USA: zwischen einer aggressiven Rechten und einer gespaltenen Linken

Margit Mayer

Die amerikanische Linke hat – im Kontext einer Biden-Regierung, die ihrerseits durch ein dysfunktionales Institutionensystem und durch die radikalisierte Republikanische Partei blockiert wird – mit einer Menge von Schwierigkeiten zu tun. Vor dem Hintergrund der Veränderungen dieser Partei und des Erstarkens der »Trump-Republikaner« mutieren diese Herausforderungen im linksliberalen Milieu zu einem Szenario der bedrohten liberalen Demokratie, die nur durch einen Zusammenschluss aller »antifaschistischen Kräfte« gerettet werden könne. In diesem Sinne unterzeichneten 50 namhafte, sowohl progressive wie (neo-)konservative Schriftsteller*innen, Akademiker*innen und politische Aktivist*innen im Herbst 2021 einen Aufruf, der zeitgleich in The New Republic und The Bulwark veröffentlicht wurde (Gitlin u. a. 2021). Trotz aller politischen Differenzen fordern die Unterzeichnenden »alle verantwortlichen Bürger*innen« dazu auf, sich den Machenschaften der Trump-Republikaner entgegenzustellen, um die Demokratie zu retten.

Die republikanischen America First-Kräfte

Tatsächlich sind die Republikaner im Kongress inzwischen mehrheitlich entschiedene Trump-Anhänger, die Bezeichnung RINO (Republican in Name Only) wurde zum vernichtenden Schimpfwort für die wenigen, die sich Trumps Linie nicht unterordnen. Bei den Vorwahlen zeichnet sich (Stand Ende August 2022) ein Trend ab, in dem Trump-kritische republikanische Kandidat*innen von den Wähler*innen abgestraft werden, und bei der jüngsten CPAC-Konferenz[1] am 4. August in Dallas, Texas erhielt nicht nur Trump, sondern vor allem der Hauptredner Viktor Orbán starken Applaus, dessen ungarische »Rückeroberung der Institutionen« die Versammelten als Modell für die USA ansahen (Economist 2022a).

Während der vier Jahre Vorherrschaft unter Trump und auch danach nutzten die Republikaner dysfunktionale Regeln und Schieflagen im politischen Institutionensystem. So besteht bspw. in der Wirkungsweise des Senats ein Defizit in der Repräsentanz der Wählerstimmen, weil er von jedem Staat – egal wie bevölkerungsreich oder wie stark urbanisiert – mit lediglich zwei Senator*innen beschickt wird. Folglich vertreten heute die 50 demokratischen Senator*innen 41,5 Millionen mehr Menschen als die republikanischen Senator*innen. Dazu kommen Verfahrensregeln wie der sogenannte Filibuster, eine tradierte Bestimmung des Gesetzgebungsverfahrens, nach der im Senat mindestens 60 Stimmen erforderlich sind, außer bei den Haushalt betreffenden Gesetzen. Dadurch kann das Gros der Gesetzesvorhaben von der jeweiligen Minorität mittels Filibuster verhindert werden. Diese beiden Regelungen zusammen bewirken, dass auch Gesetze, die bei mehr als 80 Prozent der Wähler*innen Zustimmung finden, verhindert werden können (wie etwa Einschränkungen beim Waffenrecht), vor allem wenn die Vertreter schwach besiedelter Staaten mit massiven Spenden bearbeitet werden. Eine weitere Schieflage im Repräsentationssystem kommt durch den politisierten Zuschnitt der Wahlbezirke (Gerrymandering) zustande, wodurch sich 2020 der faktische zahlenmäßige Erfolg demokratischer Kandidat*innen nicht in mehr Repräsentanten im Haus übersetzte, sondern in massive Verluste. Unter Trump hat die Republikanische Partei diese Schieflagen gut für sich zu nutzen gewusst, und sie hat zusätzlich noch weitere, neue Wege gefunden, um ihr nicht genehme Bundesgesetze zu umgehen oder auszuhebeln. Sie schufen sowohl auf einzelstaatlicher Ebene als auch über die Besetzung der Gerichte Fakten, die die Durchsetzung rechtskonservativer Politik erleichterten. Dabei geht es inzwischen weniger um restriktive Wahlgesetze (voter suppression) als vielmehr um das Kapern der Wahlmaschinerie und der Wahlkommissionen und damit um das Bestimmen der Regeln: Wenn man sie selbst aufstellt und die Gerichte bei Anfechtungen nach ihnen entscheiden, dann ist es egal, wie die Wähler*innen abstimmen. Bis Mai 2022 hatte das Republican National Committee (RNC) bereits circa 12.000 Wahlhelfer*innen und mehr als 5.000 Wahlbeobachter*innen rekrutiert, die für die Durchsetzung dieser Regeln sorgen werden (Berzon 2022).

