Was kommt nach dem Wachstum?

Vergleich von Konzepten für ein nachhaltiges Wirtschaften

Karl Czasny

1.Vorspann

Kein Nachteil so ganz ohne Vorteil. Keine Pandemie so ganz ohne Gewinne für die Klima- und Umweltpolitik der Europäischen Union. Die hat 2020 ihr Reduktionsziel bei den Treibhausgasemissionen um einige Prozentpunkte übererfüllt und weist auch bei anderen Umweltindikatoren deutlich entspannte Werte auf. Während sich also Klima- und Umweltpolitiker richtig freuen können, hat die Wirtschaftspolitik zumindest Grund zur Vorfreude: eine Zeit lang darf sie demnächst die Wirtschaft nach Herzenslust wachsen lassen, ohne sich mit allzu lautem Protest der Wachstumsskeptiker herumschlagen zu müssen. Diese hatten in den letzten Jahren immer mehr Zulauf bekommen, denn es ist nicht länger zu leugnen: Die herkömmliche Wachstumsökonomie ist am Ende. Wo sie ihr Ziel verfehlt, erzeugt sie Massenarbeitslosigkeit und eine gefährliche Zuspitzung aller Verteilungskämpfe. Wo sie aber ihr Ziel erreicht, zerstört sie längerfristig die physischen Grundlagen unseres Lebens auf diesem Planeten. So warnte etwa das Umweltprogramm der UNO in einem 2018 publizierten Bericht davor, dass die Weltwirtschaft bei unveränderter Beibehaltung ihrer Wachstumsmuster den jährlichen Bedarf an Mineralien, Erzen, fossilen Brennstoffen und Biomasse bis zum Jahr 2050 verdreifachen werde.[1]

Bevor uns die Pandemie in ihren Bann zog, hatten daher neben Wachstumskritik auch Auseinandersetzungen zur Ökonomie einer Postwachstumsgesellschaft Hochkonjunktur. Mittlerweile liegen so viele einschlägige Theorien und Konzepte auf dem Tisch, dass man sich immer schwerer zurechtfindet im Dickicht der einander teils überlappenden, teils schroff widersprechenden Ansätze. Die nun eingetretene Diskussionspause gibt uns Zeit, einige der am häufigsten diskutierten Standpunkte etwas genauer zu mustern, um die zwischen ihnen bestehenden Unterschiede und Gemeinsamkeiten besser verstehen zu lernen. Die folgende Zusammenfassung der Ergebnisse meiner diesbezüglichen Recherchen und Überlegungen will zur Orientierung in dem neu entstandenen Diskussionsraum beitragen.

In einem im Vorjahr verfassten Aufsatz über die ökonomische Dimension der COVID-19-Pandemie[2] unternahm ich ebenfalls einen Streifzug durch mehrere ökonomische Theorien. Dort ging es aber um die in der Pandemie zutage tretende prinzipielle Krisenhaftigkeit unseres Wirtschaftssystems, während nun seine Wachstumsfixierung im Focus steht. Der erwähnte Text verglich neoliberale mit postkeynesianischen und marxistischen Ansätzen. Und diese drei stark kontrastierenden Zugänge zur Ökonomie spielen natürlich auch beim Thema ‚Wachstum‘ eine entscheidende Rolle. Sie verbergen sich hier aber hinter anders benannten Konzepten und treten in Konkurrenz zu Ansätzen, die bei der Diskussion der Krisenproblematik von geringerer Bedeutung sind.

Die vorliegende Präsentation unterscheidet fünf Gruppen von ökonomischen Zugängen zum Wachstumsproblem. Sie beginnt mit der vom neoliberalen Mainstream propagierten Green Economy und setzt fort mit der postkeynesianischen Ökonomie des Guten Lebens. Es folgen die Postwachstumsökonomie, die feministisch orientierte Wirtschaftstheorie des Sorgens und der mir selbst am nächsten stehende Ökomarxismus. Das letzte Kapitel ergänzt die vergleichende Darstellung der fünf genannten Positionen mit Überlegungen zum Prozess der Transformation, der die aktuelle Wachstumsökonomie in die angestrebte Post­wachstumsgesellschaft überführen soll.

Bei den fünf nun zu vergleichenden Zugängen zum Wachstumsproblem handelt es sich keinesfalls um so etwas wie monolithische Schulen, sondern viel eher um lockere Cluster mit starker innerer Differenziertheit. Zudem gibt es jede Menge von Zwischenpositionen, die sich keinem dieser fünf Typen eindeutig zuordnen lassen. Die nachstehenden Überlegungen verfolgen daher nicht die Absicht, einzelne Ökonom*innen[3] oder bestimmte politische Bewegungen, wie etwa die Klimabewegung, in die eine oder andere Schublade zu stecken. Es geht mir vielmehr um die das vorliegende Diskussionsfeld strukturierenden theoretischen und politischen Motive. Sie kritisch zu reflektieren und die zwischen ihnen bestehenden Bezüge (Nähe- bzw. Distanz, Spannungen, Widersprüche) aufzuzeigen, ist Ziel der folgenden Zeilen.

2. Neoliberale Green Economy

a. Darstellung
Dass die umfassend destruktive Dynamik des kapitalistischen Wirtschaftssystems selbst von dessen Eliten nicht mehr klein geredet werden kann, zeigte sich erstmals bereits Anfang der Neunzehnsiebzigerjahre, als der Club of Rome, ein den Führungsetagen nahestehender Thinktank, seine Studie zu den „Grenzen des Wachstums“ veröffentlichte. In der Folge wurden ökologische und soziale Nachhaltigkeit zu allgemein anerkannten Grundsätzen wirtschaftlicher Entwicklung, die in einschlägigen Beschlüssen mehrerer UNO-Konferenzen ihren Niederschlag fanden. Schließlich musste auch die Ökonomie diese neuen Grundsätze in ihr Lehrgebäude integrieren. Und weil in diesem seit Jahrzehnten die Gedanken des Neoliberalismus dominieren, entstand das einschlägig geprägte Konzept einer elitenkompatiblen Green Economy, die eine CO2-arme, ressourceneffiziente und sozial inklusive Wirtschaft etablieren soll.

Sie will dieses Ziel erreichen, indem sie die Dynamik des Marktes noch stärker entfacht, anstatt sie zu bremsen oder strengerer staatlicher Lenkung zu unterwerfen. Denn aus ihrer Sicht kann nur der Markt selbst jene Effizienzsteigerungen erzielen, welche erforderlich sind, um die weltweite Produktion von Gütern und Dienstleistungen möglichst weitgehend vom Verbrauch aller knappen natürlichen Ressourcen unseres Planeten abzukoppeln. Da aber ein dynamischer Markt Wachstum impliziert, erhebt man schwere Anschuldigungen gegen allzu forsche Wachstumskritiker. Aus Sicht der Green Economists leben sie meist selbst im Wohlstand und übersehen in ihren „flammenden Reden gegen das Streben nach immer mehr“, dass wegbrechendes Wachstum alle bisherigen Erfolge in der weltweiten Armutsbekämpfung zunichtemachen müsste.[4]

Dieser Vorwurf ist insofern berechtigt, als innerhalb der Systemgrenzen kapitalistischen Wirtschaftens selbst eine bloß ansatzweise Lösung des Weltarmutsproblems weiteres Wachstum voraussetzt. Letztlich geht das hier ins Spiel gebrachte Argument jedoch aus zwei Gründen ins Leere: Erstens impliziert das von der Green Economy angestrebte Wachstum, weil wir es mit einer kapitalistisch organisierten Wirtschaft zu tun haben, auch ein Wachstum der sozialen Ungleichheit.[5] Dieser Weg der Armutsbekämpfung verschärft damit die Explosionsgefahr im Druckkessel ‚Weltökonomie‘. Denn Benachteiligte kämpfen noch wütender um das, was man ihnen vorenthält, wenn sie nicht mehr vom Hunger geschwächt sind. Zweitens gibt es eben auch alternativen Strategien zur globalen Armutsbekämpfung. Die wären aber systemsprengend, weil sie Eingriffe in die bestehenden Eigentums- und Verteilungsverhältnisse enthalten.

Wenn sich also die Green Economy auch nicht vom Wachstumsideal verabschieden mag, so strebt sie doch einen zweifachen qualitativen Wandel des Wachstums an. Einerseits möge es primär aus einem starken Produktivitätsanstieg resultieren, um auf diesem Weg den Rohstoff- und Energiebedarf der Wirtschaft zu minimieren. Andererseits soll es sich auf die sogenannten „grünen Sektoren“ wie zum Beispiel den Ausbau der alternativen Energien, die Etablierung emissionsarmer Mobilitätslösungen und die thermische Gebäudesanierung konzentrieren. Denn die Dynamik dieser Wirtschaftsbereiche schaffe wichtige Voraussetzungen für die Verhinderung der drohenden Klimakrise und helfe bei der Bewältigung schon eingetretener Umweltschäden.

Da sie primär auf die Problemlösungskapazität des Marktes setzt, sieht die Green Economy eines ihrer wichtigsten Handlungsfelder in der behutsamen Umgestaltung von dessen Spielregeln und Rahmenbedingungen mit dem Ziel einer Steigerung seiner Umwelteffizienz. Es geht dabei nicht nur um Optimierung und Ausbau der bereits bestehenden Systeme des Handels mit CO2-Emissionsrechten, sondern auch um die Etablierung verschiedenster zusätzlicher Umweltmärkte. Beispielhaft erwähnt seien hier der Handel mit Rechten zur Emission anderer Schadstoffe und der Handel mit Biodiversitätszertifikaten. Dabei bewertet man Naturhabitate zunächst im Hinblick auf ihre ökonomischen Leistungen (z.B. Lieferung von Grundwasser, Speicherung von Treibhausgasen, Biodiversität, usw.). In der Folge können dann private Kapitalanleger, die im Zuge ihrer Investitionsvorhaben die Zerstörung des einen oder anderen Habitats planen, den zu erwartenden Schaden kompensieren, indem sie durch den Erwerb von Biodiversitätszertifikaten den Schutz gleich hoch bewerteter Ausgleichsflächen finanzieren.[6]

Wegen ihres grundsätzlichen Vertrauens in das freie Spiel der Konkurrenz steht die Green Economy allen die Marktdynamik einschränkenden Regulierungen sehr skeptisch gegenüber. Das gilt sowohl für vermeintlich allzu strenge Umweltnormen als auch für zusätzliche Handelsschranken zur Verhinderung von Umweltdumping (Stichwort: Klimazölle). So stimmt man zwar jenen Kritikern des Freihandels zu, welche beklagen, dass eine Wegwerfmentalität entstehe, wenn der Ersatz eines defekten Elektrogerätes durch ein billiges Importgerät günstiger ist als seine Reparatur. Man zieht aus dieser Feststellung aber gänzlich andere Schlussfolgerungen als die Freihandelsskeptiker. Das Problem sind nämlich aus neoliberaler Sicht nicht die niedrigen Importpreise sondern die hierzulande angeblich viel zu hohen Arbeitskosten im Gefolge eines als weit überhöht empfundenen Steuer- und Abgabenniveaus.[7] Die Bekämpfung der wachstumstreibenden Wegwerfmentalität sollte daher aus dieser Perspektive nicht durch zusätzliche Marktregulierungen geschehen sondern durch weitere Reduktion der Infrastruktur- und Sozialausgaben des Staates, dem man nur im Fall einer akuten Krise vermehrtes Handlungspotential zubilligt.

