Was von der ZeroCovid-Initiative zu halten ist *

Karl Reitter

Sozialpsychologisch ist der Zeitpunkt der sogenannten ZeroCovid-Initiative Mitte Januar 2021 durchaus verständlich. Nach bald einem Jahr Einschränkungen und Verboten mit massiven Folgeschäden auf allen Ebenen ist die Erschöpfung groß. Man kann und will nicht mehr. Der eigentlich auslösende Faktor dürfte die tiefe Enttäuschung angesichts der Impfung sein. »Der Erlöser des Jahres 2021 heißt ›Die Impfung‹«, schrieb ich im November 2020. Nun ist sie da, mit all den zu erwartenden Problemen, aber immerhin. Aber die Erlösung ist nicht eingetreten. Es wird wohl noch Monate dauern, bis die gesamte Bevölkerung durchgeimpft werden wird. In welchem Ausmaß sie tatsächlich Neuinfektionen verhindert, ist ungewiss, ebenso, ob bestimmte Gruppen der Bevölkerung trotz Impfung Monate später erkranken oder zumindest das Virus weiterverbreiten könnten. Daher nun der Hilfeschrei : Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Propagandistisch ist diese Initiative durchaus als Erfolg zu bezeichnen. Fast 100.000 Unterschriften unter den Forderungskatalog und zahlreiche Erwähnungen in den Medien sprechen für sich. Was erregte eigentlich die Aufmerksamkeit ? Es finden sich im Aufruf durchaus unterstützenswerte Forderungen wie der Ausbau des Gesundheitswesens, die Entkoppelung der Impfstoffproduktion von der Profiterzielung, die Forderung einer europaweiten »Covid-Solidaritätsabgabe auf hohe Vermögen, Unternehmensgewinne, Finanztransaktionen und die höchsten Einkommen«. Wäre das der bestimmende Inhalt des Aufrufs gewesen, so hätte deswegen kaum jemand den Kopf gehoben. Zudem sind diese Abschnitte auch vage und unbestimmt formuliert und lassen viele Fragen offen. Aber darum geht es nicht. Wirkliches Aufsehen erregte diese Initiative durch den eigentlichen Kern der Forderungen : ZeroCovid. Die Null fasziniert.

»Das Ziel darf nicht in 200, 50 oder 25 Neuinfektionen bestehen – es muss Null sein. (…) Das erste Ziel ist, die Ansteckungen auf Null zu reduzieren. Um einen Ping-Pong-Effekt zwischen den Ländern und Regionen zu vermeiden, muss in allen europäischen Ländern schnell und gleichzeitig gehandelt werden. (…) Shutdown heißt : Wir schränken unsere direkten Kontakte auf ein Minimum ein – und zwar auch am Arbeitsplatz ! Maßnahmen können nicht erfolgreich sein, wenn sie nur auf die Freizeit konzentriert sind, aber die Arbeitszeit ausnehmen. Wir müssen die gesellschaftlich nicht dringend erforderlichen Bereiche der Wirtschaft für eine kurze Zeit stilllegen. Fabriken, Büros, Betriebe, Baustellen, Schulen müssen geschlossen und die Arbeitspflicht ausgesetzt werden. Diese Pause muss so lange dauern, bis die oben genannten Ziele erreicht sind.« [1] (Hervorhebungen im Original)

