Hundert Jahre Rotes Wien: Selbstinszenierung einer Gegenhegemonie und was sich für „Soziale Infrastruktur“ daraus lernen lässt

Christine Resch
Einleitung: Wien-Nostalgie

Die Jahrhundertwende um 1900 in Wien ist inzwischen wahrlich gut beforscht. Gleichgültig welchen Zeitraum diese kulturelle Epoche aus der Perspektive der Autor*innen mehr oder weniger gut begründet umfassen soll, sie endete immer vor dem Aufstieg der Austrofaschisten und selbstverständlich vor der Vereinigung mit Nazi-Deutschland. (In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg war von „Okkupation“ die Rede, dann hat sich „Anschluss“ durchgesetzt.) Da wird vor allen Dingen die Wiener Moderne gefeiert – Schönberg, Kraus, Freud, Wittgenstein, Schiele, Kokoschka … Diese Epochenkonstruktion hat aber zudem den Vorteil, dass Sisi auch ihren Platz darin findet. Für den Jahrhundertwende-Tourismus ist das optimal.

Auch das „Rote Wien“, die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, ist wissenschaftlich gut bearbeitet. Zudem dient es bis heute als gerne zitiertes Vorbild für den Sozialen Wohnungsbau. Die Wiener Gemeindebauten sind legendär, die berühmten unter ihnen – der Karl-Marx-Hof und der Friedrich-Engels-Hof – längst zu touristischen Attraktionen für sozial- und architekturgeschichtlich interessierte Reisende geworden. Auch für diese Forschungen gilt in der Regel 1934 als Bruchlinie (Niederlage des Austromarxismus gegen die austrofaschistische Dollfuß-Diktatur in einem Bürgerkrieg, schließlich die Ermordung Dollfußs durch österreichische Nazis). Solche historischen Einordnungen legen es nahe, die 1920er Jahre als goldenes Zeitalter der Sozialdemokratie zu heroisieren. Dabei gerät leicht aus dem Blick, dass die 1920er Jahre eher durch einen gewaltsamen Kampf um Hegemonie gekennzeichnet waren als durch eine stabil existierende sozialdemokratische: 1927 brannte bekanntlich der Justizpalast aufgrund von Demonstrationen gegen ein (politisches) Urteil.

Buchbesprechung: Hundert Jahre Rotes Wien

Das Buch von Helmut Konrad und Gabriella Hauch (2019) Hundert Jahre Rotes Wien: Die Zukunft einer Geschichte. Wiener Vorlesungen, Bd. 193, herausgegeben für die Kulturabteilung der Stadt Wien von Daniel Löcker. Wien: Picus Verlag, macht schon aufgrund des Titels neugierig. Er verspricht, das Rote Wien in einen gesellschaftshistorischen Prozess einzuordnen und, um es vorwegzunehmen, er löst dieses Versprechen ein, soweit dies auf knapp 70 Seiten in Form zweier ausgearbeiteter Vorträge möglich ist. Für diejenigen, die zu bestimmten Aspekten an weiterführender Lektüre interessiert sind, enthält das Buch die entsprechenden Literaturverweise.

Konrad beginnt seine Analyse mit der Vorgeschichte: der Entwicklung einer europäischen Metropole („zwei Drittel der Bewohner Wiens hatten vor dem Ersten Weltkrieg anderswo ihr Heimatrecht“, S.17), dem Kampf zwischen Bürgertum und Adel (Stichwort: Ringstraße als Ausdruck der wirtschaftlichen Macht des liberalen, zumeist jüdischen Bürgertums bei gleichzeitiger politischer Machtlosigkeit), Infrastrukturmaßnahmen wie Donauregulation, Ausbau der Kanalisation, Hochquellwasserleitung, Zentralfriedhof. Darin manifestiert sich ein politischer Liberalismus, der die „soziale Frage“ aber nicht befrieden konnte und in Konkurrenz zu einem katholisch geprägten Antisemitismus stand. Karl Lueger wird Ende des 19. Jahrhunderts Bürgermeister von Wien. Lueger ist bis in die Gegenwart wegen seines Antisemitismus umstritten, das Denkmal an der Wiener Ringstraße immer wieder Gegenstand von Kontroversen. Konrad betont gleichwohl seinen Beitrag zur kommunalen Modernisierung von Wien: Elektrifizierung der Straßenbahn, Bau des Wiener Gaswerks, Bau der Stadtbahn, Gründung der Zentralsparkasse, eine kommunale Rentenversicherung sei angeregt worden.

