Was mit einem Virus gemacht wird – Rainer Fischbachs Kritik der Corona-Politik

Joachim Hirsch

Nach den Jahren des Ausnahmezustandes während der Corona-Krise scheint hierzulande erst einmal wieder eine gewisse Normalität eingekehrt zu sein. Die vielfältigen Folgen in Politik und Gesellschaft wiegen allerdings schwer. Was die staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung des Virus angeht, so wird auch in der etablierten Öffentlichkeit inzwischen eingeräumt, dass einige davon, z.B. die Schließung von Schulen, Kindergärten oder Spielplätzen wenig sinnvoll, wenn nicht angesichts der damit verbundenen „Kollateralschäden“ sogar destruktiv waren. Was allerdings immer noch fehlt, ist eine systematische Aufarbeitung und Evaluierung der Corona-Politik. Was angesichts der damit einhergehenden massiven Grundrechtseingriffe dringend anstünde. Im Gegenteil: es scheint sogar ein gewisses Interesse daran zu bestehen, eben diese zu verhindern.

Rainer Fischbach will mit seiner Schrift nachweisen, dass die eigentliche Krise in einer inadäquaten – nicht nur staatlichen, sondern vor allem auch die Medien betreffenden – Reaktion auf das Auftreten des Virus zu sehen ist. Er geht nicht davon aus, dass hinter der Corona-Politik ein kohärenter Plan oder ein zentraler Akteur gestanden habe, distanziert sich also von simplen Verschwörungstheorien. Vielmehr hätten die Regierungen angesichts der mit Schockbildern vor allem aus Norditalien unterlegten medialen Panikmache unter einem Handlungsdruck gestanden, dem sie glaubten nachgeben zu müssen. Bei ihren Maßnahmen stützten sie sich auf Expertenwissen und wissenschaftliche Ergebnisse und bezogen daher ihre Legitimation. Und genau hier setzt Fischbachs Kritik ein, die einen wesentlichen Teil seiner Ausführungen ausmacht.

Wenn Wissenschaft und Forschung nicht als offener Prozess wahrgenommen werden, dessen Ergebnisse immer wieder eingeordnet, überprüft und gegebenenfalls revidiert werden müssen, erhalten ihre Ergebnisse den Charakter feststehender Tatsachen und werden damit eher zu einer Art Glaubensbekenntnis.

Dabei wäre gerade im Fall dieses neuartigen Virus bei der Bewertung von Expertenmeinungen und Forschungsergebnissen besondere Vorsicht geboten gewesen, statt sie zu politisch handlungsleitenden Autoritäten zu stilisieren. Das sei nicht geschehen, abgesehen von der Abwertung von Stellungnahmen jenseits des wissenschaftlichen Mainstreams. So sei z.B. in praktisch allen vorliegenden Untersuchungen die mögliche Wirksamkeit von anderen, nicht unmittelbar mit dem Virus in Zusammenhang stehenden Erkrankungsursachen, d.h. Lebensverhältnisse, allgemeiner Gesundheitszustand, Luftverschmutzung, Zustand des Gesundheitssystems u.a.m. praktisch unberücksichtigt geblieben. Diese Faktoren hätten bei der Bewertung der extrem hohen Erkrankungs- und Sterberaten z.B. in Norditalien, aber auch Großstädten wie New-York mit herangezogen werden müssen, um die Gefährlichkeit des Virus und die Ursachen von Erkrankungen einschätzen zu können. Auf diese Eindimensionalität, die sich auf die Untersuchung isolierter Ursachen-Wirkungszusammenhänge beschränkt, richtet sich Fischbachs Kritik im Besonderen. Dazu kommen die gerade in der medizinischen Forschung verbreiteten methodischen Unzulänglichkeiten. Ein Beispiel dafür liefert die – von Fischbach nicht mehr berücksichtigte – Analyse von Studien über Post-Covid-Erkrankungen, die von zwei Forschern der der University of California, San Francisco und der St. Georgs-University London vorgenommen wurde und die bei der großen Mehrzahl derart gravierende methodische Mängel feststellten mussten, dass ihre Ergebnisse praktisch wertlos sind. Die Schlussfolgerung ist: „Ja, es gibt eine ansehnliche Reihe von gut bewährten wissenschaftlichen Ergebnissen, doch reichen die weder aus, um eine Weltanschauung zu fundieren, noch dazu, das Handeln anzuleiten“ (89). Und die schon gar nicht die Errichtung eines autoritären Ausnahmestaats rechtfertigen können.