In Staaten wie Florida, wo die Republikaner bereits zentrale Institutionen unter ihre Kontrolle gebracht haben – in dem Fall nicht nur die beiden gesetzgebenden Kammern, sondern auch das Amt des Generalstaatsanwalts sowie des Secretary of State, zu dessen Aufgaben die Kontrolle des Wahlprozesses gehört (Scheppele 2022) –, konnten kontroverse Gesetzesvorhaben flott verabschiedet werden: von strengen Abtreibungsverboten über Restriktionen von Migranten- und Arbeiterrechten bis hin zu Verboten bestimmter Schulunterrichtsinhalte (gender ideology, critical race theory etc.).

Diese aggressive Politik der rechten Republikaner unterminiert bereits das System der Gewaltenteilung, in dem sowohl über horizontale (von Exekutive, Legislative und Judikative) als auch über vertikale Machtkontrolle (Einzelstaaten und Bundesregierung im föderalen System) das Machtgleichgewicht zwischen den Verfassungsorganen gesichert werden soll. Da die Republikaner im Senat entschieden haben, sämtliche Reformvorhaben der Demokraten zu blockieren – auch solche, die im Interesse der von ihnen vertretenen Wähler*innen sind –, funktioniert die Logik der sich wechselseitig kontrollierenden Institutionen nicht mehr, sie wird durch Parteipolitik außer Kraft gesetzt. Dank der äußerst knappen Mehrheit der Demokraten im Senat und dank Filibuster konnte die Republikanische Partei so den Senat phasenweise kapern;, den Obersten Gerichtshof hat sie bereits mit Trumps Besetzungen erobert. Mehr als die Hälfte der Einzelstaaten sind bereits in ihren Händen, wo sie vor Ort sowohl die Rechtslage als auch die Institutionen verändern.

Dabei streben die Republikaner nicht nur nach der Übernahme politischer Ämter, sondern sie verfolgen auch Pläne zur Übernahme der öffentlichen Verwaltung: Sie bereiten die Auswechslung der Beamten im Öffentlichen Dienst vor. Wie die Nachrichtenseite Axios aufgedeckt hat, sah eine Executive Order Trumps vom Oktober 2020 vor, Tausende von Staatsbeamten zu entlassen und durch loyale Leute zu ersetzen. Dieser als Schedule F bekannte Plan betraf also nicht nur die circa 4.000 politischen Besetzungen, die jeder neue Präsident auswechseln darf. Er ging auch weit über die typischen Zielscheiben der Rechten – wie die Umweltschutzbehörde oder die Steuerbehörde – hinaus, indem er entsprechende Säuberungen auch für die Sicherheitsbehörden, das FBI, das Justiz- und das Außenministerium sowie das Pentagon vorsah. Eigentlich genießen die Karrierebeamten hier eine hohe Beschäftigungssicherheit, sie führen ihren Dienst normalerweise weiter, egal welche Partei die neue Regierung bildet. Biden hat dieses Dekret nach seinem Amtsantritt sofort aufgehoben, Trump jedoch hat wissen lassen, dass er diese Pläne, die diverse Gruppen in seinem Umfeld weiter ausarbeiten, innerhalb der ersten 100 Tage umsetzen werde, sollte er die Wahl 2024 gewinnen (Swan 2022). Die rechten Thinktanks und Trainingslager komplementieren diese Vorbereitungen, indem sie ein Heer loyaler, in America First-Politik ausgebildeter Jungkonservativer produzieren. Und eine neu gegründete Institution, das Conservative Partnership Institute (CPI), bildet einen wichtigen Angelpunkt der Vorbereitungen auf die Zeit nach der erhofften Machtübernahme 2025: Es akquirierte Millionen an Spendengeldern, seine Hauptaufgabe besteht darin, »ideologisch einwandfreie Mitarbeiter für GOP-Abgeordnete und die nächste republikanische Regierung zu rekrutieren, auszubilden und zu befördern« (Swan 2022).