Für die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg beschreibt Konrad, dass es der österreichischen Sozialdemokratie gelungen sei, „das revolutionäre Potenzial zu domestizieren“ als „ein europäisches Muster an politischem Geschick“:

„Einerseits gelang es, das revolutionäre Bedrohungspotenzial so hochzuhalten, dass den bürgerlichen Parteien gewaltige Zugeständnisse, etwa in der Sozialgesetzgebung, im Frauenwahlrecht oder in der Verfassung abgerungen werden konnten, anderseits wurden über das Betriebsrätegesetz und über die Arbeiterkammern die Revolutionäre in die demokratische Struktur des neuen Staats integriert.“ (S. 27)

Das Rote Wien war kein revolutionärer Umbruch, vielmehr ging es um Demokratisierung und eine gerechtere Verteilung materieller und kultureller Ressourcen. Anfang der 1920er wurden die wesentlichen Entscheidungen für das Reformwerk beschlossen: in fünf Jahren sollten 25.000 Wohnungen errichtet, der Mieterschutz reformiert, ein Gesundheitssystem, ein Bildungs- und Freizeitangebot aufgebaut werden.

Ein solches Großprojekt will finanziert sein. Es wurden direkte Steuern mit ganz starker Progression eingeführt, sowie eine Wertzuwachsabgabe auf Grundstücke, mit der Spekulationen unterbunden werden sollten. In der politischen Debatte stand die Luxussteuer (Klaviersteuer, Billardsteuer, Luxushunde, Glühlampen) im Vordergrund, die aber, so Konrad, faktisch nur für wenige Einnahmen sorgte. Die Wohnbausteuer dagegen, eine Kombination aus direkter Steuer und Luxusteuer, sollte das Geld für das ambitionierte Wohnbauprogramm aufbringen. Flankiert wurde das durch den Mieterschutz. Der private Wohnungsbau kam praktisch zum Erliegen, weil es unrentabel war, Geld in Immobilien anzulegen. (Vgl. S. 33f.) Bauen mit kommunalen Mitteln war zugleich eine antizyklische Wirtschaftspolitik und geeignet, die Zahl der Arbeitslosen zu reduzieren.

Die in den Gemeindebauten Stein gewordene Utopie war tatsächlich aber nur ein Teil einer Sozialpolitik, die tatsächlich paternalistische Fürsorge und die dazugehörige soziale Kontrolle „von der Wiege bis zur Bahre“ umfasste. (S. 40) Ehe- und Mutterberatung über Sportangebote für die körperliche Ertüchtigung bis zum Krematorium in Simmering waren Teil einer Politik, einen „gesunden Stadtorganismus“ (S. 40) herzustellen. Das Vokabular war, wie leicht zu sehen, durchaus sozialdarwinistisch affiziert. Die Rede war von „Aufzuchtoptimierung als Hauptgewicht sozialer Bevölkerungspolitik“. (S. 38f)

Die Wohnungen in den Gemeindebauten waren so zugeschnitten, dass die „Familialisierung des Proletariats“, wie Hauch einen Abschnitt überschreibt, durchgesetzt werden konnte. (S. 57) Es gab zwar gemeinsame Waschküchen, aber mit strengem Reglement und unter männlicher Aufsicht des „Herrn Waschmeisters“ (S. 56), die weniger emanzipatorische Vergemeinschaftung der Hausarbeit als Stress bedeutete und die Reproduktionsarbeit den Blicken der Männer entzog. Ideen zu Großküchen scheiterten dagegen, weil sie zu kostenintensiv waren und an den unsicheren Arbeits- und Lebensverhältnissen. Ein Versuch wird so beschrieben:

„Eine Großküche ersetzte die rund zweihundert Kleinküchen, in der zum Selbstkostenpreis Mittag- und Abendessen hergestellt wurde, die im gemeinsamen Speisesaal oder in der Wohnung eingenommen werden konnten, Hausgehilfinnen besorgten die Wohnungsreinigung, Dachterrassen für allen Bewohner_innen standen ebenso zur Verfügung wie eine Wäscherei zum Selbstkostenpreis: Das ‚Schreckgespenst: Waschtag!‘ sollte aus dem Haus ‚verbannt‘ werden.“ (S. 59)

Durchgesetzt hat sich bekanntlich die von der Wiener Architektin Margarete Schütte-Lihotzky erfundene „Frankfurter Küche“. Hauch zitiert aus einer Gemeinderatsitzung 1923:

„Es ist auch aus sittlichen Gründen nicht anzuraten, der Hausfrau alle Sorgen für den Haushalt abzunehmen. Die junge Hausfrau soll sich nur sorgen, sie soll wirtschaften und sparen lernen, das wird ihr für die Zukunft nur von Nutzen sein.“ (S. 60f.)

Das soll nicht heißen, dass es nicht auch progressive „Experimente“ gab: etwa sexualpolitische Ideen, Räume für „freie Liebe“ zur Verfügung zu stellen oder eine psychoanalytisch orientierte Fürsorge zu etablieren. Im Beitrag von Hauch, die auf die Geschlechterverhältnisse im Roten Wien fokussiert, ist das genauer nachzulesen.

Ich will hier noch den Akzent auf bildungspolitische Bestrebungen legen, die Konrad ausführt. Otto Glöckel ist der Name, mit dem diese Errungenschaften und Bestrebungen verbunden sind: freier Zugang für Frauen zu Universitäten; freiwillige Teilnahme am Religionsunterricht (Anlass für einen „Kulturkampf“); kostenlose Unterrichtsmittel, Nachmittagsbetreuung, Schulausspeisung, Kleideraktionen, Schulbäder, um die Bedürftigen nicht zu diskriminieren; Klassenschülerhöchstzahlen. Angestrebt wurde eine einheitliche Mittelschule, durchgesetzt hat sich die inzwischen völlig diskreditierte Hauptschule. Zum Bildungsprogramm gehörten auch die Etablierung von Arbeitersymphoniekonzerten und der Ausbau der Bibliotheken (mit Verboten von „Groschenromanen“).

Mit den 1930er Jahren gerät das Projekt „Rotes Wien“ in jeder Hinsicht in die Krise. Der „Finanzausgleich mit dem Bund, der politisch motivierte Kürzungen für Wien enthielt, erzwang Einschränkungen im Wohnbauprogramm und in der Fürsorgepolitik“. (S. 46) Konrad fasst zusammen:

„Der historische Befund ist eindeutig: Das Experiment des Roten Wiens ist nicht gescheitert, es wurde gewaltsam zerstört. Allerdings hatte das Zerstörungswerk relativ leichtes Spiel, da Wien schließlich nicht von der in die Krise gekommenen marktwirtschaftlichen Ökonomie abgekoppelt war. Die ‚österreichische Revolution‘ ließ die ökonomischen Macht- und Verteilungsverhältnisse unangetastet.“ (S. 47)

So sei schließlich als Kuriosität von symbolischer Politik erwähnt, dass nach dem österreichischen Bürgerkrieg der Karl-Marx-Hof zunächst in Biedermannhof (Karl Biedermann gilt als der Eroberer des Hofes in den Kämpfen 1934) und ab 1935 in Heiligenstädter Hof (so heißt eine angrenzende Straße) umbenannt wurde; 1953 erhielt er den ursprünglichen Namen zurück. Beim Friedrich-Engels-Hof hat man sich nicht viel Arbeit gemacht: Es reichte, das „s“ zu entfernen und schon hatte man einen harmlosen Engel-Hof.