Ich halte diese Initiative in jeder Hinsicht für katastrophal. Ich beginne meine Argumentation mit der Frage, welche Analyse liegt diesem Aufruf eigentlich zugrunde ? Sie ist ergreifend simpel und naiv. Keines der oben skizzierten Momente eines autoritären Staatshandelns wird angesprochen, kein Wort von den Folgeschäden, gezählt werden die Toten durch Corona, alles andere existiert nicht. Die Einschätzung eines seit Jahrzehnten nicht in dieser Intensität praktizierten Ausnahmezustandes wird auf folgenden Punkt reduziert : Der im Interesse der Wirtschaft agierende Staat sei unwillig und unfähig zu einem wirklich wirksamen Lockdown. Also müssen »wir« das solidarisch und demokratisch machen. Das war’s. Mehr ist nicht. Zwei ProtagonistInnen dieses Aufrufs wiederholen in einem Kommentar diese Sichtweise : »Die herrschende Pandemiepolitik zielt nicht darauf ab, die Infektionsdynamik einzudämmen, sondern – stets die Kapitalinteressen im Blick – diese gerade so runterzudrücken, dass das Gesundheitssystem nicht komplett zusammenbricht, woraufhin die Regierungen einen massiven Vertrauensverlust erleiden würden«, schreiben Verena Kreilinger und Christian Zeller.[2] Auf gut Deutsch, wenn die Bourgeoisie und ihr Staat nicht fähig sind, COVID-19 zu beenden, muss die ArbeiterInnenklasse auf den Plan treten. Nun sind ArbeiterInnenklasse und Bourgeoisie uncoole Worte, die wohl bewusst nicht verwendet wurden. Das Gemeinte wurde in einer Szene-kompatiblen Sprache ausgedrückt. Immerhin, die Gewerkschaften, bevorzugte Appellationsinstanz eines hausbackenen, simplifizierten Klassenkampfverständnisses trotzkistischer Provenienz, [3] sind präsent : »Mit diesem Aufruf fordern wir auch die Gewerkschaften auf, sich entschlossen für die Gesundheit der Beschäftigten einzusetzen, den Einsatz von Beschäftigten für ihre Gesundheit zu unterstützen und die erforderliche große und gemeinsame Pause zu organisieren.« [4]

Selbst diese reduzierte Analyse ist falsch. Es ist keineswegs so, dass der COVID-19-Staat »die Kapitalinteressen« insgesamt schützt. Die Sachlage ist weitaus komplexer. Der Sozialwissenschaftler Alex Demirović widmet diesem Thema einen eigenen Abschnitt in seiner Kritik am Aufruf, betitelt »Die Kapitalinteressen sind vielschichtiger, als der Aufruf behauptet«. Darin heißt es unter anderem : »Für den Profit kann es sinnvoll sein, die Betriebe zu schließen : Der Markt wird bereinigt, angesichts geringer Nachfrage lassen sich Kosten vermeiden, staatliche Unterstützung kassieren und die Lohnabhängigen, mit Kurzarbeitsgeld an die Unternehmen gebunden, gleichzeitig gesundheitlich schützen, um sie dann, wenn die Wirtschaft wieder anzieht, sofort in die Produktion zurückzuholen.« [5] Der Markt wird tatsächlich bereinigt. Die COVID-19-Maßnahmen gefährden Tausende kleine und kleinste Betriebe, während offensichtlich große Ketten, nicht zuletzt durch massive Finanzmittel des Staates unterstützt, die Krise ausgesprochen gut überstehen, ja sich daran sogar bereichern. Wie viele kleine Lokale, Theater, Kinos, Geschäfte, Taxiunternehmen oder Freizeitbetriebe überleben werden, ist ungewiss. Ich bin nicht so pessimistisch, anzunehmen, in wenigen Monaten und Jahren gibt es nur noch die Wahl zwischen den verschiedenen Fast-Food-Ketten, während das kleine Beisl am Eck endgültig geschlossen ist. Aber die Gefahr besteht.

Alfred J. Noll hat die Problematik des Staats hinsichtlich der kapitalistischen Ökonomie sehr präzise auf den Punkt gebracht : »Der Covid-19-Staat ist der Würgeengel der kapitalistischen Produktionsweise, indem er Produktion und Konsumption über weite Strecken verhindert – er macht also exakt das Gegenteil von dem, wozu er geschaffen wurde.« [6] Dieser Aussage widerspricht keineswegs die Tatsache, dass der Staat immer wieder punktuell den Interessen bestimmter Kapitalfraktionen nachgibt, wie die zeitweise Öffnung der Skigebiete in Tirol zeigt. Aber dass die Eindämmung einer international globalisierten Ökonomie, der neu erwachende Nationalismus im Besonderen und der Niedergang der Ökonomie im Allgemeinen nicht im Interesse des Kapitals sein kann, sollte doch einleuchten. Die Krise ist immer eine Chance für innovative Kapitalfraktionen, neue ökonomische und gesellschaftliche Verhältnisse durchzusetzen. Das war bereits 2008 so und es wird sich jetzt wiederholen.