b. Einschätzung
Die Green Economy ist ein neuer Beleg für die schon oft konstatierte Flexibilität des Kapitalismus. Was einst der Club of Rome noch als absolute ökologische Grenze dieses Wirtschaftssystems wahrnahm, wird für sie zum Ausgangspunkt einer neuen Strategie der Kapitalakkumulation. Man darf diese Form der Bearbeitung von Symptomen der ökologischen Krise aber nicht mit einer Lösung jener Probleme verwechseln. Denn die resultieren aus der grundsätzlichen Widersprüchlichkeit der Aneignung der Natur durch den Kapitalismus und stehen nach jeder vermeintlichen Beseitigung in veränderter Gestalt wieder auf.[8]

Besagte Widersprüchlichkeit fußt zu einem Teil auf dem erst weiter unten zu behandelnden ökonomischen Wachstumszwang des Kapitalismus und zum anderen Teil auf den Funktionsprinzipien des von der Green Economy zur obersten Problemlösungsinstanz erhobenen Marktes. Das wichtigste dieser Prinzipien ist der Preismechanismus, der bei Knappheit eines Wirtschaftsgutes dessen Preis steigen lässt, während er bei Angebotsüberschüssen zu Preisreduktionen führt. Dies hat zur Folge, dass unser Weg in eine kohlenstofffreie, energie- und rohstoffsparende Wirtschaft kein entschlossenes Voranschreiten ist. Letzteres würde nämlich erfordern, dass wir den Preismechanismus auf den wichtigsten Energie- und Rohstoffmärkten außer Kraft setzen und schrittweise anzuhebende Mindestpreise definieren, was einerseits Spekulationen verhindern und andererseits eine langfristige Orientierung der Investitionstätigkeit ermöglichen könnte.

Weil wir uns zu einer so radikalen Absage an den Markt nicht entschließen, gleicht das Bewegungsmuster unserer Energie- und Klimapolitik einem verrückten Tanz. Da jede Energieeinsparung die Nachfrage und damit auch den Energiepreis verringert, folgt bei diesem Tanz auf zwei Schritte vorwärts im besten Fall ein Schritt rückwärts. Oft ist es leider sogar umgekehrt: ein Schritt vorwärts, zwei rückwärts. So führte etwa die vermehrte Produktion von Öko-Strom in Deutschland zu einem so starken Stromüberangebot, dass der Preis für eine Megawattstunde an der Leipziger Strombörse zwischen 2008 und 2016 von über 80 € auf weniger als 30 € sank[9], was sich entsprechend kontraproduktiv auf alle Bemühungen um Energieeinsparung auswirken musste. Ähnlich verrückt die Entwicklung auf dem Erdölmarkt: Hier bewirkte der am Ende der Neunzehnneunzigerjahre einsetzende und aus ökologischer Sicht höchst sinnvolle Anstieg der Ölpreise, dass es ab etwa 2010 lohnend wurde, Öl mittels der Fracking-Technologie aus Schiefersanden zu fördern. Im Gefolge des nun entstehenden Fracking-Booms sank dann der Preis so stark, dass auch auf dem Öl-Sektor alle Energieeinsparbemühungen unterlaufen wurden.[10]

Wie sich besonders drastisch am Beispiel von Venezuela zeigt, hatte diese Entwicklung neben ihren negativen Konsequenzen für das Tempo der Dekarbonisierung auch verheerende Folgen für die wirtschaftliche Stabilität der vom Öl-Geschäft abhängigen Entwicklungsländer. Da letztere als wichtige Rohstoff- und Energielieferanten besonders abhängig sind vom Preisniveau auf den internationalen Öl- und Rohstoffmärkten, haben sie am meisten zu leiden unter deren Instabilität. Und innerhalb dieser Staaten werden die neuen Mittelschichten, auf deren Herausführung aus der Armut der Neoliberalismus so stolz ist, zum Hauptopfer von Einbrüchen der Öl- und Rohstoffpreise.

Hoch problematisch ist auch die Strategie der Schaffung neuer Märkte, um mit ihrer Hilfe bestimmte Umweltziele zu erreichen. So hat etwa der CO2-Emissionshandel in den ersten 14 Jahren nach seiner Einführung in der EU kaum Anstöße zu einer nachhaltigen Emissionsverminderung gegeben, weil der Preis der auf diesem Markt gehandelten CO2-Zertifi­kate viel zu gering war. Kaum ändert sich dies nun, wird der Zertifikathandel auch schon als hoffnungsfrohes Spekulationsobjekt entdeckt, um das herum sich allerlei Finanzinstrumente etablieren, mit denen man Wetten auf steigende oder fallende Zertifikatspreise abschließen kann. Besorgte Stimmen warnen bereits vor der Gefahr, dass sich bei weiterem Anstieg der Zertifikatspreise eine Finanzblase aufbauen könnte[11], bei deren Platzen dann auch der Anreiz zur Emissionseinsparung platzen würde.

Noch negativer als die CO2-Emissionszertifikate sind die sogenannten Biodiversitätszertifikate zu beurteilen. Sie machen die Natur zum Finanzprodukt, und dadurch geschieht mit ihr, was bei jedem Handel mit Finanzprodukten zu beobachten ist: Dieser spaltet nicht bloß die Anleger in Winner und Loser, sondern stets auch die jeweils betroffenen Produzenten. Bei Aktien sind das die Arbeitnehmer der mit dem gehandelten Aktienkapital ausgestatteten Unternehmen, und bei den Biozertifikaten sind es die in den jeweils betroffenen Naturhabitaten beheimateten Pflanzen, Tiere und Menschen. Denn in einer zum Finanzprodukt degradierten Natur werden wenige ausgewählte Winner-Habitate geschützt auf Kosten der großen Masse der auf der Verliererseite angesiedelten Lebensräume, die von den über Biodiversitätszertifikate verfügenden Investoren mit bestem Gewissen besonders rasch und effizient zerstört werden dürfen.

Die geradezu wahnhafte Fixierung der neoliberalen Ökonomen auf das Problemlösungsinstrument ‚Markt‘ kommt dem zuletzt wieder verstärkt unter Überakkumulation leidenden Kapital[12] sehr entgegen, weil neue Märkte stets neue Veranlagungsmöglichkeiten mit sich bringen. Deshalb sieht man es in den Kommandozentralen der Wirtschaft gern, wenn nun die Staaten (derzeit vor allem erst im angelsächsischen Bereich) auch die sozialen Kollateralschäden der Wachstumswirtschaft mit eigens dafür geschaffenen Finanzinstrumenten ‚beheben‘ wollen. Es handelt sich dabei um die sogenannten ‚Social Impact Bonds‘ mit deren Hilfe private Investoren innovative Projekte im sozialen und wohlfahrtsstaatlichen Bereich finanzieren können. Wenn die Projekte ihre vordefinierten Ziele erreichen, bekommen die Investoren ihr Geld von der öffentlichen Hand zurück, plus eine Prämie von bis zu 30 Prozent der Investitionssumme. Hauptproblem dabei sind die Definitionen der jeweiligen Projektziele. Sie gehen an der gesellschaftlichen Wurzel der Missstände vorbei und richten sich nur auf die Beseitigung oberflächlicher Symptome bzw. die Reduktion von Folgekosten. Bei einem Projekt zu Obdachlosigkeit beispielsweise geht es dann nicht darum, soziale Defizite wie mangelnden Wohnraum, hohe Mieten und Armut zu bearbeiten, sondern bloß darum, die Obdachlosen irgendwie wegzubekommen, wenn nötig auch durch Abschiebung.[13]

In sich widersprüchlich sind aber nicht nur die Versuche, ökologische und soziale Pro­bleme mittels des Marktmechanismus zu lösen, sondern auch das oben erwähnte Konzept eines in zweifacher Hinsicht qualitativ ‚geläuterten‘ Wachstums. Betrachten wir zunächst die Konzentration der verbleibenden Zuwächse des BIP auf grüne Wirtschaftssektoren:

Erstens handelt es sich dabei um ein Projekt mit Ablaufdatum. Je mehr sich die Wirtschaft ihren ökologischen Zielen (Umstellung auf alternative Energiegewinnung, thermische Gebäudesanierung, usw.) annähert, desto schmaler wird der Spielraum für erlaubtes, weil ökologisch ‚gutes‘ Wachstum. Das eng mit der liberalen Demokratie westlicher Prägung verbundene neoliberale Akkumulationsregime kann aber mit einer solchen Verkleinerung des letzten ihm verbleibenden Wachstumsfeldes aus politischen Gründen nur sehr schlecht leben. Denn innerhalb seiner ökonomischen Systemgrenzen ist Wachstum unerlässliche Voraussetzung für die Vermeidung von schwer kontrollierbaren Verteilungskonflikten und demokratiepolitisch noch gefährlicherer Massenarbeitslosigkeit (Stichworte: Rechtspopulismus, Neofaschismus).

Zweitens helfen die Green Growth-Lösungen zwar vordergründig bei der Erfüllung bestimmter Klima- und Umweltvorgaben, implizieren aber ihrerseits zum Teil erhebliche Flächen-, Materie- und Energieverbräuche, ganz gleich ob es sich dabei um Passivhäuser, Elektromobile, Ökotextilien, Photovoltaik- und Offshore-Anlagen, solarthermische Heizungen, Carsharing, digitale Services usw. handelt. Schon jetzt sind etwa die durch ‚grüne‘ Technologien verursachten Landschaftszerstörungen beträchtlich und es gilt daher der bitteren Wahrheit ins Auge zu sehen: Viele dieser Technologien führen nicht zur Lösung der jeweils anvisierten ökologischen Probleme, sondern transformieren sie bloß auf eine andere physische, räumliche, zeitliche oder systemische Ebene,[14] wobei die räumliche Verschiebung einer besonders heimtückischen Logik folgt. Sie besteht nämlich im Wesentlichen darin, dass reiche und hochentwickelte Staaten die schmutzigen Begleiterscheinungen ihrer ‚grünen‘ Lösungen in den ärmeren Teil unserer Welt verlagern. Musterbeispiel dafür ist die Ökobilanz der vermeintlich ’sauberen‘ Elektroautos. Denn sie zeigt, dass dem emissionsfreien Betrieb dieser Fahrzeuge vermehrte Umweltbelastungen bei der ausgelagerten Produktion von Elektromotoren und Batterien gegenüberstehen.[15]

Nicht besser steht es um die Absicht, Wachstum weitestgehend auf einen Anstieg der Produktivität zu reduzieren. Wer in dieser Möglichkeit die Zukunft des Kapitalismus sucht, zeigt, dass er die Augen vor den grundlegenden Funktionsmechanismen jenes Wirtschaftssystems verschließt, oder vielleicht nicht versteht, wie Produktivitätsfortschritt und Wachstum zusammenhängen. Betrachten wir zunächst den Fortschritt in der Arbeitsproduktivität. Er besteht darin, dass mit weniger Arbeitseinsatz ein gleich hoher Output erzielt wird und bringt daher zunächst Vorteile für die innovativen Betriebe und deren Arbeitnehmer: Diese Unternehmen können vorübergehend ihren Marktanteil, vielleicht auch ihre Gewinnspanne erhöhen und meist eröffnen sich sogar Spielräume für Lohnerhöhungen bei den nicht eingesparten Arbeitskräften. Sobald jedoch die Konkurrenz nachzieht, verschwinden die vorübergehenden Vorteile der innovativen Unternehmen und es resultiert in Summe nur ein mehr oder weniger großer Verlust an Arbeitsplätzen. Dieser aber kann nur ausgeglichen werden, wenn an anderer Stelle zusätzliche Arbeitsmöglichkeiten entstehen, weil man dort zusätzliche Waren oder Dienstleistungen erzeugt, was gleichbedeutend ist mit entsprechendem Wirtschaftswachstum.