Die Nazi-Zeit hat in Wien architektonisch wenig Spuren hinterlassen – die Flaktürme stehen allerdings bis heute. Gelegentlich gibt es Debatten über mögliche Nutzungen. Sie gelten als nicht sprengbar. Aber: „Die vorerst wilde und dann politisch organisierte Arisierung betraf schließlich mehr Wohnraum, als ihn in den Jahren zuvor das Rote Wien durch Neubauten beschaffen hatte.“ (S. 48)

In der Bilanz sind sich Konrad und Hauch einig: Konrad spricht von einem großem humanistisch-aufgeklärtem Experiment, eine pragmatische Haltung, die auch nach dem Zweiten Weltkrieg die Vorlage bot, den Hunger zu bekämpfen, Wohnraum zu schaffen und die Infrastruktur mitwachsen zu lassen; Hauch betont die Ambivalenzen und hebt hervor, dass als Schritt in die richtige Richtung ein Raum eröffnet wurde, der es ermöglicht hat, Geschlechterverhältnisse auszuhandeln.

Das Buch überzeugt durch eine Fülle von Informationen auf wenigen Seiten und durch die geschichtliche Einordnung in größere Kontexte durch einschlägige Historiker*innen. Es veranschaulicht die Idee, eine „Neue Stadt“ für „Neue Menschen“ zu bauen mit all seinen Widersprüchen.

Kommentar: Die Zukunft einer Geschichte

Ich will abschließend den Untertitel des Buches „Die Zukunft einer Geschichte“ in eigener Sache aufgreifen und fragen, was sich daraus gegenwärtig für ein Projekt einer „Sozialen Infrastruktur“ lernen lässt.

Wenn man versucht die dargestellten Anstrengungen bezogen auf Soziale Infrastruktur einzuschätzen, wird schnell ersichtlich, dass es sich um die Jahrhundertwende und davor um konventionelle Infrastrukturmaßnahmen handelt, die die Interessen des Kapitals bedienen. Nach der Weltwirtschaftskrise 1873ff. entstand, was retrospektiv „organisierter Kapitalismus“ genannt wurde. Allein den Marktkräften zu vertrauen, war als Ideologie des Liberalismus diskreditiert, staatliche Wirtschaftspolitik sollte es richten und das hieß zuerst den Ausbau von für das Kapital notwendiger Infrastruktur: Energie, Verkehr … und die Anfänge von Sozialpolitik als Befriedung nach innen und als Herrschaftsprojekt. „Soziale Infrastruktur“ – Mobilität, Beleuchtung, Sozialversicherung – sind Nebenprodukte einer gewöhnlichen Infrastrukturpolitik, die im günstigen Fall mit entstehen.

Das „eigentliche“ Rote Wien entspricht in seiner Logik dem fordistischen Projekt: die Einbindung der Arbeiterklasse durch Korporatismus in den demokratischen Staat. Dazu gehört die Durchsetzung der Kleinfamilie im Proletariat, die von liberalen Unternehmern durch Fabriksiedlungen schon im 19. Jahrhundert gut vorbereitet war. Dazu gehört in Phasen, in denen die Arbeiterklasse im Kampf um Hegemonie als relevanter Akteur ernstgenommen werden musste, wie es in den 1920ern und dann wieder in den 1950/60ern der Fall war, eine umfassende Sozialpolitik, die deutlich über Forderungen nach Lohnerhöhungen und auch Arbeitsverkürzungen hinausgeht. Neben den Erweiterungen von sozialer Absicherung, betrifft das wesentlich die gesundheitliche Versorgung, durchaus, wie im Konzept Soziale Infrastruktur durch links-netz thematisiert, verbunden mit Maßnahmen, die Vorsorge betreiben und auf die Vermeidung von Krankheiten gerichtet sind. Die gesunde Arbeiterschaft war nicht nur im Interesse des Kapitals, sondern auch im Interesse der Arbeiterbewegung. Als Arabeske lässt sich das mit der Politik des Arbeiter-Abstinenten-Bund illustrieren: Dass die guten Arbeiter nicht trinken, war der Idee geschuldet, dass sie besoffen für den Klassenkampf untauglich seien. (Gleichwohl weiß man, dass die Wirtshäuser ein wichtiger Ort waren, um Aufstände vorzubereiten.)