Detlef Hartmann hat die Kapitalstrategie der kreativen Zerstörung – der Begriff stammt von Joseph Schumpeter – in mehreren Texten ausführlich beschrieben. Krise bedeutet Schwäche, nicht nur auf ökonomischem, sondern auch auf ideologischem und kulturellem Gebiet. Diese Schwäche nutzen neue, innovative Kapitalfraktionen, um neue gesellschaftliche Strukturen zu etablieren und neue soziale Existenzweisen durchzusetzen. Es geht um vielmehr als um bloße Konkurrenz. Ein geradezu klassisches Beispiel ist der Fahrtendienstvermittler Uber. Das alte, traditionelle Taxigewerbe mit Vollzeitarbeitsplätzen und selbstständigen Besitzern soll neuen Scheinselbstständigen weichen, die völlig abhängig vom großen Konzern agieren müssen. Ebenso hat Airbnb so gut wie das gesamte kleine Beherbergungsgewerbe umgewälzt. Von einem differenzierten Blick auf die Dynamik der kapitalistischen Ökonomie angesichts der COVID-19-Maßnahmen fehlt bei den ZeroCovid-VerfechterInnen jegliche Spur. Die Möglichkeiten für das Avantgardekapital, die sozialtechnischen Umwälzungen weiter voranzutreiben, werden nicht erkannt und nicht verstanden.

Vage und ungeklärt sind auch die geforderten Maßnahmen, die zum Ziel ZeroCovid führen sollen. Was bedeutet die Stilllegung der »nicht dringend erforderlichen Bereiche der Wirtschaft« tatsächlich? Ich habe den Initiatoren via E-Mail mehrere Fragen gestellt, unter anderem auch folgende: »Was bedeutet das konkret? Werden Lebensmittelgeschäfte geschlossen, die Lebensmittelproduktion stillgelegt? Werden die Post, die Zustelldienste, die Müllabfuhr, die öffentlichen Verkehrsmittel, die Taxis stillgelegt?« [7] Eine Antwort kam prompt, ohne auf meine Fragen nur im Geringsten einzugehen.[8] Was also die Stilllegung tatsächlich bedeutet, welches Ausmaß sie annehmen muss, bleibt der Phantasie jeder Einzelnen überlassen. Aber selbst das radikale Ziel der Null-Infektionen wird in Stellungnahmen der Initiative aufgeweicht. Dass radikale weitere Einschränkungen die Zahl der Infektionen herabdrücken können, kann gerne unterstellt werden. Aber tatsächlich null ohne Wenn und Aber? Null Infektionen gibt es nicht einmal im als Vorbildland angepriesenen Australien.[9] Unterstützer dieser Initiative geben realistischerweise dieses Ziel ganz offen auf. Statt null Infektionen spricht etwa Klaus-Dieter Kolenda von einer »massiven Absenkung der Infektionszahlen«.[10] Dass dies möglich ist, wird niemand bestreiten, vor allem wenn wir die massive Zerstörung des sozialen Lebens inklusive psychischer und physischer Leiden als weitete Kollateralschäden akzeptieren. Aber damit sind wir bei einer ganz anderen Diskussion. Hätte die Initiative: »Senkt die Infektionszahlen massiv« gelautet, wäre sie kaum beachtet worden. Es ist exakt die Rede von null Infektionen, von der völligen Ausrottung des Virus, die der Initiative jene Aura beschert, die offenbar so fasziniert. Die Vorstellung, das soziale und gesellschaftliche Leben so lange stillzulegen, bis die Infektionsrate absolut null beträgt, hat etwas Religiöses an sich. Es ist ebenso irrwitzig wie zu meinen, eine Welt ohne Schnupfen und Husten sei möglich wie eine Welt ohne Viren. Andere glauben an die Macht der Gebete, diese Initiative an die wunderbare Wirksamkeit von ZeroCovid-Maßnahmen. In der Antwort auf meine kritischen Fragen an die InitiatorInnen schrieb mir Sabine Teng: »Theoretisch sind Neuinfektionen also nach drei, vier Wochen weg, wenn sich alle daran halten würden.« So einfach ist die Welt. Drei, vier Wochen Leiden und das volle Leben ist uns wieder gewiss.