Zwar kann diese radikale Rechte keine Mehrheiten in der Wahlbevölkerung generieren, aber sie nutzt sehr geschickt die Ressentiments verschiedener »Globalisierungsverlierer«, insbesondere der kleinstädtischen und ländlichen Bevölkerung, die seltener über höhere Bildungsabschlüsse verfügen als die »gebildeten Städter«. Letztere erscheinen oft so, als blickten sie herab auf die von Hillary Clinton einst als »beklagenswert« bezeichneten Trump-Unterstützer, die sie als »rassistisch, sexistisch, homophob, fremdenfeindlich und islamfeindlich« beschrieb (Roberts 2021). Umso leichter fällt es den Republikanern, solche Communitys zu mobilisieren – und sie sogar über ihre eigenen, schon existierenden Netzwerke, wo sie sich als Eltern von Schulkindern oder über ihre Kirchengemeinden organisieren, anzusprechen (Adler-Bell 2022).

Die Demokraten als Verteidiger einer liberalen Gesellschaft

Die Demokratische Partei stützt sich nach wie vor primär auf urbane, »politisch korrekte« Milieus, obwohl sich Anhaltspunkte dafür häufen, dass sie in ländlichen Regionen durchaus Verluste wettmachen könnte (Economist 2022b). Sorgen um die Wirtschafts- und Arbeitsmarktentwicklung, die steigende Inflationsrate und Angst vor einer Rezession entfremdeten diese Kreise weiter und produzierten sogar in der städtischen Klientel Unzufriedenheit. Die Biden-Regierung hat weder vermocht, die Verschuldung der Studierenden signifikant zu erleichtern, noch die Rechte der Gewerkschaften zu stärken, noch Polizeibrutalität einzudämmen; weder hat sie die versprochene Gesetzgebung zum Schutz des Wahlrechts umgesetzt noch verhindert, dass Build Back Better zu einem Bruchteil des ursprünglichen Entwurfs reduziert wurde. Viele werfen ihr vor, dass ihr der notwendige Kampfwille fehle, dass Biden stattdessen immer wieder auf überparteiliche Zusammenarbeit setze und den Kompromiss suche – mit einer doch offensichtlich nicht-kompromissbereiten Gegenseite.

Die Konsequenzen all der unerfüllten Wahlversprechen schlagen sich längst in gefallenen Popularitätsraten und wachsendem Vertrauensverlust nieder (Epstein 2022). So blieb der zunächst viel gepriesene »Aufbruch« der Biden-Regierung in Bezug auf sowohl Repräsentation als auch Redistribution beschränkt oder symbolisch, war in jedem Fall so gestaltet, dass er kompatibel mit einer sich vertiefenden Gesellschaftsspaltung blieb. Denn die Politik der Erweiterung von (gruppenbasierten) Rechten ohne eine gleichzeitige Erweiterung von Ressourcen der unteren Klassen lässt die zugrunde liegenden Treiber der Polarisierung außer Acht – und dient sogar dazu, die wirtschaftlich benachteiligten Gruppen untereinander zu spalten. Auch die (limitierten und von Zugeständnissen an fossile Industrien konterkarierten) Fortschritte in der Klimapolitik zielen keineswegs auf die von der Förderung und den Pipelines negativ betroffenen Communitys, sondern setzen primär auf Marktanreize, Steuererleichterungen und Subventionen für Unternehmen.

Es handelt sich also um einen neoliberalismus-immanenten »Aufbruch«, um den Versuch der unter dem Dach der Demokraten versammelten Elitenkoalition, der Vielfachkrise des neoliberalen Modells zu begegnen. Dieses auf neoliberaler Wirtschaftspolitik und multikultureller Gesellschaftspolitik basierende Programm der Demokraten konkurriert mit dem nationalistisch-protektionistisch orientierten Flügel der Eliten, innerhalb dessen der Machtkampf zwischen traditionell (Neo-)Konservativen wie Liz Cheney oder Mike Pence und den um Trump versammelten radikaleren America First-Kräften noch nicht entschieden ist.