Auch alle anderen Formen des Produktivitätsfortschritts, etwa der sparsamere Einsatz von Rohstoffen, oder deren Ersetzung durch synthetisch erzeugte Vorprodukte, führen im Kapitalismus in letzter Konsequenz immer zu Wirtschaftswachstum. Dies liegt an dem schon von Schumpeter richtig beschriebenen Muster des Innovationswettbewerbs. Dabei versuchen die Innovatoren in den meisten Fällen sich durch die Entwicklung neuer, nicht so leicht imitierbarer Produkte oder Dienstleistungen Nischen zu schaffen, in denen sie vor der Preiskonkurrenz potentieller Mitbewerber geschützt sind und daher Extraprofite lukrieren können. Märkte mit gegebenem (d.h. nicht wachsendem) Nachfragevolumen können aber nur sehr begrenzt in Nischen unterteilt werden. Der eben beschriebene Innovationswettbewerb kann daher nur dann in großem Stil (d.h. von einer Vielzahl von Unternehmen) praktiziert werden, wenn die Gesamtnachfrage entsprechend wächst, was gleichbedeutend ist mit Wirtschaftswachstum.[16]

Die verschiedenen Formen von Produktivitätssteigerung sind nur Hebel, derer sich die einzelnen Kapitalien bedienen, um ihren individuellen Gewinn auf Kosten der Gewinne der Konkurrenz zu erhöhen. Und weil sich alle dieser Hebel bedienen, kommt es zu gesamtwirtschaftlichem Wachstum der Produktivität. Beim Produktivitätswachstum geht es also bloß um die Verteilung der Summe aller Gewinne auf die einzelnen Kapitalien. Beim Wachstum des BIP dagegen steht die Größe dieser Summe selbst zur Debatte: Nur wenn die Gesamtwirtschaft entsprechend wächst, kann die Summe der Gewinne wachsen. Angesichts eines wachsenden Bestands an privatem Kapital muss jene Gewinnsumme aber wachsen, wenn es sich (im Durchschnitt) weiterhin lohnen soll, das vorhandene Kapital zu investieren. Und es muss weiterhin lohnend sein, jenes Kapital zu investieren, sonst kommt der Wirtschaftskreislauf ins Stocken, was zum Sinken der Summe aller Gewinne führt. Mit anderen Worten: Ein von privaten Renditeüberlegungen in Schwung gehaltener Wirtschaftskreislauf muss wachsen – oder er wird schrumpfen. Kurz gesagt: Der Kapitalismus ist kein Gleichgewichtssystem. Das hat die marxistische Krisentheorie spätestens im Gefolge der Weltwirtschaftskrise des vorigen Jahrhunderts erkannt[17]. Und mittlerweile begreifen es auch die hellsten Köpfe unter den nicht-marxistischen Wachstumskritikern, wie etwa der Schweizer Ökonom Mathias Binswanger[18].

3. Postkeynesianische Ökonomie des Guten Lebens

a. Darstellung
Während sich die an einem ‚geläuterten‘ Wachstum festhaltende Green Economy als Reaktion auf externe Klima- und Umweltprobleme versteht, hatte John Maynard Keynes schon in den Neunzehndreißigerjahren ein Zukunftsbild des Kapitalismus entworfen, in dem dieser auf eine ökonomisch begründete, also innere Wachstumsgrenze stößt. Interessanterweise zeichnete Keynes dieses Bild einer mit Notwendigkeit stagnierenden Wirtschaft nicht als Dystopie, sondern als ein „goldenes Zeitalter“, in dem es den Menschen möglich sein werde,to live wisely, agreeably and well[19]. Keynes wurde damit zum frühen Vorreiter jener derzeit immer größer werdenden Gruppe von Ökonom*innen, die daran glauben, dass man den Kapitalismus durch geeignete wirtschaftspolitische Steuerung in ein umwelt- und klimagerechtes Stadium der Stagnation überführen könne. Manche Positionen, wie etwa jene von Karl Georg Zinn, knüpfen dabei ganz explizit an Keynes Vision an[20]. Zuletzt tritt aber an die Stelle der Rede vom „goldenen Zeitalter“ immer öfter die Formulierung vom „Guten Leben“, das man durch Weiterentwicklung des Keynesschen Instrumentariums der weitaus überwiegenden Mehrheit aller Gesellschaftsmitglieder trotz fehlenden Wirtschaftswachstums sichern könnte.

Dazu ist zunächst zu bemerken, dass der Topos des Guten Lebens von recht diffuser Bedeutung ist.[21] Er wurde im Jahr 2000 in Lateinamerika von der Indigenenbewegung geprägt, fand dann Eingang in die neuen, unter reger Beteiligung des Volkes konzipierten Verfassungen von Bolivien und Ecuador und strahlte in der Folge immer stärker auf die internationale Diskussion aus. Im Zentrum dieses Konzepts steht eine Vorstellung von ’nachhaltiger Entwicklung‘, die sich als Alternative zu den vom globalisierten Kapital bestimmten Entwicklungsmustern versteht und am Ideal einer Harmonie zwischen Mensch, Gesellschaft und Natur orientiert.

Der Mangel an weitergehender inhaltlicher Präzision ist das eigentliche Erfolgsgeheimnis jenes neuen Begriffs. Denn er bietet Anschlussmöglichkeiten für ganz unterschiedliche ökonomische Alternativkonzepte, die nur durch ihre Gegnerschaft zur herkömmlichen Wachstumsökonomie geeint sind. Dieser Begriff geistert mit unterschiedlicher Akzentuierung nicht nur durch die Degrowth-Bewegung und die feministisch geprägte Care-Ökonomie. Man begegnet ihm ebenso in der überwiegend links von der Sozialdemokratie angesiedelten und häufig ökomarxistisch akzentuierten Diskussion um eine die Systemgrenzen des Kapitalismus überschreitende sozial-ökologische Transformation der Gesellschaft – und eben auch in der (meist sozialdemokratisch orientierten) post-keynesianischen Ökonomie. So bezeichnet etwa Kate Raworth, Trägerin eines von SPÖ-Parlamentsklub und Renner-Institut verliehenen Preises für Wirtschaftspublizistik, ihr als Alternative zur neoklassischen bzw. neoliberalen[22] Wachstums-Ökonomie entworfenes Konzept als „eine Ökonomie des guten Lebens“.[23] Und auch der bekannte Keynes-Biograph Robert Skidelsky gibt einem gemeinsam mit seinem Sohn verfassten Bestseller mit dem Titel „Wieviel ist genug?“ den Untertitel „Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens“.[24]

Doch nun wieder zurück zu Keynes‘ Befund eines an innere Wachstumsgrenzen stoßenden Kapitalismus. Er prognostiziert der nach dem Ende des zweiten Weltkriegs zunächst rasch, dann langsamer expandierenden Wirtschaft eine allmähliche Stagnation. Denn einerseits werde die Konsumgüternachfrage immer mehr an Dringlichkeit verlieren, während andererseits durch laufende Akkumulation ein Kapitalüberangebot entstehe, sodass infolge des Zusammenspiels dieser beiden Tendenzen ein dauerhaftes Sinken der Rentabilität künftiger Investitionen (und damit der Investitionsbereitschaft) zu erwarten sei. Um die in dieser Situation drohende Massenarbeitslosigkeit zu vermeiden und die Entwicklung in Richtung auf ein „goldenes Zeitalter“ zu drehen, seien vor allem drei Maßnahmen erforderlich:

  1. Eine gleichmäßigere Verteilung der Einkommen (durch eine Art ‚Volkskapitalismus‘ mit breit gestreutem Aktienbesitz), welche den noch weniger gesättigte Konsumbedarf der unteren Einkommensschichten besser zum Tragen bringen könne
  2. Eine dauerhafte Erhöhung des Anteils des Staates, der durch eine höhere Steuerquote überschüssiges Kapital abzusaugen habe und als Konsument von kollektiven Gütern (Stichwort: materielle und soziale Infrastruktur) zur Stabilisierung der Gesamtnachfrage beitragen müsse, um das Einsetzen einer Abschwungdynamik zu verhindern
  3. Eine deutliche allgemeine Arbeitszeitverkürzung, welche die durch Produktivitätsanstiege bedingten Arbeitsplatzverluste ausgleichen könne und zugleich damit einen von entfremdeter Erwerbsarbeit freien Entfaltungsraum öffnen würde[25]

Während also der breit rezipierte konjunkturpolitische Keynes bloß Rezepte für vorübergehende Wachstumseinbrüche lieferte, entwickelte der viel weniger bekannte Langfristprognostiker Keynes die Vision eines seine ökologischen Grenzen nicht mehr überschreitenden Postwachstumskapitalismus, der an der Befriedung der im Kapitalverhältnis systemisch angelegten Klassenkonflikte arbeitet und menschliche Entwicklungspotentiale frei legt.

Werfen wir nun am Beispiel der zuvor erwähnten Kate Raworth einen kurzen Blick auf eines der an jener Vision festhaltenden Konzepte. Raworth bezeichnet ihren Ansatz als Donut-Ökonomie[26]und hat dabei das Bild eines ringförmigen Donuts vor Augen. Dieser steht für einen Korridor, dessen innerer Rand durch die Mindeststandards Guten Lebens definiert ist, während sein äußerer Rand mit den ökologischen Grenzen alles Wirtschaftens zusammenfällt. Eine intelligente und nachhaltige Donut-Ökonomie, welche die globale Wirtschaft durch diesen Korridor steuern wolle, dürfe sich nicht mehr an dem für die Neoklassik noch als oberstes Ziel geltenden BIP-Wachstum orientieren. Raworth ruft daher zu einer BIP-Agnostik auf. Was wirklich zähle, sei „das Wohlbefinden der Menschen“, und ein möglichst viele Gesellschaftsmitglieder einschließendes Wohlbefinden sei nicht sicherzustellen, indem man die Wirtschaft undifferenziert ankurble.

