Partei-Fetisch

Das Sozialistische Büro in der Kritik Carsten Priens

von Thomas Gehrig

Um das Sozialistische Büro (SB) und seine Geschichte – zu der ja auch der express ebenso wie das links-netz und die Zeitschrift Widersprüche gehören – haben sich in letzter Zeit einige Aktivitäten entwickelt. Das hat vielfältige Dimensionen. Mit dem neuerlichen Interesse an der ‚Klassenfrage‘[1] entstand auch wieder ein Interesse am Politik- bzw. Organisationsansatz des SB. Dies nachdem die ‚Klassenfrage‘ und die ArbeiterInnenbewegung als emanzipatorisches, gesellschaftsveränderndes Subjekt mitsamt ihrer Geschichte auch von weiten Teilen der ‚Linken‘ für überholt oder irrelevant erklärt, ausgegrenzt oder gar angefeindet wurden. Zuletzt diskutierte die Antifa Kritik und Klassenkampf den Arbeitsfeldansatz des SB.[2] Das SB begann darüber hinaus eine Selbstthematisierung, nicht zuletzt angesichts seines 50. Geburtstags.[3] Aus dem SB und seinem Umfeld heraus wurde ein Geschichtsprojekt auf den Weg gebracht. Entstehung, Kontext und Wirkungsgeschichte des SB sollen innerhalb eines Forschungszusammenhangs historisch aufgearbeitet werden. Insofern erschien auch das aktuell (2019) veröffentlichte Buch „Rätepartei“ von Carsten Prien von besonderem Interesse, da es sich hier explizit um eine kritische Auseinandersetzung mit dem SB handeln sollte. Dass das Buch, wie sich herausstellte, nicht den Ansprüchen an eine kritische Auseinandersetzung genügt, musste in diesem Zusammenhang in Kauf genommen werden. Wichtiger sind dagegen die im Rückblick auf die Geschichte des SB thematisierten Perspektiven, Erwartungen und Politikvorstellungen der kapitalismuskritischen Linken, die, so ist zu resümieren, auch heute noch relevant sind.

Das Buch, das Carsten Prien vorgelegt hat, trägt den Titel „Rätepartei. Zur Kritik des Sozialistischen Büros“. Das Sozialistische Büro (SB) ist zentraler Gegenstand der Auseinandersetzung. Oskar Negt als negativer und vor allem Rudi Dutschke als positiver Protagonist sind die Stichwortgeber bzw. Referenzen. Innerhalb dieser Bezüge lebt bei Prien eine Organisationsdebatte – oder besser -lehre – (wieder) auf, die wie ein Überbleibsel aus den ML-igen 1970er Jahren erscheint (vgl. Meyer 2019).

Dutschke, bzw. die von Prien bei ihm ausgemachte Partei-Theorie, wird zum Führungsstern der Prienschen Auslassungen. DerArbeitsfeldansatz des SB und damit dessen Organisationsform als Ansammlung von lokalen Gruppen und Arbeitsfeldern, die berufsfeldspezifisch aufgestellt waren einerseits, und gemeinsamen Konferenzen und einem Arbeitsausschuss andererseits, über die die Verbindung zwischen diesen Gliedern hergestellt werden sollte, ist zentraler Ansatzpunkt für Priens Kritik. Laut Editorial der links von 1969 geht es im SB darum, „aus dem Dilemma unbrauchbarer traditionell-bürokratischer Organisationsvorstellungen hier, ebenso unbrauchbarer ‚reiner‘ und teils blinder Spontaneität dort“ herauszufinden (Editorial, in: links, 0/1969, S. 2).

Die Ausgestaltung des Arbeitsfeldansatzes war innerhalb des SB ständig umstritten (Vack 2005: 129). Grob gesagt ging es in dieser Debatte um die Frage, ob zentrale Instanzen geschaffen werden und/oder mehr Leitungskompetenzen erhalten sollen, oder ob die Zentrale lediglich eine die Arbeitsfelder und Gruppen koordinierende und zuarbeitende Funktion haben soll. Das theoretische Konzept des Arbeitsfeldansatzes wird maßgeblich von Oskar Negt formuliert. Der Versuch des SB, dem oft beschriebenen Dilemma von bürokratischer Organisation einerseits und „‚reiner‘ Spontaneität“ (Editorial, in: links 0/1969, S. 2) andererseits eine Form zu geben, den Widerspruch von institutionalisierten Organisationsstrukturen und Selbstorganisation nach Interessen auszuhalten, ihn nicht zugunsten einer Seite hin aufzulösen, bewertet Prien als den zentralen Fehler des SB.

