Sozialpolitik als Bereitstellung einer sozialen Infrastruktur

Die Diskussion

Kapitalistische Sozialpolitik, wie sie historisch bei uns seit dem 19. Jahrhundert entwickelt wurde, ist Politik zur Reproduktion der Lohnarbeitskraft. Sie verstetigt das Lohneinkommen zwischen aktiven und abhängigen Phasen der Lohnarbeiter-Existenz. (Umverteilung ist sie vor allem zwischen diesen Phasen, nicht zwischen „oben“ und „unten“.) Soweit die Lohneinkommen auch den für die Wirtschaft notwendigen „Konsum“ ermöglichen, ist Sozialpolitik zugleich Wirtschaftspolitik: Sie verstetigt die Absatz-Möglichkeiten der Konsumgüter-Industrie und stützt indirekt auch andere Sektoren der Wirtschaft.

Das 2003 erstmals vorgelegte und seither mehrfach überarbeitete Konzept von „Sozialpolitik als sozialer Infrastruktur“ schlägt eine ganz andere Logik vor: Die Voraussetzungen für das gute Leben aller zu schaffen, ist die Aufgabe von Sozialpolitik. Damit geht es immer noch um Arbeit, aus der das Leben nun einmal besteht und die ja auch ihre lustvollen Anteile haben kann, aber nicht um Lohnarbeit, sondern um alle ihre Formen, besonders Hausarbeit, Eigenarbeit und freiwillige Arbeit. Diese Infrastruktur soll allen zur Verfügung stehen, völlig unabhängig von vorherigen Einzahlungen oder nachfolgenden Verpflichtungen. Infrastruktur ist alles, was die Haushalte an Leistungen brauchen, damit alle Beteiligten gut leben und sich entwickeln können, das sie aber nicht selbst produzieren können.

Sozialpolitik als die Schaffung und Sicherung von „sozialer Infrastruktur“ zu verstehen, ist nach unseren Erfahrungen vielen plausibel. Nicht zuletzt in den Debatten um ein allgemeines bedingungsloses Grundeinkommen hat der Gedanke einen festen Platz gefunden. Einiges von der Diskussion, so weit wir daran unmittelbar beteiligt waren, bleibt in der Rubrik „Sozialpolitik als Infrastruktur“ dokumentiert.

Erfreulicherweise konnten im Jahr 2011 einige Beiträge hier veröffentlicht werden, weitere sind in Aussicht gestellt. Neben Zustimmung enthalten sie selbstverständlich auch – teils sehr grundsätzliche – Problematisierungen. Deren gemeinsame Tendenz besteht einerseits im Hinweis auf eine mangelnde Berücksichtigung von Themen/Implikationen wie Migration, Geschlechtsspezifik, Öffentlichkeit, andererseits in einer generellen Skepsis gegenüber einer „intellektuellenpolitischen“, nicht an spezifische soziale Bewegungen gebundenen Intervention. Mit ihr sei ein Blick von oben und fehlende Orientierung an Fragen der Durchsetzbarkeit verbunden. Den Hinweis von Hagen Kopp auf das Ausblenden der Migration haben wir zum Anlass genommen, einen entsprechenden Abschnitt (Abschnitt VII) in das Papier einzufügen. Ansonsten steht eine ausführliche Antwort der Redaktion aus und soll in Kürze erfolgen. Die Debatten in der „großen“ Öffentlichkeit von offizieller Politik sind immer noch und besonders angesichts der Budget-Nöte, die zur „Rettung“ der Finanz-Wirtschaft und durch andere in der Situation besonders absurde Steuer-Geschenke an die Reichen herbeigeführt wurden, von radikaler Einfallslosigkeit und dem festen Willen der Herrschenden geprägt, den Leuten das Leben schwerer zu machen, vor allem denen, die es eh schon besonders schwer haben.