Die Demokraten rechneten sich bei den Vorwahlen im Herbst 2022 bessere Chancen aus, wenn ihren Kandidat*innen extreme und deshalb für unwählbar gehaltene republikanische Konkurrent*innen gegenüberstehen. Das für die Kongresswahlen zuständige Parteikomitee der Demokraten (DCCC) ging so weit, ultrarechte Kandidat*innen, die die Republikanische Partei in ihren Vorwahlen aufgestellt hat, durch Finanzierung von Wahlwerbung direkt zu unterstützen, in der Hoffnung, so den eigenen Kandidat*innen ein leichteres Spielfeld für den November zu verschaffen. Sie gab dafür mehr als 40 Millionen Dollar aus (McCarthy 2022). Das führte etwa in Michigan in dem knappen Rennen zwischen dem glühenden Trump-Anhänger John Gibbs und einem der wenigen Republikaner im Kongress, die es gewagt hatten, für die Amtsenthebung Trumps zu stimmen, Peter Meijer, dazu, dass Gibbs den Sieg davontrug. Auch in Texas, Ohio und Indiana gewannen sämtliche von Trump unterstützten Kandidat*innen die jeweiligen Rennen um die Aufstellung für Sitze im Kongress oder für Ämter auf einzelstaatlicher Ebene auf Kosten gemäßigterer republikanischer Kandidat*innen (Heer 2022; Weisflog 2022; Weisman 2022). Diese Methode ist zwar riskant, aber indem sie den Fokus auf die Wahl zwischen einem illiberalen Autokraten und einem liberalen Demokraten richtet, erlaubt sie den Demokraten, für sie negative Themen wie das sinkende Wirtschaftswachstum, die Inflation und die ständig wachsende Polarisierung zwischen Arm und Reich zweitrangig zu machen.

Obwohl die Demokratische Partei zu vielen der aktuell umstrittenen Themen – vom Recht auf Abtreibung bis zur Kontrolle des Waffenbesitzes – die Mehrheit der (Wahl-)Bevölkerung hinter sich hat, gelang es ihr nicht, die verschiedenen GrassrootsMobilisierungen der letzten Zeit für sich zu nutzen. Vor allem ihre Bemühungen, von der Energie der Black Lives Matter-Bewegung (BLM) zu profitieren, erwiesen sich als problematisch: Während demokratische Bürgermeister*innen sporadische Gesten in Richtung Beschränkung oder Regulierung ihrer Polizeikräfte unternahmen, übte sich die Parteiführung in halbherziger Umarmungspolitik und gleichzeitigem Meiden der politisch unbequemen Forderungen der Bewegung. Letztlich verwandelte das Parteinarrativ der Demokraten die abolitionistische Kritik der Bewegung – dass das Problem nicht nur in der Polizei besteht, sondern in der Gesellschaftsordnung, die sie notwendig macht – in eine Unmenge von Solidaritätsbekundungen und Spenden an NGOs sowie in eine wahre Industrie von DEI- (diversity, equity, inclusion) und Antirassismus-Trainings für Vorstandsetagen nach dem Muster der Beratungsangebote von Robin DiAngelo.

Während die Politik der Biden-Regierung so viele Forderungen aus den Bewegungen scheinbar aufgreift, aber verdreht, vernachlässigt sie weiter die wachsende Gesellschaftsspaltung und die Enteignungs- und Entrechtungsprozesse gegen die unteren Schichten, ja treibt sie voran. Wahlstimmen aus diesen Lagern erhofft sie dennoch, weil die scheinbar einzige Alternative, die Trump-Republikaner, als illiberale, demokratiebedrohende Kraft dargestellt und von vielen auch so erfahren wird.