Dies führt zu einer grundsätzlichen Kritik des herrschenden gesellschaftlichen Naturverhältnisses, das „Natur“ als dem „Menschen“ gegenüber als fremd, feindlich, gefährlich und nicht als Teil des lebendigen Organismus ansieht, etwa unterschlägt, dass Viren oft dessen notwendiger und oft nützlicher Bestandteil sind und – etwa durch die Stimulierung körpereigener Abwehrkräfte – zu seiner Erhaltung beitragen. Das führt dazu, einen als gefährlich erachteten Virus durch medizinisch-technische Mittel, etwa massenhafte Impfungen zu bekämpfen statt auf die Wirksamkeit der natürlichen Abwehr zu vertrauen und für deren Erhaltung zu sorgen: Stichwort Lebensverhältnisse. In diesem Zusammenhang kommen natürlich noch andere wichtige Akteure ins Spiel, insbesondere die Pharma- Medizingeräte- und IT-Industrie oder Maskenhersteller und -händler, denen sich mit der eingeleiteten Politik ungeahnte Profitchancen eröffneten. Und dies mit dem illusionären Versprechen, den Virus ausrotten zu können. Statt Maßnahmen zu ergreifen, um mit ihm leben zu können. Fischbach lehnt Impfungen nicht grundsätzlich ab, soweit sie besondere Risikogruppen betreffen, hält aber massenhafte Injektionen mit einem hastig zugelassenen Impfstoff wegen ihrer recht begrenzten Wirksamkeit und der damit verbundenen – und im Übrigen auch noch nicht genau untersuchten – Risiken und Nebenwirkungen für höchst gefährlich.

Die Corina-Krise habe die Tendenz zu Errichtung eines autoritären Überwachungsstaats, eines „biopolitischen Kontrollregimes“ auf Basis einer durchgängigen Medikalisierung der Gesellschaft erheblich verstärkt. Es deute sich eine Welt an, in der jede Bewegung und jede Aktivität elektronisch überwacht und gesteuert werde. Im Cyberspace verschwinde tendenziell der unmittelbare Kontakt lebendiger Menschen zugunsten einer elektronisch vermittelten Kommunikation zwischen atomisierten Individuen – dies auch mit erheblichen politischen und psychosozialen Folgen. Lebendige Menschen mit ihrer Individualität erschienen nur noch als abstrakte Ansammlungen von Laborergebnissen und Daten.

In diesem Zusammenhang steht auch die Kritik an großen Teilen der Linken, denen Fischbach vorwirft, eben diese Entwicklung erheblich mit vorangetrieben zu haben. Sie taten sich damit hervor, die staatlichen Maßnahmen zu verteidigen oder gar noch weiter reichende Freiheitseinschränkungen zu fordern, als hätte es nie eine Kritik an kapitalistischen Staat und der kapitalistischen Ökonomie gegeben. Man denke nur an die völlig illusionäre, sich selbst als „links“ bezeichnende „Zero-Covid“-Initiative. Eine theoretisch fundierte kritische Auseinandersetzung mit der Corona-Politik hat es von linker Seite praktisch nicht gegeben. Nicht zuletzt dadurch wurde den Rechten ein öffentlicher Raum überlassen, wovon sie bis heute profitiert. Die Wahlerfolge der AfD haben einiges damit zu tun. In der Tat bezeichnet dies eine wesentliche Ursache des offenkundigen Niedergangs, der sich mit ihrem Verhalten zum Ukraine-Krieg weiter verstärkt hat. Die Gründe für diese, die politischen Verhältnisse einschneidend verändernde Entwicklung zu untersuchen, wäre eine immer noch zu leistende Aufgabe.