Die Erwartung, dass so erzielte Zuwächse dann irgendwann auch ganz unten ankommen, sei nämlich ebenso vergeblich wie die Hoffnung, dass zusätzliche Wirtschaftsdynamik eine nachträgliche Beseitigung aller durch das undifferenzierte Wachstum entstehenden Schäden ermöglichen werde. Man müsse daher eine von vornherein auf Verteilungsausgleich und Regeneration ausgerichtete Wirtschaft etablieren. Diese fuße auf Märkten, die nach übergeordneten Prinzipien wie Verteilungsgerechtigkeit, Nachhaltigkeit, Vielfalt und Resilienz designt werden, wobei sich jenes Design von Märkten nicht am mechanischen Gleichgewichtsmodell der Neoklassik orientieren dürfe. Vielmehr gelte es, ein systemisches Denken zu praktizieren, das Interdependenzen und Rückkoppelungseffekte berücksichtige und daher in der Lage ist, jene verhängnisvollen Fehlentwicklungen zu vermeiden, die soziale und ökologische Kipppunkte überschreiten.

b. Einschätzung
Keimzelle sämtlicher Spielarten der postkeynesianischen Ökonomie des Guten Lebens ist Keynes‘ Utopie eines „Goldenen Zeitalters“. Wir dürfen uns ihr nur mit großer Vorsicht nähern, stellte sie doch genau wie die von der Geschichte widerlegte deterministische Interpretation des Marxismus das politisch Wünschbare als ökonomische Unvermeidlichkeit dar. Während marxistische Zusammenbruchstheoretiker dem Kapitalismus ein unausweichliches und zugleich erhofftes Ende vorhersagten, prognostizierte ihm Keynes die nicht vermeidbare Verwandlung in eine wachstumslose Wirtschaft. Diese sei dann durch kluge Politik so weit stabilisierbar, dass genau jene Entfaltung bisher verschütteter menschlicher Potentiale möglich werde, die für Marxisten erst nach der Überwindung des Kapitalismus realisierbar erscheint.

Daneben gibt es eine zweite, sehr wichtige Parallele zwischen marxistischer und keynesianischer Langfristbetrachtung. Jener Prozess, der im einen Fall die schiere Existenz des Kapitalismus bedroht, im anderen jedoch bloß zu dauerhafter Stagnation führt, hat nämlich aus beiden Perspektiven dieselbe Ursache. Marx nennt diese Ursache den „tendenziellen Fall der Profitrate“, während Keynes von der „abnehmenden Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals“ spricht. Löst man die marxistische Variante aus ihrem deterministischen Korsett, dann bleibt der von mir geteilte Befund einer innerhalb der Systemgrenzen des Kapitalismus immer bloß aufschiebbaren, aber nicht abzuschüttelnden Tendenz zur Verlangsamung des Akkumulationsprozesses. Anders als für Keynes ist aber für Marxisten die kapitalistische Wirtschaft prinzipiell nicht im Stadium eines langfristigen Nullwachstums fixierbar. Denn sie haben, wie bereits oben festgestellt, in ihr ein System grundsätzlichen Ungleichgewichtes erkannt, das immer nur zwischen Wachstum und Schrumpfung pendeln kann. Keynes‘ Vision einer sozial und ökonomisch stabilen Dauerstagnation erscheint daher aus ihrer Perspektive als pure Illusion. Deren Realisierbarkeit kann auch nicht dadurch erhöht werden, dass man Raworths Vorschlag folgend komplexere Gleichgewichtsmodelle anwendet, welche die Verhinderung gravierender Abweichungen vom ökonomischen Idealpfad durch Berücksichtigung von Interdependenzen und Rückkoppelungseffekten versprechen.

Diese pessimistische Einschätzung ergibt sich aus der Perspektive der marxistischen Arbeitswertanalyse und ist daher innerhalb des unzulässig verengten methodischen Rahmens der (post-) keynesianischen Ökonomie nicht nachvollziehbar. Beschränkt man hier doch (so wie bei der neoklassischen Konkurrenz) alles Beobachten und Erklären auf die durch Preise und deren Relationen gekennzeichnete Marktoberfläche. Es fehlt daher jedes Verständnis für den unter der Oberfläche ablaufenden Prozess der Schaffung und Aneignung von Arbeits- bzw. Mehrwert. Wegen der Ausblendung dieses unsichtbaren Vorgangs aus allen Analysen, kann man nicht erkennen, dass ein grundsätzlicher Widerspruch zwischen kollektiver Produktion und privater Aneignung jenes Mehrwerts besteht, der in weiterer Folge eine notwendig zum Ungleichgewicht tendierende Dynamik der Kapitalakkumulation bewirkt.[27]

Des Pudels Kern ist die zu Arbeitswert gerinnende menschliche Arbeit. Weil der Mensch ein größeres Maß an Arbeit vollbringen kann, als aufzuwenden ist, um seine Arbeitsfähigkeit zu erzeugen bzw. zu erhalten, ist ein Teil der geschaffenen Arbeitswerte Mehrwert. Jedes Kapital muss sich möglichst viel Mehrwert aneignen, wenn es die Konkurrenz mit anderen Kapitalien überleben will. Der Mehrwert, als Substanz der an der Marktoberfläche erscheinenden Wertschöpfungen, fungiert daher im Kapitalismus als Treibstoff eines prinzipiell auf Akkumulation angelegten Wirtschaftens. Das Problem der vom (Post-) Keynesianismus angestrebten kapitalistischen Nullwachstumsgesellschaft mit dem Mehrwert liegt somit darin, dass das mittels BIP gemessene Wirtschaftswachstum Abbild jener vom Kapital vollzogenen Akkumulation von Mehrwert ist. Daraus resultieren zwei für den (Post-) Keynesianismus sehr unangenehme Schlussfolgerungen:

  • Erstens muss das BIP jeder kapitalistischen Gesellschaft wachsen, wenn sie nicht wegen rückläufiger Kapitalakkumulation schrumpfen will.
  • Zweitens kann eine ökonomisch stabile Nullwachstumsgesellschaft nicht nach den Funktionsprinzipien des Kapitalismus organisiert werden.

Raworth ist sich dieser Problematik offensichtlich nicht bewusst. Denn sie glaubt, die Mainstream-Ökonomie habe sich die längste Zeit nur deshalb sosehr am BIP orientierte, weil der Gedanke fortgesetzten Produktionswachstums sehr gut zu der allgemeinen Auffassung passte, dass Fortschritt stets eine Vorwärts- und eine Höherentwicklung sei“. Diese Vermutung stellt die tatsächlichen Verhältnisse auf den Kopf. Die allgemeine Auffassung, dass Fortschritt stets eine Höherentwicklung sei, ist nämlich nicht Ursache sondern Folge entsprechender Erfahrungen in der kapitalistischen Ökonomie. Darüber hinaus deutet die genannte Vermutung auf ein grundsätzliches Missverstehen der Bedeutung der Messgröße ‚BIP‘ hin. Ist dieses BIP doch eine näherungsweise Abbildung der Summe aller in der jeweils betrachteten Wirtschaftsperiode erzeugten Arbeitswerte. Vergleicht man jene Summe mit dem in der Vorperiode erzielten Ergebnis, erhält man eine grobe Schätzung für das Gesamtvolumen des zuletzt erzeugten Mehrwerts. In Relation zum jeweils vorhandenen Kapitalstock ergibt sich daraus ein Hinweis auf die Entwicklung des Durchschnittsprofits, der seinerseits von entscheidender Bedeutung für die Dynamik der jeweiligen Wirtschaft ist.

Dieser Zusammenhang zwischen dem vom BIP gemessenen Wachstum und dem prinzipiell nur als auf- oder abwärtsgerichtete Spirale, niemals aber als Kreis vorstellbaren Muster der Kapitalakkumulation wird durch die von Raworth propagierte „BIP-Agnostik“ verkannt. Letztere ist daher für jemanden, der die Steuerung einer kapitalistisch organisierten Wirtschaft verbessern möchte, völlig unangebracht. Gleiches gilt für sämtliche Versuche, das BIP durch alternative Messgrößen zu ersetzen, welche Wirtschaftsleistungen nur nach ihrer Bedeutung für die Erzielung von Gutem Leben oder „Gemeinwohl“[28] beurteilen. Aus der Perspektive der marxistischen Arbeitswertanalyse verwechseln alle derartigen Messungen den Gebrauchswert von Gütern bzw. Leistungen mit ihrem vom Arbeitswert abgeleiteten Tauschwert. Denn sie messen die von den produzierten Gütern und Dienstleistungen repräsentierten Gebrauchswerte, während die Dynamik der kapitalistischen Wirtschaft primär von der Entwicklung der auf den Arbeitswert bezogenen Tauschwerte aller Erzeugnisse und Leistungen abhängt.

Mangelndes Verstehen der Bedeutung des Mehrwerts für die Aufrechterhaltung der Kapitalakkumulation ist auch Ursache für eine vermutlich allzu optimistische Sicht des Postkeynesianismus auf die Möglichkeit einer Ausweitung des Anteils der öffentlichen Hände am Wirtschaftsgeschehen. Diese Strategie bewährt sich glänzend bei der Bewältigung krisenhafter Wirtschaftseinbrüche (Stichwort ‚Deficit Spending‘). Denn jene Einbrüche resultieren aus einem die Kapitalakkumulation kurzfristig zum Stocken bringenden Mehrwertmangel. Und der kann durch kreditfinanzierte Vorgriffe des Staates auf erst künftig zu schaffenden Mehrwert vorübergehend ausgeglichen werden. Vielleicht funktioniert Ähnliches auch noch in der zeitlich begrenzten Phase eines „Green New Deals“, in deren Verlauf man die Wirtschaft dekarbonisiert. Was aber geschieht danach, wenn man die Kapitalakkumulation aus ökologischen Gründen dauerhaft drosselt, sodass ein entsprechend dauerhafter Mehrwertmangel entsteht? In dieser Situation ist es höchst fraglich, ob der Wirtschaftskreislauf bei einem Nullwachstumsgleichgewicht stabilisiert werden kann, wenn man gleichzeitig den Anteil der öffentlichen Hände am gesamten Wirtschaftsgeschehen ausweitet, um den von der Ökonomie des Guten Lebens propagierten Ausbau der sozialen Infrastruktur und der öffentlich angebotenen sozialen Dienstleistungen (Bildung, Gesundheit, Pflege, …) zu realisieren. Hier besteht wohl größte Gefahr, dass durch das damit einhergehende Anwachsen von Staatsschuld und/oder Steuerbelastung zusätzlicher Sand ins Getriebe kommt und eine krisenhafte Abwärtsspirale einsetzt.

