hat. Daraus zu schließen, er kenne die Wirtschaft, ist jedoch ein Trugschluss. In Banken und Wirtschaftsministerien lernt man die Wirtschaft etwa so kennen, wie die Liebe durch die Leitung eines Edelpuffs. Macrons wirtschafts- und sozialpolitische Pläne brechen wie ein Kartenhaus zusammen, sobald die Niedrigzinspolitik der EZB endet und die Belastung des französischen Haushalts damit ansteigt. Ein EU-Investitionsprogramm und die Gründung eines Europäischen Währungsfonds (EWF) nach dem Vorbild des IWF käme wohl nur zustande, wenn Berlin bzw. Finanzminister Schäuble auf ein deutsches Vetorecht verzichten würde. Macron dürfte jedoch auf absehbare Zeit in seinem Parlament keine Mehrheit finden für den Verzicht auf Haushaltsrechte zu Gunsten eines von Berlin dominierten Währungsfonds.

© links-netz Juni 2017