Der Präsident selbst bediente sich dieser Rhetorik, als er mit einer vielbeachteten Rede am 1. September 2022 vor der Unabhängigkeitshalle in Philadelphia in den Wahlkampf eingriff.[2] Er attackierte den politischen Gegner als extremistische Bedrohung der amerikanischen Demokratie, indem er die »MAGA-Republikaner« als Verkörperung eines »Extremismus, der die Grundfesten unserer Republik bedroht« beschrieb. Diese würden zwar nicht die Mehrheit der Republikaner repräsentieren. Doch indem Biden ihre Ziele benannte, bezog er nicht nur die Leugner des Wahlergebnisses von 2020 und die Kapitol-Stürmer und ihre Unterstützer mit ein, sondern auch all jene, die – aus welchen Gründen auch immer – Abtreibungen oder die Ehe für alle ablehnen. Damit steckt er Millionen von gläubigen Christen und Sozialkonservativen in die gleiche Schublade wie militante Oath Keepers oder Proud Boys[3] und erklärt sie allesamt zum inneren Feind, zur »semi-faschistischen« Bedrohung der amerikanischen Demokratie. Bret Stephens (2022) hebt hervor, dass solche Rhetorik die Demokraten weniger als einzig wählbare Partei, sondern vielmehr als »Partei der Scheinheiligkeit und Herablassung« erscheinen lässt, wie es vor Biden bereits Hillary Clinton mit ihrer Beleidigung von Millionen von Trump-Wählern als »deplorables« gelungen war.

Die Bewegungslinke im Bann von Parteipolitik

Wie viele amerikanische soziale Bewegungen mutierte auch der BLM-Protest zu großen Teilen in ein Geflecht von Nonprofits, Lobby-Organisationen und parteinahen Wahlkampf-Unterstützern, und wurde so zunehmend abhängig von Stiftungen und kontrolliert von professionellen Wahlstrategen. Die auf Gesellschaftsveränderung zielenden Forderungen wurden dabei häufig verengt in Richtung Black identity und/oder absorbiert in die Diversity-Politik der Biden-Regierung. Auch die sozialistische Linke ist, dank ihres Fokus auf elektorale Politik, stark in den Bann der Parteilogik der Demokraten geraten. Die nach anfänglichen Kontroversen innerhalb der Democratic Socialists of America (DSA)[4] (über einen »sauberen« vs. einen »schmutzigen Bruch« mit der Demokratischen Partei) bald herbeigeführte Entscheidung, sich auf Wahlen als besten Weg zur Gesellschaftsveränderung zu konzentrieren, wurde noch bestärkt angesichts des drohenden Verlusts demokratischer Mehrheiten in Washington im November 2022. Damit wächst auch der Druck auf die Linke, das von der zentristischen Parteiführung der Demokraten verkörperte neoliberale Herrschaftsmodell nicht mehr zu kritisieren, sondern sich für einen »progressiven Neoliberalismus« stark zu machen, um so die Machtübernahme der »MAGA-Kräfte« zu verhindern (siehe Gitlin u.a. 2021).

Nicht nur die DSA-Entscheidung, die Wahlkämpfe linker Kandidat*innen (vermittelt über den Apparat der Demokratischen Partei) als zentrale Mobilisierungsstrategie zu nutzen, verknüpfte die Organisation enger mit der Partei; auch inhaltlich mischten sich zusehends »progressiv-neoliberale« Positionen mit den klassisch linken, antikapitalistischen Forderungen. Ob bei den Green-New-Deal-Konzepten, die bei DSA häufig von techno-modernistischen »Lösungen« wie Geoengineering gekennzeichnet sind, oder bei den stark auf Anreize (statt Regulierung) setzenden Infrastrukturpaketen: Allzu oft setzt auch die Linke unkritisch auf mehr »Wachstum« (auch »grünes Wachstum« bleibt schließlich problematisch) und begnügt sich mit der Stärkung der Kaufkraft der verarmenden unteren Klassen, anstatt die Aufhebung der Klassenspaltung selbst zum Ziel zu machen.