Die Schranken einer die Systemgrenzen des Kapitalismus nicht überschreitenden Ökonomie des Guten Lebens zeigen sich aber nicht erst in dieser (vorläufig noch weit entfernten) finalen Phase stabilen Nullwachstums. Auch schon in der noch ein wenig Wachstum ge­stattenden Gegenwart stößt jeder Versuch eines entschiedenen Ausbaues von sozialer In­frastruktur und öffentlich angebotenen sozialen Dienstleistungen auf eine hohe ökonomische Hürde. Das hier zu beachtende Hindernis ist ebenfalls wieder am deutlichsten sichtbar aus der Perspektive der marxschen Arbeitswerttheorie. Denn es beruht darauf, dass der Preis jeder Ware maßgeblich von ihrem Arbeitswert abhängt, welcher seinerseits durch die Menge der für ihre Produktion „gesellschaftlich notwendigen“ Arbeit gegeben ist. Letztere umfasst nicht nur die in ihrer unmittelbaren Fertigung enthaltenen Tätigkeiten, sondern auch die Gesamtheit aller begleitenden und vorauslaufenden Aktivitäten, von der Ausbildung der Arbeitskräfte bis hin zur Sorgearbeit für die noch nicht bzw. nicht mehr arbeitsfähigen Angehörigen der Arbeitskräfte. Die Frage ist nun: Wer legt fest, welche und wie viele von diesen nur indirekt im jeweiligen Arbeitswert enthaltenen Aktivitäten wirklich „gesellschaftlich notwendig“ sind?

In einer isolierten nationalen Ökonomie bestimmt das der Staat bzw. die ihm zugrunde liegende politische Willensbildung. Wenn sie etwa entscheidet, dass für ein Gutes Leben viel mehr hochqualifizierte Sorgearbeit als derzeit üblich erforderlich ist, dann wird der Arbeitswert und mit ihm der Durchschnittspreis aller in der betreffenden Wirtschaft gehandelten Waren entsprechend ansteigen. In einer globalisierten Ökonomie, in der immer größere Teile des Warenangebots für einen weitgehend freien Weltmarkt produziert werden, hat nun aber der einzelne Staat bzw. die ihm zugrunde liegende politische Willensbildung jene Autonomie des Festlegens der Kriterien eines Guten Lebens verloren. Denn hier entscheidet die internationale Konkurrenz der Warenanbieter mittels des Preismechanismus, was „gesellschaftlich notwendig“ ist, um ein bestimmtes Produkt zu erzeugen. Bei gegebener Qualität einer Ware setzen sich die jeweils billigsten Angebote durch. Und das sind die Exportprodukte aus den nationalen Ökonomien mit den niedrigsten Standards dafür, was als ein gerade noch erträgliches Leben anzusehen ist. Gutes Leben für die große Mehrzahl der Menschen rückt daher mit einem freien Weltmarkt in weite Ferne.

Der eben geäußerte Vorbehalt bezieht sich zwar primär auf jene Politik des Guten Lebens welche sich unmittelbar in höheren Lohn- bzw. Lohnnebenkosten niederschlägt. Er ist aber auch zu berücksichtigen bei den über höhere Besteuerung von Vermögen und Einkommen oder über Budgetdefizite finanzierten Maßnahmen im Dienste eines Guten Lebens. Denn in beiden Fällen wirkt ebenfalls der limitierende Einfluss der internationalen Konkurrenz. Zu hohe Steuern beeinträchtigen die sogenannte ‚Standortqualität‘ und führen zu Kapitalflucht, während zu hohe Budgetdefizite die Währung unter Druck bringen und die Möglichkeit des Staates, sich über Anleihen zu finanzieren, verschlechtern. Gleichwohl bestehen hier (vor allem wegen des aktuell sehr niedrigen Zinsniveaus) gewisse Spielräume für eine geschickte Politik des Guten Lebens. Hat doch die Erhöhung der Lebensqualität bei den unteren Einkommensschichten auch positive Effekte für die Standortqualität.[29] Entscheidende Durchbrüche zu einem nachhaltig Guten Leben dieser Bevölkerungsgruppen werden aber auf diesem Weg sehr schwer zu erzielen sein. Denn spätestens dann, wenn die Zinsen wieder steigen, wird auch die Defizitfinanzierung wieder zu einem großen Problem.

Eng begrenzt sind nicht nur die Möglichkeiten der öffentlichen Hände, durch vermehrte Aktivität selbst für Gutes Leben zu sorgen. Betrachtet man die bisherigen ‚Erfolge‘ beim Bemühen, die erforderliche Energiewende mit dem marktwirtschaftlichen Instrumentarium zu bewältigen, dann sind wohl auch große Zweifel angebracht, ob durch das von Raworth propagierte „Designen“ der Märkte entscheidende Schritte in Richtung auf die ökosoziale Transformation unserer Wirtschaft gelingen können. Ganz generell sind offensichtlich die in der ökonomischen Basis des Kapitalismus verankerten Schranken für seine grundlegende ökosoziale Transformation sehr eng gezogen.

Darüber hinaus wirken auch im politischen Überbau dieses Wirtschaftssystems Beharrungsmechanismen, denen der (Post-) Keynesianismus ziemlich hilflos gegenübersteht. Besonders deutlich zeigt sich das am Beispiel der schon von Keynes ins Spiel gebrachten Forderung, die durch den Produktivitätsfortschritt ‚freigesetzten‘ Arbeitskräfte mittels allgemeiner Arbeitszeitverkürzung wieder in Beschäftigung zu bringen. Aus ökonomischer Perspektive wäre dieses Vorgehen durchaus systemkonform. Denn rein rechnerisch ist eine solche allgemeine Arbeitszeitverkürzung selbst bei vollem Lohnausgleich völlig kostenneutral. Es stehen ihr aber zwei politische Hindernisse entgegen. Zum einen würde dadurch der in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich angewachsene Sockel an Arbeitslosen entscheidend verringert, was in weiterer Folge zu einer entsprechende Stärkung der gesellschaftlichen Position der Arbeitskräfte sowie ihrer gewerkschaftlichen und politischen Organisationen führen müsste. Zum anderen wären für die erfolgreiche Durchführung dieses Vorhabens gewaltige öffentliche Anstrengungen bei der Umschulung von Arbeitskräften und eine wesentlich aktivere, an sektoralen Plänen orientierte Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik erforderlich.

Ein solches Zusammenspiel von gestärkter gesellschaftlicher Position der Arbeitskräfte und höherer Bedeutung von planorientierter Steuerung durch die öffentlichen Hände mag durchaus auch in dem vom (Post-) Keynesianismus betonten langfristigen Interesse des Kapitals liegen. Denn man würde ja dadurch die Massenkaufkraft stärken und die soziale Spaltung der Gesellschaft vermindern. Für das politische Agieren des Kapitals und seiner Interessenvertreter sind aber meist kurzfristigere ökonomische Ziele ausschlaggebend. Geht es doch für jedes einzelne Kapital primär ums Überleben im Konkurrenzkampf, und da sitzt das Hemd (sprich die eigene Lohnsumme) stets näher als der Rock (sprich: die Massenkaufkraft). Langfristige Orientierungsmuster prägen das Agieren der politischen Vertreter des Kapitals meist nur in dem Ausmaß, in dem sich die Interessen jener Einzelkapitalien bzw. Kapitalfraktionen durchsetzen, welche die ökonomische Kraft für eine größere Zeiträume umfassende Planung aufbringen.

Neben der eben skizzierten Konstellation von kurz- und langfristigen Interessen auf der Seite des Kapitals spielt auch der zuvor erwähnte Arbeitslosensockel eine entscheidende Rolle beim politischen Widerstand gegen alle Versuche, das System ausgehend von dem durch den (Post-) Keynesianismus beanspruchten Standpunkt der langfristigen Interessen aller Kapitalien zu reformieren. Hohe Sockelarbeitslosigkeit führt nämlich zu einer sehr starken Bindung der meisten Arbeitskräfte an die kurzfristigen Interessen ihrer aktuellen (bzw. potentiellen) Arbeitgeber. Dies hat zur Folge, dass alle auf langfristige Stabilität und Nachhaltigkeit des gesamten Wirtschaftssystems bezogenen Forderungen, die in Widerspruch zu jenen kurzfristigen Interessen der Einzelkapitale stehen, auch seitens der Arbeitnehmer auf sehr breiten Widerstand stoßen. Und so sinken paradoxerweise die Chancen für die Realisierung einer allgemeinen Arbeitszeitverkürzung in dem Maße, in dem jene Sockelarbeitslosigkeit, welche sie abbauen soll, ansteigt.

4. Postwachstumsökonomie

a. Darstellung
Waren die ökonomischen Auseinandersetzungen um die Zukunft des Kapitalismus in der westlichen Welt während des gesamten zwanzigsten Jahrhunderts von Neoklassik und (Post-) Keynesianismus bestimmt, so betrat nach der Jahrtausendwende eine neue Bewegung die Diskussionsbühne. Sie sammelt sich seither unter den Schlagworten ‚Postwachstum‘ bzw. ‚Degrowth‘ und umfasst mittlerweile eine Vielzahl sehr unterschiedlicher Ansätze. Geeint werden sie durch die Überzeugung, dass Wachstum und nachhaltige Entwicklung unvereinbar sind und daher durch alternative Wirtschaftsmuster ersetzt werden müssen. Die folgende Darstellung wesentlicher Thesen dieser Bewegung konzentriert sich auf den Ansatz des bekannten Postwachstumstheoretikers Niko Peach, weil es sich dabei um die derzeit wohl elaborierteste einschlägige Position im deutschen Sprachraum handelt.[30] Wenn ich sie anschließend aus marxistischer Perspektive kritisiere, ist im Auge zu behalten, dass das breite Spektrum der Postwachstumsökonomie auch Konzepte umfasst, die dem marxistischen Denken näher stehen als die hier beispielhaft dargestellte Position von Peach.

Dessen von vielen Degrowth-Bewegten geteilte Sicht auf das Thema ‚Wachstum‘ unterscheidet sich in einem wichtigen Punkt grundsätzlich vom Problemzugang der drei bisher mit einander verglichenen Ansätze. Sowohl neoklassische Ökonomen als auch Postkeynesianer und Marxisten gehen bei ihrer Betrachtung der Wirtschaft vom kapitalistisch verfassten Markt aus. Dieser ist für sie das zentrale Instrument zur Steuerung der Entwicklung von Produktion und Konsumtion. Und ihre Problemstellung besteht darin, unser durch dieses Instrument gesteuertes Wirtschaften mit der Natur zu versöhnen. Die Differenzen zwischen Neoklassik und Keynesianismus rühren vor allem aus einer jeweils unterschiedlichen Auffassung von der Rolle des Staates auf diesem Markt. Und der Marxismus grenzt sich von den beiden anderen Ansätzen nur durch zwei Besonderheiten ab. Er beachtet nämlich zum einen bei all seinen Analysen neben den an der Marktoberfläche ablaufenden Tauschvorgängen auch die diesen zugrunde liegenden, aber unsichtbaren Ausbeutungsbeziehungen. Zum anderen ist der Markt für ihn nicht das einzig denkbare Steuerungsinstrument. Ist er doch überzeugt, dass Versöhnung mit der Natur nur bei seiner Ablösung durch eine auf kollektivem Eigentum an den Produktionsmitteln fußende Planwirtschaft möglich ist.