Die Geschichte des SB sei „gekennzeichnet durch den Widerspruch zwischen dem Arbeitsfeldansatz“, den Prien gut findet, „und einem zentristischen Opportunismus“, der die Umsetzung des Arbeitsfeldansatzes sabotiere (Prien 2019: 17f.).[4] Vor allem Negt wird vorgeworfen, das SB nicht zu einer Partei entwickelt zu haben, was einer konsequenten Verwirklichung des Arbeitsfeldansatzes entsprechen würde. Die Umsetzung des Arbeitsfeldansatzes durch das SB wird von Prien als „Inbegriff projektemacherischer Netzwerkelei“ gekennzeichnet (Prien 2019: 18). Er wirft dem SB vor, sich in dem Dilemma von Organisation und Spontanität „häuslich eingerichtet“ zu haben (Prien 2019: 18). In dieser „Zwischenstellung“ musste, so Prien, das SB „unausweichlich zum Spielball der Interessen von SPD und DKP“ werden. Das SB habe sich geweigert, zu einer Partei neuen Typs (Dutschke) und damit zu einer wirklich revolutionären Organisation zu werden.

Die Verweigerung der Gründung einer parlamentarischen Partei ist für Prien eine Entscheidung für die Beibehaltung des gesellschaftlichen Status quo; politischer Verbindlichkeit werde so ausgewichen, politische Handlungsfähigkeit werde dadurch untergraben (vgl. Prien 2019: 21f.). Prien karikiert das SB, wenn er mit dem AK Rote Zellen sagt, dass solche politischen Vorstellungen lediglich darauf hinauslaufen, „den Arbeitern zu erklären, sie sollten sich ja von niemandem etwas erklären lassen“ (AK Rote Zellen 1975, zitiert bei Prien 2019: 67). Unmittelbare Erfahrung und Spontaneität würden mystifiziert, was zur absurden und selbstwidersprüchlichen Figur einer „‚autonomen Klassenbewegung'“ führe (Prien 2019: 66).

Die Partei neuen Typs

Dutschke gehört als SB-Mitglied zu jener Fraktion, die auf eine Parteigründung fixiert ist (vgl. Dutschke 1977, abgedruckt in Prien 2019: 155). Die Partei neuen Typs, in der gemäß Dutschke die „Autonomie-Strukturen“ der Arbeitsfelder über „Delegiertenschlüssel aufrechterhalten werden“ (Prien 2019: 30, vgl.: Dutschke 1981: 115), scheint grundsätzlich alle problematischen Entwicklungen einer Partei-Organisation auszuschließen. Prien argumentiert, dass der Arbeitsfeldansatz schon an sich eine Verbindung von Arbeitsfeldern und Parteiorganisation nach dem Räteprinzip enthalte, die es durch eine Partei neuen Typs zu entfalten gelte. Diese schließe dann „Dogmatismus und Politikastertum im Vorhinein aus“ (Prien 2019: 31). Diese „‚Partei neuen Typs‘ sollte das ‚Proletariat zur Aktion erziehen‘, so ‚wie die Partei von den Arbeiterräten erzogen werden soll‘“ (Prien 2019: 68, vgl.: Dutschke 1974: 243). Priens Partei neuen Typs ist eine Organisation wechselseitiger Erziehung.

Prien macht sich nicht die Mühe, die inhaltlichen Argumente der Kritik an einer Partei-Orientierung, wie sie ja auch innerhalb des SB formuliert werden, ernsthaft zu würdigen.