Ein eigenes Kapitel widmet Fischbach der Frage, woher der Virus eigentlich stammt. Eine Erklärung spricht von einem natürlichen Ursprung, d.h. er sei von Tieren auf die Menschen übertragen worden. Die andere behauptet, er sei aus einem Labor entwichen, das sich mit gentechnischen Manipulationen beschäftigt. Während die einschlägigen Experten die Laborhypothese für zweifelhaft, wenn nicht für falsch halten, führt der Autor eine Reihe von Gründen an, die für sie sprechen. Das wiederum hängt mit einem speziellen Aspekt der sognannten Globalisierung zusammen, nämlich der Verlagerung riskanter Forschungen in Länder, in denen sie Sicherheitsvorschriften gering sind oder lax gehandhabt werden – aus Gründen der Kostenersparnis.

Die von Fischbach gezogene Schlussfolgerung ist, dass der Kampf gegen den Covid-Virus wie auch gegen andere, sehr massive Opfer fordernde Infektionen nicht vorrangig eine Angelegenheit der Medizin oder Pharmazie, sondern der gesellschaftlichen und ökonomischen Verhältnisse sei, die es zu verändern gelte. Die Corona-Krise sei im Wesentlichen eine Umweltkrise und eine Krise der globalen Ökonomie.

Eine Beurteilung von Fischbachs Schrift ist nicht ganz einfach. Das hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass es sich dabei um eine Sammlung früher erschienener, z.T. überarbeiteter und aktualisierter Aufsätze handelt, was viele Redundanzen mit sich bringt, die Argumentationsgänge verundeutlicht und damit die Lektüre ziemlich erschwert. Eine gründliche redaktionelle Überarbeitung hätte da gutgetan. Dies führt auch zu gewissen argumentativen Inkonsistenzen, z.B. im Umgang mit der Impfung, wo neben einer sachlichen Einschätzung ihrer Wirkung auch Polemiken stehen, die den Verfasser in die Nähe pauschalisierender Impfgegner rücken. Überhaupt ist die teilweise sehr polemische Sprache oft eher störend und einer kritischen Argumentation nicht eben zuträglich. Bei der durchaus sinnvollen Auseinandersetzung mit Stellungnahmen, die Kritikern der Corona-Maßnahmen in Politik und Medien Wissenschaftsfeindlichkeit, Esoterik oder gar Rechtsradikalismus vorwerfen wird tendenziell unterschlagen, dass es eben diese Zusammenhänge durchaus auch gibt.

Abgesehen davon beinhaltet das Buch eine sehr materialreich unterfütterte Argumentation. Davon zeugt schon das sehr umfangreiche Literaturverzeichnis. Man mag damit nicht in allen Teilen übereinstimmen, einige Kritiken für überzogen oder die Plausibilität von Begründungen für zweifelhaft halten. So erscheint z.B. das geäußerte und der Argumentation zugrundeliegende Vertrauen in die natürlichen Abwehr- und Selbstheilungskräfte des menschlichen Körpers als zumindest diskutabel. Eine Auseinandersetzung mit Fischbachs Schrift ist aber auf jeden Fall lohnend. Sie wäre ein guter und wichtiger Beitrag zu einer Diskussion, die in der breiten Öffentlichkeit allerdings je weniger stattfindet als sie angesichts der gesellschaftlichen und politischen Folgen der „Corona-Krise“ am Platze wäre.

Rainer Fischbach: Ein Virus zum Beispiel. Wie eine Gesellschaft Vernunft und Humanität verlor und wie sie wiederzugewinnen wären. Verlag Shaker Media, Düren 2023, 366 Seiten.