Peach sieht demgegenüber bei seinen Überlegungen zum Wachstumsproblem in unseren ökonomischen Aktivitäten zunächst bloß einen durch bestimmte Muster der Arbeitsteilung und des Konsums gekennzeichneten Stoffwechsel mit der Natur. Dass diese Produktions- und Konsumtionsmuster in eine kapitalistisch verfasste Marktwirtschaft eingebettet sind, spielt für ihn beim ersten Zugriff auf das Problem keine Rolle. Er fragt sich daher nicht, ob (bzw. inwieweit) die jeweilige Gestalt dieser Muster das Resultat besagter Wirtschaftsordnung ist. Theoretische Zugänge zur Wachstumsfrage, die bei ihren Überlegungen von den Gesetzlichkeiten des kapitalistisch verfassten Marktes ausgehen, um die in ihnen implizierten Wachstumszwänge zu entschärfen, repräsentieren für Peach eine „institutionelle Perspektive“. Seine eigene Annäherung an das Problem bezeichnet er dagegen als „substanziell“, weil er sie als Beispiel für „weitreichendere Konzepte“ ansieht[31].

Substanzieller bzw. weitreichender als der institutionelle Ansatz erscheint ihm diese Annäherung an das Problem deshalb, weil man dabei die zu behebenden Mängel gleichsam im Inneren jener Produktions- und Konsummuster sucht und nicht in ihrer kapitalistisch-marktwirtschaftlichen Organisation. Peach stößt bei dieser Suche auf zwei Hauptdefizite unseres Stoffwechsels mit der Natur. Das eine besteht darin, dass die immer feiner gegliederte industrielle Arbeitsteilung und die strikte Trennung von Produktion und Konsumtion sowohl bei den Produzenten als auch bei den Konsumenten zu verantwortungslosem Verhalten führen. Das andere Defizit sieht er in unmittelbar wachstumstreibenden Strukturmerkmalen unserer Produktions- und Konsumtionsmuster.

Letztere kranken für ihn daran, dass der Nutzen vieler Konsumgüter vor allem symbolischer Art ist, weil er auf Distinktion, sozialem Prestige oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe fußt. Mit jedem Wachstumsschub können bestimmte Konsumenten ihren Status zulasten der relativen Position anderer Konsumenten verbessern. Diese werden in der Folge zu Befürwortern weiteren Wachstums, sodass ein vom Statuswettbewerb in Gang gehaltener steter Wachstumsdruck entsteht.

In der industriellen Produktion macht Peach drei strukturelle Wachstumstreiber aus:

  1. den bereits bei Behandlung der Green Economy erwähnten Innovationswettbewerb, der nur bei wachsendem Gesamtvolumen des jeweiligen Marktes funktioniert.
  2. den jedes industrielle Fremdversorgungssystem kennzeichnenden „Aufbau funktional hoch ausdifferenzierter – also ‚langer‘ – Wertschöpfungsketten“. Dabei entsteht notwendig Wachstum, weil jede zusätzliche Aufgliederung der Produktionskette zwar die einzelne Ware verbilligt, aber dazu führt, dass insgesamt mehr gleichartige Waren produziert werden.
  3. den gesellschaftspolitischen Zwang, zumindest einen Teil der durch derartiges Produktivitätswachstum frei gesetzten Arbeitskräfte wieder in die Produktion zu integrieren, was nur durch Ausweitung des Wertschöpfungsprozesses möglich ist.

Peach versteht die von ihm propagierte nachhaltige Postwachstumsökonomie in expliziter Absetzung von Green Growth-Lösungen als ein „ökonomisches Reduktionsprogramm“ mit Versorgungsmustern, welche „die zeitgenössische Komfortzone in Frage stellen“. Auf Basis einer gewiss mühsamen Herausbildung reduzierter Konsumerwartungen gelte es, das Gesamtvolumen der Wertschöpfung einerseits zurückzufahren und andererseits so weit wie möglich von der globalen zur regionalen Ökonomie und von hier aus weiter zur Selbstversorgung der Endverbraucher zu verlagern. Dabei entstehe eine eng mit der industriellen Produktion verzahnte „moderne Subsistenz“, bei welcher der Endverbraucher nicht mehr bloßer Konsument sei. Vielmehr werde er durch eigenständig erbrachte Inputs zu einem „Prosumenten„, der bei den global bzw. regional erzeugten Produkten eine entkommerzialisierte Nutzungsdauerverlängerung und Nutzungsintensivierung erziele, die man als nicht-industrielle Verlängerung von Versorgungsketten auffassen könne.

b. Einschätzung
Die hier am Beispiel Peachs präsentierte Postwachstumsökonomie bereichert die Diskussion von Alternativen zur Wachstumsgesellschaft durch drei sehr wichtige Impulse:

  1. die entschiedene Zurückweisung der Möglichkeit eines dauerhaft ’sauberen‘ Wachstums auf Basis von Produktivitätsfortschritt und ‚grüner‘ Technologie
  2. das Bekenntnis zu einem ökonomischen Reduktionsprogramm mit deutlich vermindertem individuellem Warenkonsum
  3. die Einsicht, dass die in einer nachhaltigen Ökonomie grundlegend veränderten Produktions- und Konsumtionsmuster auch völlig neu gestaltete Beziehungen zwischen Produzenten und Konsumenten implizieren

Der erste Punkt findet weitgehende Zustimmung bei vielen Postkeynesianern und Marxisten. Bei den zwei anderen Punkten zeigen sich dagegen Differenzen zu den beiden letztgenannten Positionen, die nun etwas näher zu beleuchten sind. Zuerst zu dem in Punkt zwei angesprochenen individuellen Warenkonsum. Hier geht es um das Thema des Guten Lebens, das auch für die Degrowth-Bewegung eine wichtige Rolle spielt[32]. Man versteht darunter aber nicht genau dasselbe wie die davor dargestellten Postkeynesianer.

Peach etwa gibt dem Ziel einer Versöhnung des Menschen mit der Natur Vorrang vor allen der Versöhnung des Menschen mit sich selbst dienenden gesellschaftlichen Strukturreformen. Diese stellen aus seiner Perspektive keine eigenständigen Ziele dar, sondern können immer „nur Mittelcharakter haben“. Wie die Marxisten sehen dagegen die Post­keynesianer wegen ihrer Nähe zur gewerkschaftlich-sozialdemokratischen Gedankenwelt in der Aufhebung gesellschaftlicher Widersprüche ein ganz zentrales, eigenständiges Ziel. Gutes Leben hat deshalb in ihren Augen einen starken Akzent auf umfassender sozialer Gerechtigkeit und besserer Verteilung der individuellen Konsummöglichkeiten.

Innerhalb des Problemkreises der Versöhnung des Menschen mit sich selbst geht die Postwachstumstheorie ebenfalls einen eigenen Weg. Denn für sie stehen die vom Industrialisierungsprozess verursachten Aufspaltungen des Kollektivs ‚Menschheit‘ in konkurrierende wenn nicht gar feindliche Klassen, Staaten, Regionen, usw. nicht so sehr im Zentrum ihrer Aufmerksamkeit wie die mit ihm verbundene Entfremdung des Individuums von sich selbst. Gutes Leben enthält daher für die Degrowth-Bewegten neben der Versöhnung mit der Natur vor allem personenbezogene Zielvorstellungen wie ‚Entschleunigung‘, ‚Zeitwohlstand‘ und ‚Konvivialität‘[33]. Wegen geringerer Relevanz der mit gesellschaftlichen Spaltungstendenzen verbundenen Verteilungsproblematik ist den Postwachstumsökonomen auch die Verteidigung individueller Konsumchancen kein vorrangiges Anliegen. Den als unerlässlich erachteten Verzicht auf viele uns ans Herz gewachsene Konsumgüter möchte man mit jenen Gewinnen an Lebensqualität aufwiegen, die im Zuge der in Punkt drei erwähnten grundlegenden Umgestaltung der Produktions- und Konsumtionsmuster entstehen.

Bei dieser Umgestaltung spielt die mit der ‚modernen Subsistenz‘ angesprochene Änderung des Verhältnisses der Konsumtion zur Produktion eine wichtige Rolle. Sie ist aber nicht die einzige Alternative der Postwachstumstheorie zu der in der Green Economy unverdrossen beibehaltenen Orientierung am individuellen Konsum. Man betont nämlich ergänzend die Wichtigkeit des ressourcenschonenden Umstiegs auf kollektive Formen des Konsums. Dabei stimmt man zwar im Prinzip überein mit Marxisten und Postkeynesianern[34], es ist jedoch ein Akzentunterschied bei der Art des jeweils angestrebten kollektiven Konsums festzustellen. Die beiden letztgenannten Gruppen denken primär an zentral organisierte, überregionale Konsumformen wie etwa den öffentlichen Verkehr. Die Postwachstumsbewegung dagegen unterstreicht richtigerweise auch die Relevanz von kleinteiligen, dezentralen Konsummustern (Stichworte: Gemeinsame Nutzung von Ge­brauchsgütern, Tauschkreise, usw.), wobei man aber leider kaum Überlegungen zur Verknüpfung beider Spielarten des kollektiven Konsums anstellt.

Umfang und Tiefe des Reformprogramms der Degrowth-Bewegung überschreiten das Ausmaß der Veränderungsabsichten vieler Postkeynesianer und eröffnen Anschlussmöglichkeiten zur Radikalität des marxistischen Zugangs zum Wachstumsproblem. Dieser gemeinsamen Offenheit für eine grundlegende Transformation unseres Wirtschaftssystems stehen aber bedeutende Differenzen zwischen der von der Degrowth-Bewegung angestrebten Postwachstumsgesellschaft und der marxistischen Nachhaltigkeitsutopie gegenüber. Sie wurzeln im unterschiedlichen analytischen Zugang zur aktuellen Wachstumsökonomie, der daher nun etwas genauer zu betrachten ist.

Im Gegensatz zu Peachs „substanziellem“ Vorgehen weigert sich der „institutionell“ operierende Marxismus, Wirtschaft auf einen Stoffwechsel zwischen Mensch und Natur zu reduzieren. Weil Wirtschaften kollektives Handeln ist, konstituiert es für ihn nie bloß ein Verhältnis zwischen Mensch und Natur, sondern zugleich immer auch bestimmte Verhältnisse zwischen den Menschen. Und weil diese Verhältnisse stets gewisse Entscheidungs-, Kooperations- und Verteilungsmuster umfassen, handelt es sich dabei immer um Herrschaftsverhältnisse. Das der jeweiligen Wirtschaftsform entsprechende Verhältnis des Menschen zur Natur entwickelt sich niemals unabhängig von diesen Herrschaftsverhältnissen, sondern wird stets durch sie beeinflusst. Im Kapitalismus äußert sich diese unaufhebbare Herrschaftsproblematik unseres Stoffwechsels mit der Natur darin, dass alle Produkte Waren sind, die nur deshalb erzeugt werden, damit Kapitalverwertung (sprich: Ausbeutung von Arbeitskraft) stattfinden kann. Die Ware ist daher für Marx nicht einfach Ergebnis einer Gebrauchswerte schaffenden Arbeitstätigkeit, sondern zugleich immer auch Resultat eines Tauschwerte erzeugenden Verwertungsvorgangs. Das gesamte Produktionsgeschehen erscheint aus seiner Perspektive als eine von der Logik der Kapitalverwertung bestimmte, in sich widersprüchliche Einheit von Arbeits- und Verwertungsprozess.[35]