Scheitern des SB

Dutschke konzentrierte sich Ende der 1970er Jahre auf die Grünen. Für Prien hatte sich damit das SB überlebt, es hatte die Chance, eine ‚wirklich‘ revolutionäre Partei neuen Typs zu gründen, vertan. Der geschichtliche Kairos wurde vom zentristischen Flügel des SB verraten und verpasst. Der Zentrismus im SB habe die Partei neuen Typs „nicht als eine unabgegoltene historische Aufgabe angesehen und ihr Fehlen nicht auf eine geschichtlich genau bestimmbare Fehlentwicklung zurückgeführt“ (Prien 2019: 68). Genau das holt Prien nun nach. „Der frühzeitige Bruch mit dem zentristischen Opportunismus und der Aufbau einer eigenen Partei (…) wäre hingegen unbedingt notwendig gewesen, um die Massen auf die bevorstehende Revolution vorzubereiten und zur Selbsttätigkeit erziehen zu können“ (Prien 2019: 74). Hier sind wir auf der Ebene der Prienschen Geschichtsphilosophie angekommen. Mit dem Arbeitsfeldansatz scheint ein historischer Moment eingetreten, der eine bestimmte Entwicklung notwendig erfordert hätte. Der Arbeitsfeldansatz sei „auf jenem historisch-logischem Entwicklungsniveau anzusiedeln, auf dem eine ‚Partei neuen Typs‘ aus der bestimmten Negation der opportunistischen Massenpartei hätte hervorgehen müssen“ (Prien 2019: 42).

In Priens Buch folgt entsprechend, nach der Schilderung der Tragödie des SB, eine kurze Weltanschauungsgeschichte, von der Naturgeschichte über die ursprünglichen Gemeinwesen bis zum Kapitalismus (Prien 2019: 43ff.). „Die Dialektik der Geschichte gleicht einer Matroschka. In der Naturgeschichte steckt die Geschichte der gesellschaftlichen Grundformationen, darin die historische Dialektik des Kapitals und in ihr wiederum steckt die Organisationsgeschichte des Proletariats. Dennoch ist es stets der gleiche Prozess einer sich ausdifferenzierende Totalität“ (Prien 2019: 43).

Die Partei als Katalysator der Revolution

Die Partei erscheint als eine Art Katalysator in der Organisationsgeschichte des Proletariats und damit als Teil jener sich ausdifferenzierenden Totalität, von der Prien spricht. „Die ‚Partei neuen Typs‘ nun ist diese manifest gewordene Totalität innerhalb der Totalität bürgerlicher Gesellschaft, durch die, über die und in der sich die gesellschaftliche Umwälzung vollzieht“ (Prien 2019: 58). Die „historische Aufgabe“ dieser sei „die fortschreitende Selbstaufhebung des abstrakt Allgemeinen hin zu einer unmittelbaren Identität des Einzelnen und Allgemeinen im Besonderen“ (Prien 2019: 58). Im Selbstverständnis des SB seien alle wesentlichen Elemente zur Lösung der historischen Aufgabe vorhanden gewesen: „die Organisation der Vertrauensleute, die Strategie der Sozialisierung und die Taktik der Arbeiterkontrolle“ (Prien 2019: 58). Die Partei neuen Typserscheint als die ideale Form des Zusammenwirkens dieser Elemente. Sie sei „die Einheit der revolutionären Obleute auf Grundlage ihres gemeinsamen theoretischen Bewusstseins, wie es sich in der Anerkennung des revolutionären Parteiprogramms manifestiert. Die durchgehende Reflexion der spezifischen Betriebserfahrungen durch die Partei führt fortschreitend zu einer Vertiefung und Konkretisierung des Abbildes der gesellschaftlichen Totalität unter dem Aspekt ihrer Aufhebbarkeit im gemeinsamen Bewusstsein der Parteimitglieder und, durch diese vermittelt, in den Massen“ (Prien 2019: 58f.). Die Partei werde so „zumindest tendenziell zum vollkommenen Spiegel des ‚gesellschaftlichen Gesamtarbeiters'“ (Prien 2019: 116, zitiert wird MEW 23: 531).

Schlüsseln wir diese Konstruktion ein wenig auf. Ausgangspunkt ist das gemeinsame theoretische Bewusstsein der Obleute der Partei (der Avantgarde), das sich in ihrer Anerkennung des Parteiprogramms ausdrückt (Disziplin). Die Erfahrungen aus den Betrieben werden von der Partei aufgenommen und verarbeitet (genauer: abgespiegelt). Dadurch verbessert sich das Abbild der Gesellschaft – in revolutionärer Perspektive –, das die Parteimitglieder besitzen, was diese wiederum in die ‚Massen‘ vermitteln.

