Einladung: Linke und Corona-Politik

Es ist immer etwas schwierig, von „den“ oder „der“ Linken zu sprechen, handelt es sich dabei genau genommen doch um ein recht vielfältiges Feld. Indessen haben im weitesten Sinne linksorientiere Gruppierungen, Organisationen und Individuen in der Geschichte der BRD bzw. Deutschlands eine wichtige und oft prägende Rolle gespielt. Man denke nur an den Kampf gegen die Wiederbewaffnung oder die atomare Aufrüstung, an die Studierendenbewegung mit ihrem Einfluss auf die gesellschaftliche und politische Kultur dieses Landes einschließlich der Aufarbeitung des Nationalsozialismus, nicht zuletzt auch zumindest in Teilen die Frauen- und Ökologiebewegung mit ihren gesellschaftsverändernden Wirkungen. Ein wesentlicher Punkt dabei war die durch staatstheoretische Reflexion untermauerte Kritik an staatlichen Repressionsmaßahmen und Freiheitsbeschränkungen, etwa beim Widerstand gegen Berufsverbote, die Notstandsgesetzgebung, die Sicherheitsgesetze anlässlich des Kampfs gegen die RAF oder den „islamistischen Terror.

Umso erstaunlicher ist, dass in Bezug auf die aktuelle Corona-Politik der Regierungen von linker Seite eher Schweigen, wenn nicht gar Zustimmung zu verzeichnen ist. So hat etwa die sich selbst als links verstehende „ZeroCovid“-Initiative eine weitere Verschärfung der staatlichen Maßnahmen gefordert. Kritik an den unter verfassungsrechtlichen und demokratischen Gesichtspunkten – vorsichtig formuliert – fragwürdigen gesellschaftlichen Eingriffen und Freiheitsbeschränkungen kam, wenn überhaupt, eher von linksliberaler Seite. Das ist insofern alarmierend, als damit eine für eine für emanzipative und demokratische Verhältnisse wichtige Kraft praktisch ausgefallen ist – eine Entwicklung, die für die Zukunft dieses Landes einschneidende Folgen haben könnte. Nicht zuletzt hat dies bedeutet, dass die Kritik praktisch der AfD und dem unter dem Begriff „Querdenker“ gehandelten Sammelsurium überlassen blieb, was zusätzlich zur Legitimation der staatlichen Politik beiträgt.

Es gibt also gute Gründe, den Ursachen für dieses Versagen nachzugehen. Was fehlt, ist nicht nur eine fundierte Kritik der staatlichen Zwangsmaßnahmen, ihrer Angemessenheit und Verhältnismäßigkeit, sondern z.B. auch eine Untersuchung, inwieweit die Entstehung und Ausbreitung des Virus etwas mit der globalen Ausbreitung des Kapitalismus zu tun hat oder ob die staatliche Corona-Politik der Durchsetzung eines neuen Akkumulationsmodells im Zuge der Krise des Neoliberalismus dient. Die Beantwortung derartiger Fragen ist nicht ganz einfach, weil es sich mutmaßlich recht komplexe Zusammenhänge handelt.

War also die linke Staatskritik ein Oberflächenphänomen, hinter dem sich ein versteckter Autoritarismus verbarg? Rechtfertigte die historisch neue Situation einer anscheinend für alle lebensbedrohenden Situation derart weitgehende Zwangsmaßnahmen? War damit das frühere Beharren auf gesellschaftlicher Selbstorganisation und Selbstbestimmung hinfällig? Oder was sonst?

Wir – die Redaktion von links-netz -finden eine Debatte darüber außerordentlich wichtig und würden uns sehr freuen, wenn Euch dazu etwas einfällt.