Obendrein blieb auch die Linke nicht untangiert von der den gesamten progressiven Sektor erfassenden Welle interner Auseinandersetzungen über den Umgang mit racial– und Gender-Gerechtigkeit in den eigenen Reihen sowie darüber, ob man mit Organisationen, deren Agenda man nicht in Gänze unterstützt, in Koalitionen zusammenarbeiten kann. Dagegen erhoben sich, unter anderem bei der Berliner Jacobin-Konferenz im Juni 2022[5] mahnende Stimmen. Vivek Chibber und Cedric Johnson warnten, dass Identitätspolitik in die Sackgasse führe, und betonten, wie wichtig es sei, die Arbeiterklasse ins Boot zu holen, wenn sich (nicht nur) die amerikanische Linke nicht in die politische Bedeutungslosigkeit manövrieren wolle.[6]

Es hat sich gezeigt. dass den verschiedenen Bereichen, wo progressive Organisationen engagiert sind – von gewerkschaftlicher Selbstorganisation und Umwelt- und Klimapolitik über Kämpfe um reproduktive Selbstbestimmung bis hin zu migrantischen und People of Color-Bewegungen und ihren Auseinandersetzungen mit den repressiven staatlichen Institutionen –, durchaus auch widerständige und an Klassenpolitik orientierte Gruppen aktiv sind, vor allem auf lokaler Ebene. Bisweilen organisierten sich solche Gruppen auch erst in Auseinandersetzung mit den aktuellen Vereinnahmungstrends von Stiftungen, Konzernen und Partei-Demokraten, wie die von BLM-Global Networks[7] abgespaltenen lokalen Chapters.

Auch die Zusammenarbeit anlässlich lokaler Arbeitskämpfe zwischen sich organisierenden Arbeiter*innen, Lehrer*innen oder Amazon-Belegschaften mit DSA- und anderen linken Aktivist*innen eröffnet häufig hoffnungsvolle Perspektiven auf eine Erweiterung sozialistischer Politik über die klassischen städtischen Milieus hinaus. Ebenso kommt es bei Wahlkampagnen für linke, feministische Herausforderinnen – wie die Menschenrechtsanwältin Jessica Cisneros in Süd-Texas, die bei den Vorwahlen für die demokratische Nominierung für den Kongresssitz ihres Distrikts antrat – gelegentlich zu Mobilisierungsschüben, die weit mehr und unterschiedlichere Bevölkerungsgruppen erreichen und politisieren als normalerweise. Zudem hätten sie das Potenzial, den progressiven Block im Kongress zu vergrößern, was im Fall von Cisneros durch die Unterstützung der Parteiführung für ihren Gegner, den Amtsinhaber und Abtreibungsgegner Cuellar, allerdings torpediert wurde (Ulloa 2022).

Dass solche Erfahrungen sich häufen, wird angesichts des wachsenden Drucks auf die Linke, sich gemeinsam mit den Demokraten gegen die radikalisierten Trump-Republikaner aufzustellen, wohl eher unwahrscheinlich. Die Linken, die zurzeit in Positionen der Macht sind, priorisieren jedenfalls inzwischen den Kampf gegen die Bedrohung durch Trumps America First-Projekt. Und genauso eindeutig, wie sie im Innern gegen die Bedrohung durch Trump und seine radikalisierte Republikanische Partei antreten, treten sie außenpolitisch der Bedrohung durch das »faschistische Russland« entgegen. So haben die linken Repräsentanten im Kongress, Bernie Sanders sowie die Mitglieder des Progressive Caucus und des Squad[8], bei den Abstimmungen über massive Militärhilfen für die Ukraine geschlossen mit der Demokratischen Partei gestimmt. Im März bewilligte der Kongress bereits 13 Milliarden Dollar und im Rahmen eines Nachtragshaushalts im Mai die gigantische Summe von 40 Milliarden, wovon der Großteil direkt an die amerikanischen Rüstungsfirmen ging.

Damit haben die amerikanischen parlamentarischen Linken ihre früheren Anti-Kriegs-Positionen aufgegeben und auch ihre vorherigen besorgten Statements über eine militärische Eskalation in der Ukraine widerrufen (Maté 2022). Wenn das politische Feld erst einmal durch die Dichotomie Totalitarismus vs. Liberalismus definiert ist, ist schließlich nur der Liberalismus wählbar, womit der neoliberale Kapitalismus nicht mehr als Problem, sondern als die Lösung erscheint – auch für die Linke.


