Warum wir uns einen Beitrag zur Corona-Krise ersparen

Joachim Hirsch, Eva-Maria Krampe, Christine Resch, Jens Wissel

Im Hinblick auf Gesundheitsrisiken, Ausbreitungsart und -geschwindigkeit, Schutz- und Gegenmaßnahmen sowie der allfälligen Betroffenheiten ertönt seit Wochen ein unablässiger, vielstimmiger, wenn auch etwas eintöniger Chor, der von Regierungen, Medien bis hin zu Netzwerken, linker und rechter, liberaler und grüner Art getragen wird. Gerade auch linke Protagonist*innen beten fleißig nach, was allenthalben schon gesagt wurde. In den sogenannten Sozialen Netzwerken wird das alles in Windeseile multipliziert und der digitale Raum für die Verbreitung von Verschwörungstheorien genutzt. Auf die üblichen Spekulationen auf der Grundlage völlig ungesicherter Daten wollen wir lieber verzichten und überlassen sie den virologischen Experten, die sich zwar gegenseitig ständig widersprechen, aber trotzdem zu politischen Themengebern und Handlungsanleitern avanciert sind. Also lassen wir mal das Panikmachen.

Was der gemainstreamte Chor noch immer weitgehend ausblendet, sind die wirtschaftlichen und politischen Folgen der Krise, und zwar der langfristigen Konsequenzen im Gegensatz zu den kurzfristigen Hilfsbemühungen. Alle Anzeichen sprechen dafür, dass der globale Kapitalismus vor einer schweren Krise stand, deren offener Ausbruch nur mühsam aufgeschoben werden konnte, etwa durch die Geldschwemme der Zentralbanken. Die Pandemie hat diese Krise nun mit voller Wucht offenkundig werden lassen. Die von den Regierenden eingeleiteten Notstandsmaßnahmen, mit denen die Rezession wenigstens abgemildert werden soll, tragen das große Risiko in sich, zu einer weiteren und noch schärferen Staatsschulden- und Finanzkrise zu führen, als wir sie 2008/09 erlebt haben. Man sollte keinen Verschwörungstheorien anhängen. Jedoch hat das Virus ermöglicht, was sonst Kriege – eine Metapher, die von einigen Staatsmännern ja auch gerne verwendet wird – geleistet haben: Kapitalvernichtung in großem Stil und eine tiefgreifende Verschiebung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse. Das sind die Vorbedingungen dafür, dass das verbliebene Kapital wieder rentabel wird. Es dürfte kein Zweifel daran bestehen, wer letzten Endes für die gigentischen Kosten dieser Operationen einzustehen hat.

Und ebenso tiefgreifend sind die politischen Folgen. In der Pandemie schlägt die Stunde der starken Männer, die sich in einen Wettlauf um immer weitere Einschränkungen grundlegender Rechte begeben haben. Und entsprechend wird der Kurs auf einen autoritären Sicherheits- und Überwachungsstaat enorm beschleunigt. Dass fundamentale Grundrechte in ihrem Wesensgehalt selbst vom Gesetzgeber nicht angetastet werden dürfen, spielt kaum noch eine Rolle. Ebensowenig, dass bei Grundrechtsbeschränkungen das Prinzip der Verghältnismäßigkeit zu gelten hat. Der autoritäre Ausnahmestaat kommt per Regierungsdekret. Und dies alles mit breiter Zustimmung und einem nahezu uneingeschränktem Gehorsam der Bevölkerung. Die Stimmen einzelner Personen, die auf diese Problematik aufmerksam machen, kann man gegenwärtig noch an einer Hand abzählen. Das macht deutlich, auf welch schwachen Füßen die liberaldemokratischen Verhältnisse nicht nur hierzulande stehen. Recht blauäugig wäre es, zu glauben, dass dies alles nach dem Ende der Krise wieder rückgängig gemacht würde. Never let a good crisis go unused!

Allenthalben wird festgestellt, dass die Rechtspopulisten von der Krise nicht oder nur wenig profitiert hätten. Das ist ein Trugschluss. Zwar gehört die Stunde den Regierungen, die die Krise ausrufen und die vermeintlichen Maßnahmen, sie zu bewältigen, gleich mitliefern und die AfD ist zwar momentan eher mit sich selbst bschäftigt, aber vieles von dem, was sie fordert, ist inzwischen Wirklichkeit: ein autoritärer Staat, geschlossene Grenzen, Abwehr alles „Fremden“ und eine „Volksgemeinschaft“, die keine Parteien mehr kennt.

Die Gesellschaft wird nach der Krise eine andere sein und wahrscheinlich keine bessere. Auch wenn es inzwischen zahlreiche Stimmen gibt, die auf die großen Chancen hinweisen, die sich aus dieser einmaligen Herausforderung ergeben könnten: Gesellschaftliche Solidarität statt neoliberalem Kampf aller gegen alle, die Rückführung der Gesundheitsversorgung zur einer staatlichen Aufgabe bis hin zu einem entprivatiserten und steuerfinanzierten Gesundheitswesen. Forderungen für eine bessere Bezahlung für Care-Arbeit scheinen allgemein anerkannt. Es ist nicht gänzlich auszuschließen, dass die Erfahrungen der aktuellen Krise, die auch den maroden Zustand der sozialen Infrastruktur und die Kosten der Austerität offen gelegt haben, progressiv verarbeitet werden. Unser Gesundheitsminister beschäftigt sich allerdings eher mit Maßnahmen zur totalen Überwachung der Bevölkerung, die schon lange beabsichtigt ist und nun mit einem Mal in greifbare Nähe rückt. Die Corona-App, die neuste Errungenschaft auf diesem Gebiet, eignet sich vorzüglich dazu und es wäre ein Irrtum zu glauben, dass diese Technik in den Zeiten nach der Epidemie wieder eingemottet würde. Es wäre höchste Zeit, sich darüber und was dagegen zu tun ist, Gedanken zu machen. Dies gilt nicht zuletzt für Wissenschaftler*innen, die sich selbst als kritisch bezeichnen.