In Konstruktionen wie dieser kommt eine Hierarchie zum Ausdruck, die auch Prien deutlich wird: „Durch diesen qua Repräsentationsdichte höheren Grad der Deutlichkeit in der Widerspiegelung der gesellschaftlichen Totalität ‚beherrscht‘ nun die Zentrale tatsächlich die einzelnen Arbeitsfelder, ebenso, wie die Vertrauensleute in den Betrieben und anderen Arbeitsfeldern die Massen ‚beherrschen'“ (Prien 2019: 116). Um dem Problem von Hierarchie, der top-down Struktur dieser Konstruktion zu entgehen, greift Prien auf die Philosophie zurück. Das ‚Beherrschen‘ sei „im Sinne der Leibnizschen Monadenlehre“ zu verstehen. „‚Zentrale‘ wie die ‚Vertrauensleute‘ haben die Funktion von ‚Zentralmonaden‘ inne. Sie drücken die Erfahrungen und Bedürfnisse der sie umgebenden Masse in einer einheitlichen, mit der Totalität des gesellschaftlichen Umwälzungsprozesses übereinstimmenden Form aus. Sie organisieren auf diese Weise die Selbstorganisation der Masse, zu der sie selbst gehören“ (Prien 2019: 116).

Die Lösung ist das immer schon unterstellte, quasi osmotische wechselseitige Einverständnis. Prien argumentiert, es gebe hier kein ‚Beherrschen‘, da die Elemente wie Leibnizsche Monaden funktionierten. Er unterstellt damit als durch die Organisation gegebenen Fakt, was er allenfalls als ein Sollen formulieren könnte: Avantgarde und ‚Masse‘ sind verschmolzen. Leibniz liefert dabei lediglich die Terminologie für eine Analogie, die nichts begründen kann. In dieser naiven Form der Lösung wird die Problematik jedoch umso deutlicher.

Am Ende ist bewiesen, was zu beweisen war: „Die Artikulation der ‚durch den kapitalistischen Produktionsprozeß unterdrückten Bedürfnisse und Triebe der unterdrückten Klasse‘ [lt. Prien: Dutschke/Scharrer 1971] in einer die Masse zur Selbsttätigkeit befähigenden Form, das ist die Aufgabe der Rätepartei“ (Prien 2019: 116).

Das Ideal der Übereinstimmung von proletarischer ‚Masse‘, von unmittelbarem Bewusstsein, spontaner Bewegung und Politik (Taktik) und Organisation, Partei im Sinne der ‚richtigen‘ Theorie wird letztlich verbürgt durch das Wissen um die ‚richtige‘ Theorie, das in der revolutionären Avantgarde ruht, aber an sich bereits auch in der ‚Masse‘ angelegt ist. Die Avantgarde steht in Wechselwirkung mit der Basis, dem Proletariat, einem Austausch, der in Form einer idealen Kommunikation gedacht ist. Die Spiegelung der Gesellschaft und damit das Wissen um ihre Revolutionierung verbessert sich in einem wechselseitig befruchtenden Prozess stetig. Die unmittelbaren Bedürfnisse und Einsichten des Proletariats als unmittelbarer Teil der Totalität werden durch die Avantgarde theoretisch verarbeitet, eingebaut in die durch sie zu entwerfende politische Taktik. József Révai „lehrt“, so Prien: „Der Gegenstand als Totalität kann nur begriffen und umgewälzt werden durch ein Subjekt, das ebenfalls eine Totalität ist; und das ist in der kapitalistischen Gesellschaft das sich zur Klasse konstituierende Proletariat“ (Prien 2019: 58, vgl. Révai 1925: 190). Zugleich werden die ‚Massen‘, deren Bewusstsein noch ‚verdinglicht‘ ist (wie Lukács sagt), durch die Partei-Avantgarde erzogen.

Wie nahe Prien mit diesen Überlegungen dem Weber-Leninisten Lukács – und eben nicht an Rosa Luxemburg – ist, wird bei einem Blick in Lukács‘ Schrift zur Organisationsfrage deutlich. Dies auszuführen sprengt jedoch endgültig den Rahmen einer sinnvollen Auseinandersetzung mit Priens Kritik am SB.

Formal genügt Priens Arbeit wissenschaftlichen Standards nicht, nicht nur angesichts seines problematischen Umgangs mit Zitaten und Belegen. Inhaltlich erweist sich Prien als Wiedergänger des „Marxismus-Leninismus“. Er betreibt Weltanschauung, d.h. Ideologie statt einer kritischen Rekonstruktion der Debatte oder der Probleme des Klassenkampfes. Die Probleme, die in seinem Konstrukt zum Vorschein kommen, sind jedoch immer noch virulent und es sind nicht einfach nur die des „Marxismus-Leninismus“.