Peach unterschlägt diese Herrschaftskomponente alles Wirtschaftens im Namen eines vermeintlich substanzielleren Zugangs zu unserem Stoffwechsel mit der Natur. Kapitalverwertung ist für ihn daher nicht ein den gesamten Produktions- und Konsumtionsprozess durchdringendes Prinzip, sondern wird nur dort punktuell ins Spiel gebracht, wo es ihm für seine Argumentation gerade passt. Dadurch bleiben ganzheitliche bzw. systemische Effekte und Erfordernisse der Kapitalverwertung unterbelichtet. Ein Beispiel für das Übersehen der umfassenden Wirkungsmacht der Logik der Kapitalverwertung ist Peachs kurzschlüssige Vermutung, dass der „industriell arbeitsteilige Wertschöpfungsprozess … (durch den) dabei eingesetzte(n) technische(n) Fortschritt fortwährend die Arbeitsproduktivität steigert“. Tatsächlich bietet die arbeitsteilige Gestaltung der Wertschöpfungsprozesse bloß günstige Ansatzpunkte für derartigen technischen Fortschritt. Der Zwang zur kontinuierlichen und exzessiven Nutzung dieser Möglichkeiten resultiert dann erst aus den Erfordernissen der Kapitalverwertung. Verfehlt ist deshalb auch der Versuch die Kritik an den immanenten Wachstumszwängen des Kapitalismus durch Kritik am „Produktivismus und Industrialismus“ zu ersetzen.[36]

Ein anderes Beispiel für die Folgen des Ausblendens systemischer Überlegungen ist das fehlende Verständnis für die Zusammenhänge zwischen Konsumtion und Produktion in einer von der Logik der Kapitalverwertung geprägten Wirtschaft. Wegen dieses blinden Flecks übersieht Peach bei seiner Kritik an dem vom Konsumwettbewerb ausgehenden Wachstumszwang, dass die meisten Wettbewerbs- und Wachstumsaspekte unseres Konsumverhaltens bloße Reflexe der im Bereich der Produktion wirkenden Wettbewerbs- und Wachstumszwänge sind (Stichworte: Marketing, Werbung). Im Gefolge dieses Fehlers versteigt sich dann zu einer völlig überzogenen und verzerrten moralischen Anklage gegen das Konsumieren als solches. Für ihn besteht „das Wesensprinzip des Konsumierens … darin, sich … den materiellen Ertrag der andernorts verbrauchten Ressourcen und Flächen zunutze zu machen.“ Diese Erträge aber sind aus seiner Perspektive bloß eine der Natur abgerungene „Beute, die aus ökologischer Sicht gar nicht erst hätte entstehen dürfen und die zweitens alles andere als »verdient« und »erarbeitet« wurde.[37] Hauptschuldiger an dieser Ausbeutung der Natur ist für Peach niemand anderer als das einst selbst ausgebeutete Proletariat. In diesem Sinne kritisiert er bei Marx die Verengung des Ausbeutungsbegriffs auf ein innergesellschaftliches Herrschaftsverhältnis und fragt polemisch, warum das zu einer „globale(n) Konsumentenklasse“ herangereifte Proletariat, dessen ruinöser Lebensstil inzwischen die ökologische Kapazität mehrerer Planeten verschlingt, aus marxistischer Sicht nicht auch als »ausbeuterisch« bezeichnet“ wird.[38]

Diese Problembeschreibung ist so grotesk verzerrt, dass man sie durchaus als böswillig bezeichnen kann. Denn sie verschleiert, dass der Antrieb für die immer brutalere und immer universellere Ausbeutung der Natur in den von der Logik der Kapitalverwertung ausgehenden Handlungszwängen liegt und nicht in den Konsumwünschen der lohnabhängigen Arbeitskräfte. Die eigentliche Ursache für die immer schärfere Ausbeutung der Natur durch den Menschen ist also die Existenz einer auf der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen fußenden Wirtschaftsordnung, in welcher der Konsum gar nicht eines der Ziele des Wirtschaftens ist, sondern bloß ein Zwischenstadium in dem allesbestimmenden Prozess der Selbstverwertung des Kapitals. Mehr dazu im abschließenden Kapitel über Strategien der Transformation.

Neben seiner Analyse des Ist-Zustands leidet auch Peachs Skizzierung des möglichen Weges in die Postwachstumsgesellschaft an fehlendem Verständnis für die Enge der Verflechtung von Arbeits- und Verwertungsprozess. So müsste etwa die von ihm angestrebte sukzessive Ersetzung von Teilen der globalen und regionalen Warenproduktion durch ‚moderne Subsistenz‘ dem verbleibenden Rumpfsystem der industriellen Kapitalverwertung eine immer größere Menge menschlicher Arbeit entziehen. Letztere ist aber als einzige Quelle von Mehrwert der ‚Treibstoff‘ des Verwertungsprozesses. Peachs Weg in eine nachhaltige Wirtschaft würde somit den weiterhin kapitalistisch organisierten industriellen Nukleus der Postwachstumsgesellschaft in eine schwere Dauerkrise stürzen. Die erhoffte „Synchronisation von Industrierückbau und kompensierendem Subsistenzaufbau“ erscheint daher als eine Entwicklungsidylle, die nicht weniger illusionär ist als der postkeynesianische Traum von einem langfristig stabilen Nullwachstumskapitalismus.

Die Unterschätzung der zentralen Rolle des institutionellen Rahmens unseres Wirtschaftens beeinträchtigt darüber hinaus Peachs Pläne für die Organisation des industriellen Nukleus der Postwachstumsgesellschaft. Diese umfassen zwar Experimente mit veränderten „Unternehmensformen wie Genossenschaften, Non-Profit-Organisationen“ oder Konzepten „des solidarischen Wirtschaftens“, weil man damit wachstumstreibende „Gewinnerwartungen dämpfen“ könnte. Alle derartigen Reformen verbleiben aber innerhalb der Systemgrenzen einer von Konkurrenz und Gewinnorientierung gesteuerten Marktwirtschaft. Denn Peachs explizit nicht-institutioneller Problemzugang erschwert es wohl, eine grundlegende Änderung der Eigentumsverhältnisse ins Auge zu fassen, um damit jene Wachstumszwänge und Krisentendenzen bewältigen zu können, die im regional-globalen Industrieskelett seiner Postwachstumsgesellschaft fortwirken.

Eine Fehleinschätzung der Rolle des institutionellen Rahmens unseres Wirtschaftens kennzeichnet schließlich auch Peachs Zukunftsvision einer Alternative zu den großen technisch-institutionellen Apparaten der Industrie. In Anlehnung an Ivan Illich sieht er in ihnen eine Bedrohung des Individuums, weshalb man man sie im Sinne von Leopold Kohrs „Kleine-Einheiten-Prinzip“ durch eine „de-globalisierte, womöglich regionalisierte Ökonomie“ ersetzen sollte. Diese kleinen Einheiten gälte es natürlich im Rahmen einer umfassenden Nachhaltigkeitsstrategie überregional, ja weltweit zu koordinieren. Über die ökonomische bzw. politische Basis dieser Koordination erfährt man jedoch nichts bei Peach. Wie im Fall der oben angesprochenen Frage der Verknüpfung von kleinräumigen und überregionalen Formen des kollektiven Konsums zeigt sich also auch hier wieder ein konzeptionelles Defizit der Postwachstumsökonomie beim Verbinden von dezentralen mit zentralen Aktionsmustern.

5. Feministische Wirtschaftstheorie des Sorgens

a. Darstellung
Sorgearbeit (Care Work) ist seit je eines der zentralen Themenfelder der feministischen Ökonomie. Ursprünglich ging es dabei nur um jenes Sorgen für andere Menschen, welches unbezahlt innerhalb der Haushalte stattfindet und bis heute überwiegend auf den Schultern von Frauen liegt. In der ersten Phase der wissenschaftlichen Aufarbeitung dieses Themas bemühte man sich einfach darum, die von der Mainstream-Ökonomie und ihrer Statistik weitgehend ausgeblendete Sorgearbeit sichtbar zu machen und ihre Bedeutung für das klaglose Funktionieren des gesamten Wirtschaftssystems darzustellen.[39] Anschließend kam es dann zu einer nun kurz zu skizzierenden Weiterentwicklung dieser Aufgabenstellung, im Zuge derer sich die Care-Thematik schließlich eng mit den Diskussionen über das Ende des Wachstums verknüpfte.

Zunächst wurde den mit Care Work befassten Ökonominnen immer deutlicher bewusst, dass in den von ihnen untersuchten Sorgebeziehungen ein Interaktionsmuster dominiert, das nicht unter die vom neoklassischen Paradigma postulierte Handlungslogik subsumierbar ist. Letztere unterstellt einen zweckrational orientierten Akteur, den sogenannten ‚homo oeconomicus‘, der ausschließlich seine eigenen, gänzlich egoistischen Interessen verfolgt.[40] Sorgebeziehungen sind demgegenüber seitens der Sorgenden gekennzeichnet durch Zuwendung zum jeweils umsorgten Gegenüber, auf dessen Wünsche und Bedürfnisse mit Feingefühl einzugehen ist. Dies hat unter anderem zur Folge, dass sich die für die Sorgearbeit charakteristischen Zeitstrukturen und Zeitbedarfe gegen alle von der Handlungslogik des homo oeconomicus diktierten Versuche der Rationalisierung und Zeiteinsparung sperren.

Die Etablierung des neoliberalen Akkumulationsregimes führte zu einer dramatischen Zuspitzung der Widersprüche zwischen beiden Handlungslogiken. Denn einerseits stützte sich nun die Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft vermehrt auf die Lohnarbeit der Frauen, was eine gravierende Destabilisierung der Familien zur Folge hatte. Andererseits fand kompensatorisch eine massive Verwandlung von ursprünglich familiären Sorgeleistungen in externe Erwerbsarbeit statt (Stichwort: ‚Kommodifizierung von Sorgearbeit‘)[41]. Die Antwort der feministischen Ökonominnen auf diese brisante Konstellation war die Entwicklung einer neuen Wirtschaftstheorie des Sorgens (Care-Ökonomie), die sich in zwei entscheidenden Punkten explizit als Gegenentwurf zur neoklassischen Ökonomie versteht:

Der erste betrifft den Gegenstandsbereich der Ökonomie. Während sich die herkömmliche Wirtschaftswissenschaft fast ausschließlich mit Marktprozessen und Geldströmen befasst, konzentriert sich die Wirtschaftstheorie des Sorgens als eine Lebensweltökonomie auf die Versorgung der Menschen durch bezahlte und unbezahlte Arbeit“.[42] Der zweite Punkt betrifft die Grundsätze des Wirtschaftens, welche das von feministischen Ökonominnen gegründete „Netzwerk Vorsorgendes Wirtschaften“ folgendermaßen bestimmt: „Kooperation statt Konkurrenz, Vorsorge statt Nachsorge, Orientierung am Lebensnotwendigen statt an monetären Größen“[43] – wobei an dieser Stelle wieder unser altbekanntes „Gutes Leben“ auftaucht. Denn man definiert das Lebensnotwendige als das „für das Gute Leben Notwendige“.[44] Der Geltungsanspruch dieser neuen Grundsätze geht weit über die Grenzen der Reproduktionssphäre hinaus. Sie werden nämlich von den Care-Theoretiker­innen „als allgemeine Prinzipien betrachtet, die auch für die bezahlte Erwerbswirtschaft gültig sind und eine sozial und ökologisch zukunftsfähige Wirtschaftsweise unterstützen würden.“[45] Das der Wirtschaftstheorie des Sorgens zugrunde liegende Verständnis von Care wurde damit so umfassend, dass es „auch die Sorgearbeiten für künftige Generationen und Natur, Tiere und Pflanzen mit ein(schließt).[46]

Jetzt wird klar, wieso sich im Gefolge der skizzierten Weiterentwicklung der feministischen Ökonomie die Care-Thematik eng mit den Diskussionen über das Ende des Wachstums verknüpfte. Denn ein ökonomisches Programm, das die gesamte Wirtschaft und deren Verhältnis zur Natur der Logik des Sorgens unterwerfen will, trifft ziemlich genau den Punkt, an dem sich die angestrebte Postwachstumsgesellschaft von der unseren unterscheiden soll. Es ist daher geradezu selbstverständlich, dass sich Ökonominnen und Frauennetzwerke seit der UN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro 1992 immer intensiver in die internationale Auseinandersetzung um ein sozial und ökologisch nachhaltiges Wirtschaften einschalten.