Die VerteidigerInnen der Initiative stehen angesichts der Radikalität des angestrebten Zieles vor einem Problem. Der Shutdown macht keinen Sinn, wenn er nur halbherzig erfolgt, das hatten wir schon. Deswegen ist die Gegenkritik von Anton Stortchilov nicht überzeugend: »Die Pandemie ist eine Angelegenheit, bei der alle mitmachen müssten. Nur: Wann hat die Unwahrscheinlichkeit eines Sieges die Linke je davon abgeschreckt, sich Ziele zu setzen?« [11] Was er rhetorisch überspielt: Wenn Linke ganz konkret radikale Forderungen stellen, so machen diese nur dann Sinn, wenn sie auch nur teilweise umgesetzt werden können. Nehmen wir als Beispiel die Forderung, die Wohnung darf keine Ware sein. Das ist ein großes Ziel, kaum im Kapitalismus umzusetzen. Aber eine Beschränkung von Mieten, eine Leerstandabgabe und ähnliche Maßnahmen sind keineswegs utopisch und können auch lokal durchgesetzt werden. Bei ZeroCovid ist es anders, alles oder nichts. Wenn nur einzelne Länder, oder gar nur einzelne Gebiete die Null-Covid-Strategie umsetzten, dann ist wenig damit bewirkt. Die Geschwindigkeit, mit der sich der Virus über den Globus ausbreitete, ist beeindruckend. Es bleibt also dabei: Das Ziel einer gemeinsam handelnden EU bei gleichzeitiger radikaler Abschottung gegen den Rest der Welt ist realpolitisch naiv. Und was ist mit den Flüchtlingen, die unter Gefährdung ihres Lebens nach Europa wollen? Die auf Schlauchbooten nun auch als Virus-ÜberträgerInnen das freie Europa gefährden?

»Demokratie«

Ein übler Fehler der Linken ist es, gut klingende Phrasen zu dreschen. Diese Unsitte feiert im Aufruf fröhliche Urständ. »Demokratie ohne Gesundheitsschutz ist sinnlos und zynisch. Gesundheitsschutz ohne Demokratie führt in den autoritären Staat«, lautet es vollmundig in der Erklärung. Was bedeutet das ganz konkret? Nichts. »Wichtig ist, dass die Beschäftigten die Maßnahmen in den Betrieben selber gestalten und gemeinsam durchsetzen«, [12] wird im Aufruf verkündet. Ich fragte die Initiatoren Folgendes: »Demokratie ist ein komplexer Begriff. Ist folgende vorläufige Definition OK ? Die Menschen entscheiden per Abstimmung vor Ort. Was ist nun, wenn Belegschaften, BetreiberInnen von Kindergärten und Schulen usw. sich in demokratischen Prozessen gegen den radikalen Shutdown aussprechen, wenn sie dagegen stimmen?« Ich bekam auch auf diese Frage keine Antwort. Offenbar wird unterstellt, wenn sich die Beschäftigten im Sinne des Aufrufs entscheiden, dann ist dies offensichtlich Demokratie, wenn nicht, ist es eben keine. Das Vertrauen, gerade jetzt würden die Massen sich mit Begeisterung dem Shutdown anschließen, ja ihn mit Nachdruck fordern, ist an Realitätsverweigerung nicht zu überbieten. Der heimliche Trotzkismus des Aufrufs ist für jene, die diese Strömung kennen, offensichtlich. Die ArbeiterInnenklasse ist gut, wenn sie nur die richtige Führung hat. Wenn die Linke, jetzt in Form des Aufrufs, mit klarem Programm interveniere, dann würden die Massen Klarheit gewinnen und sich mit Begeisterung demokratisch für ZeroCovid entscheiden. Tatsächlich geht die Stimmung bei den Menschen exakt in die gegenteilige Richtung. Daher ist der Aufruf ein Appell an den Staat, den Shutdown ohne Rücksicht durchzusetzen. »#ZeroCovid nimmt den Staat in die Pflicht, das Wohl des Menschen vor das Wohl der Wirtschaft zu stellen – und den Staat in den Dienst der Menschen, nicht der Wirtschaft. Das ist am Ende linke Politik«,[13] formuliert der Erstunterzeichner Malte Göbel. Wenn der letzte Funken realpolitischen Verstandes nicht erloschen ist, dann ist klar, dann muss klar sein: ZeroCovid kann nur mit einem gnadenlosen Polizeistaat durchgesetzt werden. Befremdliche Naivität verknüpft sich mit Affirmation eines autoritären staatlichen Durchgreifens.

