Ein „Linker Green New Deal“?

Joachim Hirsch

Bernd Riexinger, der eben ausgeschiedene Ko-Vorsitzende der Linkspartei hat eine Broschüre vorgelegt, die einen Beitrag zur innerparteilichen Programm- und Strategiedebatte darstellt und die Umrisse von sowie die Wege zu einem grundlegenden „System Change“ skizzieren soll („Systemwechsel“ hätte wohl zu wenig hip geklungen). Es bedürfe eines „Linken Green New Deal“, der als „Fortschrittsprojekt“ aus dem zunehmend krisenhafter und inhumaner werdenden globalen Kapitalismus herausführen soll.

Riexinger beschreibt zunächst die vielfältigen Dimensionen der aktuellen Krise (ökonomisch, ökologisch, politisch und sozial), kritisiert die unzureichenden staatlichen Reaktionen darauf und warnt vor einem zunehmend autoritären Kapitalismus, den er vor allem in den Tendenzen zu einer jetzt staatszentrierten Neuausrichtung neoliberaler Regulierungsformen heraufziehen sieht. Ebenso hält er die von den GRÜNEN und auch von der EU-Kommission und Teilen der SPD entworfenen Vorstellungen zu einer „grünen“ kapitalistischen Modernisierung für völlig unzureichend. Gerade die Linke stehe damit vor einer völlig neuen Herausforderung.

Ein Linker Green New Deal müsse aus folgenden Elementen bestehen:

  • Aufbau einer sozialen Infrastruktur und einer funktionierenden Daseinsfürsorge.
  • Sinnvolle Arbeit und Löhne, die für ein gutes Leben reichen, verbunden mit einer Aufwertung gesellschaftlich notweniger Berufe und einer gerechteren Aufteilung der Arbeitszeit, auch was die Geschlechterverhältnisse angeht.
  • Soziale Sicherheit für alle, d.h. ein ausreichender Schutz vor allen Lebensrisiken.
  • Radikaler Klimaschutz durch Ausstieg aus umweltschädlichen und ressourcenverschwendenden Industrien, verbunden mit einer neuen Weltwirtschaftsordnung, die der Verantwortung des Nordens gegenüber dem globalen Süden gerecht wird.
  • Ökologische Transformation der Industrie, beruhend auf einer demokratischen Beteiligung der Beschäftigten und orientiert am wirklichen gesellschaftlichen Bedarf.
  • Umverteilung von Einkommen und Vermögen und Schaffung neuer Eigentumsformen als Voraussetzung für die Realisierung des Projekts.

Riexinger errechnet die dafür notwendigen Finanzmittel, die durch eine Neuausrichtung der Besteuerung (für hohe Einkommen), Vermögensumverteilung sowie einer Schließung von Finanzcasinos und Steueroasen aufgebracht werden sollen. Eine Mobilitätswende und die Umgestaltung der Agrarwirtschaft gelten dabei als zentrale Einstiegsprojekte. Grundlegend dafür sei die Realisierung einer wirtschaftsdemokratischen Verfassung, bestehend aus einem Ausbau der betrieblichen und überbetrieblichen Mitbestimmung, der Einführung von Wirtschaftsräten und einer wirtschaftlichen Rahmenplanung sowie der Beteiligung der Beschäftigten und der öffentlichen Hand an relevanten Unternehmen. Bei all dem knüpft er an bereits bestehende Überlegungen und Konzepte an, die u.a. von Bernie Sanders in den USA oder der britischen Labour Party entwickelt wurden.