Im SB wurde versucht eine konkrete Antwort auf die Frage des problematischen Zusammenhangs von sozialer Erfahrung, politischer Intervention und (Selbst-)Aufklärung zu geben. Zur politischen und theoretischen (Selbst-)Aufklärung ebenso wie zur praktischen Unterstützung in den Arbeitsfeldern initiierte das SB eine breite Palette an Veröffentlichungen. Die sozialen Erfahrungen sollten, ebenso wie die professionellen und politischen Probleme im Arbeitsfeld, den Hintergrund abgeben für koordinierte politische Aktionen. Diese Vorstellung ging durchaus über die der Kampagnenpolitik hinaus. Es war die spezifische gesellschaftliche Form der Arbeit und die daraus resultierenden Interessen, ebenso wie die mit ihr verbundenen Widersprüche, die hier thematisch wurden. Dies geht auch über das politische Denken in Regierungserklärungen oder die utopistischen Entwürfe, wie etwas sein müsste, das ja auch in der Linken präsent ist, hinaus. Zuletzt erlebte diese Klassenfrage u.a. in der Debatte über neue Klassenpolitik ein (wenn auch z.T. fragwürdiges) Revival. 

Ins Blickfeld linker Debatten tritt auch heute meist nur eine politizistisch verkürzte und damit fetischisierte Vorstellung der revolutionären Klasse. Hinsichtlich der besteht aus der entsprechenden Perspektive immer der Anspruch, sie müsse von einer Klasse ‚an sich‘ zur der ‚für sich‘ gemacht werden. Institutionen sollen dies gewährleisten oder unterstützen. Oder die Klasse weicht im umgekehrten Opferdiskurs einer eigentlich immer schon revolutionären Menge. Dabei scheint es auch beliebig, ob oder gar wie sich diese artikuliert. Oder Klasse verliert sich in der begrifflichen Beliebigkeit einer Soziologie der multiple oppressions.

Ins Blickfeld linker Debatten tritt auch heute meist nur eine politizistisch verkürzte und damit fetischisierte Vorstellung der revolutionären Klasse. Dabei dominiert in solchen Vorstellungen der Anspruch, sie müsse von einer Klasse ‚an sich‘ zur der ‚für sich‘ gemacht werden. Institutionen sollen dies gewährleisten oder unterstützen. Oder – in Umkehrung des Opferdiskurses – Klasse ist eigentlich immer schon revolutionären Menge. Dabei scheint es auch beliebig, ob oder gar wie sich diese artikuliert. Oder Klasse als gesellschaftliche Kategorie verliert sich in der begrifflichen Beliebigkeit einer Soziologie der multiple oppressions. Deren Problem besteht derzeit offensichtlich in der mühsamen Suche nach den verbindenden Elementen zuvor auseinander sortierter Identitäten.

Auch die Frage des Verhältnisses von bewusster Avantgarde und noch vorbewusster ‚Masse‘ wird immer noch diskutiert. Bisweilen ändern sich die Formen, in denen dies geschieht. Eine offen autoritär auftretende Organisation, der Gestus des Belehrens und Erziehens, haben im Zuge eines antiautoritären Selbstverständnisses ausgedient, sie wirken inzwischen peinlich und gestrig. Zurecht. 

Das Verhältnis von Spontanität und Organisation im weitesten Sinne ist für die Linke schon immer und bis heute virulent. Ebenso die Vorstellung, diese Momente des Verhältnisses selbst institutionell zu verbinden. Die Transformation der sozialen Bewegung in die institutionalisierte Form, die Partei, das Verhältnis dieser zueinander, die Frage der Politik, die Frage von Repräsentation bleiben in diesem Sinne Kernthemen der Linken. Parteien, Gewerkschaften oder auch Sammlungsbewegungen werden als die Instrumente angesehen, um Handlungsmacht, Hegemonie zu gewinnen.

Es sind dies die Bahnen, in die die bürgerliche Gesellschaft gesellschaftliche Veränderung zu bannen sucht. Es ist die Position die Marx als die der Sozialen Demokratie kennzeichnet. Mit dem Einlassen auf diese Formen, dem Denken in diesen Kategorien, werden diese Strukturen reproduziert. Die politische – nicht Wirksamkeit, sondern Aktion wird erkauft mit der Affirmation, der Negation der Kritik.