Zentral für Sozialpolitik ist Bildungspolitik. Dass die Glöckelsche Schulreform bis heute ihresgleichen sucht und besonders in der „Wissensgesellschaft“ zugunsten einer forcierten meritokratischen Schulbildung in beinahe allen Aspekten zurückgedreht ist, sei nur angemerkt. Den aufgeklärten (Staats-)Bürger zu bilden, der seine Rechte und Pflichten in einer Demokratie kompetent wahrnehmen kann, scheint als Anspruch verloren. Schon die Bildungsreform in den 1960ern als Willy Brandt in der BRD „mehr Demokratie wagen“ wollte, stand in Österreich, während der Bruno Kreisky-Ära, unter dem Motto, die „Begabungsreserven von unten“ zu mobilisieren. Wie instrumentell das Interesse (an zukünftigen Fachkräften) auch gewesen sein mag, freie Schulbücher und -fahrten haben Bildungsaufstiege ermöglicht (und jungen Frauen aus der Mittelschicht die höhere Bildung näher gebracht). Soziale Infrastruktur wird wieder zum (erfreulichen) Nebenprodukt eines Kompromisses mit dem Kapital. Ich will das nicht geringschätzen: Dem Kapital Kompromisse abverlangen zu können, verweist auf die relative Autonomie des Staats. Wenn, wie es gegenwärtig der Fall zu sein scheint, sich der Staat vom Kapital stärker abhängig macht, ist es auch um Soziale Infrastruktur schlecht bestellt.

Die Bildungspolitik der 1920er war zudem geprägt von bürgerlichen Normen und den Kunstvorstellungen in dieser sozialen Position: Arbeitersymphoniekonzerte und Verbote von Groschenromanen in Bibliotheken. Die Arbeiterschaft sollte sich die bürgerliche Kultur aneignen. Brecht wird sich später darüber lustig machen. Er lässt den Arbeiter Kalle im Gespräch mit dem Physiker in den Flüchtlingsgesprächen (1940f, S. 55 in der Ausgabe: Bibliothek Suhrkamp) sagen

„Ich weiß nicht, ob es viel Sinn gehabt hätt auf die Dauer. Wozu meinen Schönheitssinn ausbilden, indem ich die Bilder von dem Rubens anschau, und die Mädchen, die in Betracht kommen, haben alle die Gesichtsfarb, die sie in der Fabrik kriegen? Und der Junge von meiner Wirtin studiert die Pflanzenwelt und sie hat nicht das Geld für ein Stäudel Salat!“

Das sei erwähnt, um darauf hinzuweisen, wie schwierig es ist zu entscheiden, was als Soziale Infrastruktur gelten soll. Selbst unter Bedingungen einer an Emanzipation orientierten (Gegen-)Hegemonie hätte (und hatte im Wien der 1920er) die Entscheidung, was allgemein verfügbar sein soll, paternalistische Aspekte. Soziale Infrastruktur setzt öffentliche Finanzierung voraus. Die Haltungen und Selbstverständlichkeiten der „Entscheider“ präg(t)en eine solche Politik notwendig. Die politischen Vertreter*innen der Arbeiterschaft setz(t)en ihre bürgerlichen Normen in der Bildungspolitik, der Familien- und Geschlechterpolitik durch. Wenn man diesen Fallstricken entgehen will, wären Basisdemokratie und Intellektuellenpolitik (im Unterschied zu Interessenpolitik, vor allen Dingen aber im Unterschied zu populistischer Politik) die Schlagworte, um eine Soziale Infrastruktur zu bestimmen, die an allgemeinen Interessen (etwa Umwelt) und an Koalitionen zwischen verschiedenen Interessenpositionen orientiert ist. Intellektuellenpolitik fordert Gleichheit und gleiche Bürger*innenrechte, sie arbeitet mit Angeboten (statt mit Macht), setzt sich für Autonomie und Solidarität ein und stellt Herrschaft und ihre Form in Frage.

Insgesamt macht das Beispiel des „Roten Wien“ darauf aufmerksam, dass eine Soziale Infrastrukturpolitik tatsächlich eine umfassende gesellschaftspolitische Orientierung darstellt. Soziale Sicherung, Gesundheit, Bildung, Wohnen, Mobilität und Konsum (organisiert durch Konsumgenossenschaft, Genossenschaftsbanken etc.) stellten die Bereiche dar, mit denen es der Sozialdemokratie gelang, eine gegenhegemoniale Position sowohl zu erreichen als auch sie für eine emanzipatorische Politik zu nutzen.