Dass so ein Konzept nicht leicht durchzusetzen wäre, ist selbstverständlich. Es wäre eher kein einfach verhandelbarer „Deal“, sondern ein harter Kampf, der starke gesellschaftliche Kräfte voraussetzte. Riexinger hofft hier auf „Macht der Vielen“, auf soziale Bewegungen außerhalb der traditionellen Apparate, auf schon bestehende Gruppierungen, die auf Systemveränderungen zielen, auch auf die Gewerkschaften, die in einer solchen Politik neue Möglichkeiten finden könnten. Mit diesen Kräften mit ihren durchaus unterschiedlichen Interessen und Orientierungen sei eine „verbindende Klassenpolitik“ zu entwickeln, ein Vorhaben, bei dem er, wie nicht anders zu erwarten, der Linkspartei eine zentrale Rolle zuweist. Sie wird auf der einen Seite als Teil der Bewegung gesehen. Zugleich aber gilt sie auch als die Instanz, die aufklären, gemeinsame Orientierungen und Interessenverbindungen erzeugen, also „Gegenhegemonie“ aufbauen soll. Um einen Linken New Green Deal durchzusetzen, müsse sie auch Regierungsverantwortung übernehmen.

Riexingers Text ist zweifellos interessant und einleuchtend, weist aber einige Leerstellen auf. Wie aus den „Vielen“ eine gesellschaftsverändernde Kraft werden soll, bleibt recht unbestimmt. Dabei einfach auf das Wirken der Partei zu setzen, erscheint einigermaßen fragwürdig. Konkreteres dazu zu sagen, ist allerdings auch nicht einfach. Problematischer ist schon, dass er zurecht darauf hinweist, dass eine Verwirklichung des skizzierten Projekts eine internationale Koordination und Zusammenarbeit erfordert, was angesichts der recht unterschiedlichen Interessenlagen in den verschiedenen Teilen der Welt nicht einfach wäre. Dazu gibt es allerdings nur kurze und kursorische Anmerkungen. Schon was unter der geforderten „Neugründung Europas“ zu verstehen sein, bleibt völlig unklar.

Der Autor schreibt: „Eine rein sozialdemokratische Politik ist unter den Bedingungen des globalisierten neoliberalen Kapitalismus und einer veränderten Arbeits- und Lebenswirklichkeit jedenfalls nicht mehr geeignet, um eine linke Hegemonie zu begründen“ (102). Damit hat er sicher Recht. Das Problem ist nur, dass er selbst ein im Kern sozialdemokratisches Programm anvisiert, das merkwürdig konservativ anmutet und daran zweifeln lässt, dass die veränderte Arbeits- und Lebenswirklichkeit tatsächlich Beachtung findet. Dazu gehört nicht zuletzt das Festhalten an der Arbeitsgesellschaft, was sich daran zeigt, dass er unter der öfters genannten „sozialen Infrastruktur“ genau genommen nichts anderes als den Ausbau des auf Lohnarbeit gegründeten Sozialstaats versteht. Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass er die Idee eines allgemeinen und garantierten Grundeinkommens als „Sackgasse“ abtut (52). Was unter dem Begriff „Soziale Infrastruktur“ verstanden wird und werden sollte ist ein Modell, das auf völlig neue Formen der Vergesellschaftung jenseits des kapitalistischen Lohnarbeitsverhältnisses zielt. Der Aufbau eine für alle zugänglichen, kostenlosen oder zumindest kostengünstigen und steuerfinanzierten Sozialen Infrastruktur in den Bereichen Gesundheit, Verkehr, Wohnen, Bildung und Kultur hätte gerade das Ziel, die Abhängigkeit von der Lohnarbeit mit den darin liegenden Diskriminierungen aufzuheben und die Warenförmigkeit der sozialen Beziehungen in wichtigen Sektoren der Grundversorgung zurückzudrängen. Das wäre ein Schritt zur Veränderung der herrschenden, kapitalbestimmten Gesellschaftsstruktur und tatsächlich so etwas wie ein „Systemwechsel“. Die Diskussion darüber hat schon vor einigen Jahren das links-netz angestoßen. Davon hat Riexinger wohl keine Kenntnis genommen. Obwohl das entsprechende Buch im gleichen Verlag erschienen ist.

Bernd Riexinger, System Change. Plädoyer für einen linken Green New Deal. Hamburg: VSA-Verlag 2020, 138 S.