[1] CPAC steht für Conservative Political Action Coalition, eine der einflussreichsten konservativen politischen Organisationen der USA. Es handelt sich um einen Dachverband, der den Trump-folgenden Teil der Republikanischen Partei mit anderen extrem-konservativen Organisationen vereint. Auf der jährlichen Konferenz, bei der führende rechte Politiker in einer von rechten Medien definierten Stimmung mit der konservativen Basis zusammenkommen, herrscht die alternative Realität, in der Trump die 2020er Wahl nicht verloren hat und die Demokratische Partei eine Verschwörung autoritärer ‚Globalisten‘ ist.

[2] www.nytimes.com/2022/09/01/us/politics/biden-speech-transcript.html.

[3] Die 2009 gegründeten Oath Keepers beanspruchen, die Verfassung der USA zu verteidigen und wenden sich primär gegen die amerikanische Regierung. Sie ist eine der größten rechtsextremen Organisationen mit einer hohen Mitgliedschaft ehemaliger Polizei- und Militärangehöriger. Die ebenfalls rechtsextremen Proud Boys existieren seit 2016 als ausschließlich männliche, anti-progressive und militante Organisation. Beide beteiligten sich aktiv am Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021.

[4] Die aus der Neuen Linken hervorgegangene, 1980 gegründete Organisation Democratic Socialists of America (DSA) hatte seit Bernie Sanders‘ Präsidentschaftskandidatur 2016 ein explosionsartiges Wachstum erfahren, das sich mit den Erfolgen der DSA-Mitglieder Alexandria Ocasio-Cortez  und Rashida Tlaib noch steigerte. Heute zählt die Organisation fast 100.000 Mitglieder, die in 240 relativ autonomen Ortsgruppen organisiert sind. Ihre Geschichte, Praxis, internen Debatten und die Veränderungen im Kontext des Biden-Regimes werden im Buch ‚Die US-Linke und die Demokratische Partei‘ ausführlich analysiert.

[5] https://shop.jacobin.de/wp-content/uploads/2022/06/socialism-in-our-time-program.pdf.

[6] https://shop.jacobin.de/socialism-in-our-time-2022?mtke=47.

[7] Die bereits 2013 gegründete Organisation #Black Lives Matter (BLM) entwickelte sich aus Protesten gegen rassistische Polizeigewalt zu einem bald landesweiten Netzwerk von 30 lokalen Chapters mit zunächst recht heterogener Ausrichtung. Die nationale Organisation erzielte nicht nur große politische Aufmerksamkeit, sondern auch enorme Zuwendungen sowohl von philanthrokapitalistischen Geberorganisationen und Konzernen als auch durch Kleinspenden. Der Höhepunkt der Zuwendungen wurden im Sommer 2020 nach der Ermordung von George Floyd erreicht, deren großer Teil bei #BLM landete. In der Folge strukturierte sich diese Organisation um in drei je unterschiedliche Zwecke verfolgende Einheiten: das (die nationale Führung umfassende) BLM Global Network, einen politischen Arm, das BLM Political Action Committee, und einen Bewegungs-Arm, BLM-Grassroots. Das BLM Global Network umfasst nun zugleich eine Stiftung, die BLMGN Foundation, um Gelder für grassroots organizing zu verteilen. Auch diese Entwicklung wird im Buch detailliert dargestellt.

[8] 2018 gewannen die progressive Kandidatinnen Ilhan Omar in Minnesota, Rashida Tlaib in Michigan, Ayanna Pressley in Boston und Alexandria Ocasio-Cortez (AOC) in New York die Wahlen für das Abgeordnetenhaus. Als junge, weibliche People of Color verkörperten sie einen neuen, radikalen Typ von Abgeordneten, die allesamt nicht durch die Unterstützung der klassischen Sponsoren aus der Wirtschaft, sondern dank progressiver Netzwerke wie Justice Democrats, Sunrise Movement, und Democratic Socialists of America gewonnen hatten. Die Bezeichnung Squad wurde ursprünglich von AOC für die vier 2018 gewählten progressiven neuen Haus-Mitglieder geprägt. Trump schlug diesen 2019 vor, in die Länder zurückzugehen, aus denen sie kommen Nach der 2020er Wahl kamen Cori Bush und Jamaal Bowman – ebenfalls PoC – dazu.