Pervertierung des Begriffs der Solidarität

Solidarität setzt im Kern verschiedene Betroffenheit voraus. Solidarität ist kein Ausdruck des eigenen, unmittelbares Interesses. Seine eigenen hoch individuellen Bedürfnisse in den Vordergrund zu stellen, hat mit Solidarität nichts zu tun. Man ist solidarisch mit Menschen und ihren Bedürfnissen und Kämpfen, obwohl sie nicht unmittelbar die eigenen sind. Wir sind solidarisch mit »Black Lives Matter«, obwohl wir keine Schwarzen und nicht von rassistischen Cops in den USA bedroht sind. Wir sind auch als Männer solidarisch mit dem Kampf polnischer Frauen für das Recht auf Schwangerschaftsabbruch, obwohl wir nicht schwanger werden können. Wir sind solidarisch mit den Streiks der Näherinnen in Bangladesch, obwohl ihre und unsere Lebenswirklichkeiten völlig verschieden sind. Solidarität ist von der Einsicht getragen, dass es einen gemeinsamen Gegner, einen gemeinsamen Feind gibt, auch wenn man aktuell von ihm nicht attackiert oder bedroht wird. Solidarität ist Ausdruck eines Verständnisses für die Mechanismen sozialer und politischer Herrschaft und der Einsicht in die Notwendigkeit einer übergreifenden Widerstandsfront. Jene Solidarität, die ZeroCovid einklagt, ist schlichtweg dem Ich-zentrierten Bedürfnis entsprungen, ich und meinesgleichen möchten nicht infiziert werden. Diese Art der Solidarität besitzt keine »über die blanke Überlebensangst hinausgehende Basis. (…) Eine Solidarität auf dem Standpunkt des Klasseninteresses (…) unterscheidet sich fundamental von der ›neuen Solidarität‹ der pandemischen Gemeinschaft. (…) Die ›neue Solidarität‹ ist im Sinne einer Verelendungstheorie von der Hoffnung geleitet, existenzielle Not, Furcht und Elend wären in der Lage, politisch zu mobilisieren.« [14] (Obermayr 2020 ; 509 ff) Praktisch bedeutet die von ZeroCovid geforderte Solidarität gerade nicht, sich als gesellschaftlich handelndes Subjekt zu konstituieren. Die Appellationsinstanz ist der Staat, der als verkörperte Vernunft endlich zum guten Herrscher wird. »Das ist am Ende linke Politik«, meint Malte Göbel.

Realpolitik ?

Realpolitisch bedeutet ZeroCovid : Wir fordern etwas, was realpolitisch nicht durchzusetzen ist. Weder werden sich die zerstrittenen EU-Staaten, die sich im Modus »Rette sich wer kann« befinden, synchron und gemeinsam auf derart radikale Maßnahmen einigen können, noch werden viele Menschen da mitspielen wollen – und auch nicht mehr können. Aber eines ist gewiss: Der autoritäre COVID-19-Staat hat seine linke Flankendeckung bekommen. Zudem wurde Zwist und Hader innerhalb der Linken in einem Ausmaß gesät, welches die Konflikte um Israel/Palästina fast schon übersteigt. Und Linksliberale können feixen: »So ist die Linke, blauäugig und naiv, zugleich autoritär und staatshörig.« Mehr ist realpolitisch nicht drinnen, das aber gewiss. Immerhin können sich die InitiatorInnen in der Bedeutung sonnen, die sie im Frühjahr 2021 medial errungen haben und ihren Enkelkindern erzählen: »Wichtig waren wir damals schon.«