Die Gefahr besteht, in diesen politischen Formen aufzugehen, statt ein taktisches Verhältnis zu ihnen zu bewahren. Der Marsch der Institutionen durch die naiven und nur scheinbar revolutionären Erwartungen ist dann nichts anderes als eine Rückkehr zum eigenen bürgerlichen Selbst. Die radikale Entgegnung bürgerlicher Verhältnisse erweist sich als Chimäre, als Selbstbetrug: der Kern des Sozialismus, gerade da, wo er über die Reformorientierung der Sozialen Demokratie hinausgeht. 

Literatur:

Antifa Kritik und Klassenkampf (2015): Der kommende Aufprall. http://akkffm.blogsport.de/2015/04/02/der-kommende-aufprall/

Dutschke, Rudi (1974): Versuch, Lenin auf die Füße zu stellen. Über den halbasiatischen und den westeuropäischen Weg zum Sozialismus. Lenin, Lukács und die Dritte Internationale, Berlin: Verlag Klaus Wagenbach.

Editorial. Warum machen wir „links” – eine sozialistische Zeitung?, in: links, Nr. 0/1969, S. 2.

Friedrich, Sebastian / Redaktion analyse & kritik (Hg.) (2018): Neue Klassenpolitik. Linke Strategien gegen Rechtsruck und Neoliberalismus, Berlin: Bertz + Fischer.

Meyer, Malte (2019): »Irrtum vom allerbesten Zentralkomitee« – über Carsten Priens Beiträge zur Organisationsdebatte des Sozialistischen Büros, in: express, 10/2019.

Oy, Gottfried (201950 Jahre Sozialistisches Büro, https://www.rosalux.de/news/id/40787/50-jahre-sozialistisches-buero/

Pabst, Günter (2017): Rückblick auf die Geschichte des Sozialistischen Büros, in: Widersprüche, Nr. 143

Prien, Carsten (2019): Rätepartei. Zur Kritik des Sozialistischen Büros, Oskar Negt und Rudi Dutschke. Ein Beitrag zur Organisationsdebatte. Mit drei Originaltexten von Rudi Dutschke und Oskar Negt, Seedorf: Ousia-Verlag.

Révai, József (1925): Rezension [von Geschichte und Klassenbewusstsein], in: Archiv für die Geschichte des Sozialismus und der Arbeiterbewegung, Jg. 11, wieder abgedruckt in: Geschichte und Klassenbewußtsein heute (2), Frankfurt: Materialismus Verlag, 1977, S. 181-191.

Vack, Klaus (2005): Ein weiterer Versuch, Geschichte und Erfahrung darzustellen, in: Komitee für Grundrechte und Demokratie (Hg.): Das andere Deutschland nach 1945 – als Pazifist, Sozialist und radikaler Demokrat in der Bundesrepublik Deutschland – Klaus Vack, Sensbachtal: Komitee für Grundrechte und Demokratie, S. 79-144.


[1] Siehe u.a.: http://express-afp.info/50-jahre-sb ; Gottfried Oy (2019): 50 Jahre Sozialistisches Büro, https://www.rosalux.de/news/id/40787/50-jahre-sozialistisches-buero/ ; Günter Pabst (2017): Rückblick auf die Geschichte des Sozialistischen Büros, in: Widersprüche, Nr. 143.

[2] Siehe u.a.: Antifa Kritik und Klassenkampf (2015): Der kommende Aufprall.

[3] Siehe u.a.: http://express-afp.info/50-jahre-sb ; Gottfried Oy (2019): 50 Jahre Sozialistisches Büro, https://www.rosalux.de/news/id/40787/50-jahre-sozialistisches-buero/ ; Günter Pabst (2017): Rückblick auf die Geschichte des Sozialistischen Büros, in: Widersprüche, Nr. 143.

[4] Zentrismus steht in der linken Debatte vor allem für die Ausrichtung innerparteilicher Politik auf den Zusammenhalt der parlamentarischen Partei als Organisation. Hierfür steht exemplarisch Kautsky und die Sozialdemokratie vor dem Ersten Weltkrieg. Prien kennzeichnet damit jedoch jene Fraktion des SB, die dessen bisherige Organisationsstruktur, also die Nicht-Parteiförmigkeit des SB beibehalten will.