Literatur

Adler-Bell, Sam (2022): The Democratic Party is wasting its grassroots energy, New York Magazine, 24.4., https://nymag.com/intelligencer/2022/04/the-democratic-party-is-wasting-its-grassroots-energy.html

Berzon, Alexandra (2022): Lawyer who plotted to overturn Trump loss recruits election deniers to watch over the vote, NYT, 30.5., https://www.nytimes.com/2022/05/30/us/politics/republican-poll-monitors-election-activists.html

Economist (2022a): Why is the American right obsessed with Viktor Orban?, 4.8., https://www.economist.com/the-economist-explains/2022/08/04/why-is-the-american-right-obsessed-with-viktor-orban

Economist (2022b): Democrats are wrong to give up on rural America, 18.8., https://www.economist.com/united-states/2022/08/18/democrats-are-wrong-to-give-up-on-rural-america

Epstein, Reid J. (2022): As faith flags in U.S. government, many voters want to upend the system, NYT, 13.7., https://www.nytimes.com/2022/07/13/us/politics/government-trust-voting-poll.html

Gitlin, Todd, Jeffrey C. Isaac, William Kristol (2021): An open letter in defense of democracy. The future of democracy in the U.S. is in danger, The Bulwark, 27.10., https://www.thebulwark.com/an-open-letter-in-defense-of-democracy/;  The New Republic, 27.10., https://newrepublic.com/article/164153/open-letter-defense-democracy

Heer, Jeet (2022): Why centrist Democrats love promoting rightwing extremists, The Nation, 24.6., https://www.thenation.com/article/politics/centrist-democrats-right-wing-gop/

Maté, Aron (2022): Funding the Ukraine Proxy War, Bernie Sanders and the Squad abandon progressives and peace, 24.5., Substack, https://mate.substack.com/p/funding-the-ukraine-proxy-war-bernie

McCarthy, Dario (2022): Democrats spend millions on Republican primaries, OpenSecrets, 15.7., https://www.opensecrets.org/news/2022/07/democrats-spend-millions-on-republican-primaries/

Roberts, Roxanne (2021): Hillary Clinton’s ‘deplorables’ speech shocked voters five years ago – but some feel it was prescient, Washington Post, 31.8., https://www.washingtonpost.com/lifestyle/2021/08/31/deplorables-basket-hillary-clinton/

Scheppele, Kim Lane (2022): What Donald Trump and Ron DeSantis are learning about the politics of retribution, NYT, 24.5., https://www.nytimes.com/2022/05/24/opinion/trump-desantis-viktor-orban.html

Stephens, Bret (2022): With malice toward quite a few, NYT, , 6.9., https://www.nytimes.com/2022/09/06/opinion/biden-speech-maga-republicans.html

Swan, Jonathan (2022): A radical plan for Trump’s second term, Axios, 22.7., https://www.axios.com/2022/07/22/trump-2025-radical-plan-second-term

Ulloa, Jazmine (2022): Cuellar defeats Cisneros in South Texas primary runoff, recount shows, NYT, 21.6., https://www.nytimes.com/2022/06/21/us/politics/cuellar-defeats-cisneros-texas-primary-runoff.html

Weisflog, Christian (2022): Die Demokraten tanzen mit dem Teufel, NZZ, 5.8., https://www.nzz.ch/international/john-gibbs-die-demokraten-tanzen-mit-dem-teufel-ld.1696550

Weisman, Jonathan (2022): Democrats’ risky bet: Aid G.O.P. extremists in spring, hoping to beat them  in fall, NYT, 16.6., https://www.nytimes.com/2022/06/16/us/politics/democrats-midterms-trump-gop.html

Anm. der Redaktion: Beim vorliegenden Text handelt es sich um die überarbeitete Fassung des Schlusskapitels des Buches von Margit Mayer mit dem Titel “Die US-Linke und die Demokratische Partei. Über die Herausforderungen progressiver Politik in der Biden-Ära”. Das Buch erscheint demnächst im Verlag Bertz + Fischer, Berlin. Es ist sehr lesenswert. Und es gibt eine “Leseprobe” des ersten Kapitels bei www.bertz-fischer.de/us-linke.