*Bei dem Beitrag handelt es sich um einen Auszug aus folgendem Text: Reitter, Karl (2021): Die Linke und die Angst vor Corona. In: Hofbauer, Hannes/Kraft, Stefan (Hrsg.): Herrschaft der Angst. Wien: Promedia.


[1]          https://zero-covid.org/

[2]          https://mosaik-blog.at/zerocovid-gesundheitspolitk-corona/

[3]          Dass ein Teil der ProtagonistInnen einen trotzkistischen Hintergrund haben ist ein offenes Geheimnis.

[4]          https://zero-covid.org/

[5]          https://www.akweb.de/bewegung/zerocovid-warum-die-forderung-nach-einem-harten-shutdown-falsch-ist/

[6]          Noll, J. Alfred, Seuchenzeit : der Staat als ideeller Gesamtkapitalist, in : Hofbauer, Hannes/ Kraft, Stefan (Hg.) : Lockdown 2020, Wie ein Virus dazu benutzt wird, die Gesellschaft zu verändern, Wien 2020, S. 93

[7]          E-Mail am 18. Jänner 2021 an zerocovid@gmx.net

[8]          Guten Tag, Herr Reitter, vielen Dank für Ihre Rückmeldung. Ich kann im Moment nur kurz antworten, da wir sehr viele Anfragen haben und alle zügig beantworten möchten. Wir werden Schritt für Schritt ausführliche Informationen auf unsere Homepage stellen. Wie lange der Shutdown sein muss, um die Zahlen der Neuinfektionen herunter zu bringen, hängt davon ab, wie hoch die Zahlen zu Beginn sind und wie viele sich daran halten. Rigide Kontrollen gab es in Australien und Neuseeland nicht. Infizierte sind rund 14 Tage ansteckend. Theoretisch sind Neuinfektionen also nach drei, vier Wochen weg, wenn sich alle daran halten würden. Wir sind nicht weltfremd, daher gehen wir nicht davon aus. Solange neu Infizierte isoliert und die Kontaktverfolgung lückenlos funktioniert, wird das Virus eingedämmt. ZeroCovid ist ein Konzept zum ÖFFNEN, nicht zum Schließen. In den Ländern, in denen es umgesetzt wird, geht das Alltagsleben nach dem Shutdown ganz normal weiter. Es gibt Kultur, Schulen, Konzerte, Großveranstaltungen, Sport … Ganz Australien hat seit Monaten täglich eine Handvoll Neuinfektionen. Der Wirtschaftseinbruch, die gesellschaftlichen und persönlichen Kosten werden so minimiert. Und Menschenleben gerettet. Niemand stirbt in AU, NZ, Vietnam oder Thailand an Covid. Die Öffnung erfolgt schrittweise, über sogenannte »grüne Zonen«, flankiert von Reisebeschränkungen, um das Virus nicht wieder einzuschleppen. ZeroCovid funktioniert auf Inseln, auf Kontinenten und in Binnenländern. Beste Grüße Sabine Teng

[9]          https://www.corona-in-zahlen.de/weltweit/australien/

[10]         https://www.heise.de/tp/features/Ist-eine-Null-Covid-Strategie-sinnvoll-aber-nicht-durchfuehrbar-5041989.html?seite=all

[11]         https://www.freitag.de/autoren/stortchilov/eine-frage-des-wollens

[12]         https://zero-covid.org/

[13]         https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/ein-aufruf-fuer-endlich-mehr-solidaritaet

[14]         Obermayr, Linda Lilith (2020) (C)Ovid, Metamorphosen. Die Rückkehr ins Goldene Zeitalter, in : Zeitschrift für Praktische Philosophie Band 7, Heft 2, S. 509 ff.