Sie tun dies zwar vor dem Hintergrund ihres gemeinsamen Leitgedankens einer anzustrebenden Ökonomie des Sorgens. Dieser Leitgedanke trägt jedoch bei all ihren konkreten Analysen und Handlungsvorschlägen unterschiedliche ‚Färbungen‘. Letztere sind vom theoretischen Umfeld geprägt, vor dessen Hintergrund die jeweilige Ökonomin ihre Care-Perspektive entwickelt. Es gibt daher Lesarten des Care-Konzepts, die auf einen marxistischen oder einen postkeynesianischen Hintergrund verweisen, oder aber eher dem Umfeld der Postwachstumsbewegung zuzuordnen sind. Verbindungen zwischen der neoliberalen Green Economy und einer ernst gemeinten Care-Perspektive sind dagegen nur sehr schwer vorstellbar, da sich ja das Sorge-Prinzip als Gegenentwurf zum Menschenbild der Neoklassik versteht.

Abgesehen von diesen durch individuelle Forschungsbiographien erklärbaren Relationen zwischen verschiedenen Spielarten des Care-Konzepts und den übrigen hier betrachteten Ansätzen fielen mir bei meinen Recherchen folgende Nähe- bzw. Distanzverhältnisse auf:

  • Eine wichtige Gemeinsamkeit des Care-Konzepts mit den drei anderen Gegenpositionen zur neoliberalen Green Economy besteht darin, dass man der aktuellen Wachstumsökonomie die Idee eines Wirtschaftens gegenüberstellt, das einen nicht von Profiterfordernissen diktierten, bewusst vorsichtigen Umgang mit seinen humanen und natürlichen Ressourcen pflegt.
  • Ähnlich wie bei Postkeynesianern und Ökomarxisten liegt bei den Vertreterinnen des Care-Konzepts tendenziell ein stärkeres Gewicht auf sozialer Nachhaltigkeit als bei den Degrowth-Bewegten, die ihrerseits zumeist den ökologischen Aspekt der Nachhaltigkeit in den Vordergrund stellen.[47]
  • Im Verhältnis des Care-Ansatzes zur Postwachstumsbewegung deuten sich für mich zwei weitere Akzentunterschiede an: Vielen Degrowth-Bewegten scheint es im Hinblick auf die Umweltressourcen vor allem um deren möglichst vollständige Erhaltung zu gehen. Im Care-Ansatz ist dieses Anliegen noch enger verknüpft mit dem Bemühen um ein qualitativ neues (partnerschaftliches, sorgendes) Verhältnis zur Natur. Ferner dürften viele Anhänger der Postwachstumsbewegung beim Umgang mit den Umweltressourcen primär an verminderte Inanspruchnahme denken, während Vertreterinnen des Care-Ansatzes eher den Wechsel von der aktuell dominierenden Reparaturgesinnung zu vorausschauendem Präventions- und Vorsorgeverhalten anstreben.
  • Eine strukturelle Nähe zwischen Care und Degrowth resultiert dagegen aus der Konzentration der Care-Theoretikerinnen auf die in den Haushalten geleistete unbezahlte Sorgearbeit und deren Verzahnung mit bezahlter Sorgearbeit. Hier ergeben sich Querverbindungen zum Postwachstums-Konzept der ‚modernen Subsistenz‘, das auf eine optimierte Verzahnung von Selbstversorgung und industrieller Produktion abstellt.

b. Einschätzung
Die feministische Ökonomie und die in ihrem Kontext entstandene Wirtschaftstheorie des Sorgens bringen zwei wesentliche Beiträge in die Kritik der Wachstumsgesellschaft ein. Zum einen lenken sie unseren Blick auf die in der Sphäre der Reproduktion stattfindende gesellschaftliche Arbeit und verweisen auf gravierende Defizite der männerdominierten ökonomischen Lehre bei deren Analyse.[48] Zum anderen machen sie deutlich, dass vor allem in den nicht-gewerblichen Bereichen der Reproduktionssphäre Arbeits- und Kooperationsformen dominieren, die für ein sozial und ökologisch nachhaltiges Wirtschaften von größter Bedeutung sind. Während der Marxismus die in der Produktionssphäre des Kapitalismus dominierenden Muster eines durch Verwertungszwänge entstellten Arbeitens aufheben und durch nicht-entfremdete Arbeit ersetzen will, möchten die Care-Theoreti­kerinnen die in den nicht-gewerblichen Bereichen der Reproduktionssphäre anzutreffende Handlungslogik verallgemeinern bzw. zu einem unsere Gesamtwirtschaft leitenden Verhaltensprinzip aufwerten.

In ihrer Utopie unterscheiden sich also Marxisten und Care-Theoretikerinnen nur wenig voneinander. Die einen denken dabei an die von Marx erwähnte „freie bewusste Tätigkeit“, welche für ihn ein Gegenbild der im Kapitalismus vorgefundenen Arbeit war, bei welcher der Mensch sich von der Natur, von seinem Mitmenschen und von seinem „menschlichen Gattungswesen“[49] entfremdet. Die anderen haben dabei das von Kooperationsbereitschaft, Empathie und zukunftsorientierter Umsicht gekennzeichnete Sorgehandeln im Auge. Ich selbst halte letzteres für einen äußerst wichtigen Spezialfall von Marxens freier bewusster Tätigkeit, während manche Care-Theoretikerinnen dazu neigen, das Handlungsmuster des Sorgens zum allgemeinen Überbegriff für alle Wirtschaftstätigkeit aufzublasen.[50] Aber diese kleine Differenz sei nur am Rande vermerkt. Wichtiger erscheint mir folgendes Problem mancher Zugänge zur Ökonomie des Sorgens:

Verknüpft man das Konzept des Sorgehandelns nicht von vornherein systematisch mit den Befunden einer umfassenden (am besten natürlich: marxistischen) Wirtschafts- und Gesellschaftsanalyse, kann daraus sehr leicht ein Idealmodell wirtschaftlichen Handelns werden, dessen Bezüge zur Logik der Kapitalverwertung im Unklaren bleiben. Wird etwa behauptet, „das Handlungsmodell des Sorgens (könne) als allgemeines und übergeordnetes Handlungsmodell betrachtet werden, von dem der homo oeconomicus eine extreme Sonderform darstellt“[51], dann muss man im Sinne der geforderten systematischen Verknüpfung natürlich weiterfragen,

  • wie es geschehen konnte, dass jene „extreme Sonderform“ wirtschaftlichen Handelns zum alles dominierenden Handlungsmuster eines weltumspannenden Wirtschaftssystems wurde, das der „übergeordneten“ Handlungsform des Sorgens lange Zeit nur ein Schattendasein an den Rändern der Erwerbswirtschaft zugestand,
  • wieso diese „übergeordnete“ Handlungsform des Sorgens dort, wo man sie neuerdings auch in die Erwerbswirtschaft hereinholt, massiv beeinträchtigt wird durch die von der Handlungslogik des homo oeconomicus ausgehenden Verhaltenszwänge,
  • und wo sich in dem System globaler Kapitalverwertung Ansatzpunkte für die Entwicklung zivilgesellschaftlicher und politischer Bewegungen zeigen, welche die dominierende Handlungslogik des homo oeconomicus ernsthaft in Frage stellen könnten.

Bei unzureichender oder fehlerhafter Beantwortung dieser und weiterer ähnlich gelagerter Fragen, kann analog zu der oben am Beispiel von Nico Peach dargestellten Postwachstumsökonomie die Illusion entstehen, dass die angestrebte Neuorientierung der Wirtschaftsbetrachtung und des wirtschaftlichen Handelns innerhalb der Grenzen der kapitalistischen Ökonomie realisierbar sei.

Wie weit das Idealmodell des Sorgehandelns die engen Grenzen der unserer ökonomischen Realität überschreitet (wie illusionär also die Vorstellung ist, es könne im aktuellen Wirtschaftssystem je zum dominanten Handlungsprinzip werden), zeigte sich kürzlich schlaglichtartig beim verbalen Vorgeplänkel zu einem Arbeitskonflikt in einem wichtigen heimischen Unternehmen. Als dieses coronabedingt in Schieflage geriet, klagte seine forsche Geschäftsführerin über allzu hohe „Altlasten und Altverträge“. Das veranlasste den Betriebsrat zu einer Gegenstellungnahme, in der er bekannte, dass er „von einer Frau in einer Führungsposition … und einer werdenden Mutter“ einen sensibleren Problemzugang erwartet hätte. Damit kam er bei der Gegenseite ganz schlecht an. Die Aufsichtsratschefin sprach von einer „sexistischen Aussage“ und meinte, „die persönliche Lebenssituation einer Geschäftsführerin heranzuziehen sei unlauter. … An die Mutterrolle zu appellieren, grenze an Mobbing.“ Und der Aufsichtsrats-Vizechef sah sich gar mit einem „mittelalterlichen Frauenbild“ konfrontiert.[52]

Dabei hat unser Betriebsrat bloß die Thesen der Care-Ökonomie beim Wort genommen. Denn die beziehen sich unter dem Stichwort „Lebensweltökonomie“ ganz explizit auf die persönliche Lebenssituation der Menschen im Haushalt und fordern, diese in die Wirtschaftsbetrachtung zu integrieren. Auch der Appell an die Mutterrolle ist beste Care-Tradition, propagiert doch die Sorgeökonomie ein neues Menschenbild, das vom alltäglichen Handeln der Menschen, insbesondere von der Lebensrealität der Frauen, ausgeht. Wahrscheinlich war der Rückgriff des Arbeitnehmervertreters auf Thesen der Care-Ökonomie nur als Provokation der Managerinnen gedacht. Womöglich aber hat der Kollege einfach übersehen, dass diese Thesen von einem utopischen Idealmodell des Handelns ausgehen, welches für die Entscheidungsträger*innen einer von der Profitlogik gesteuerten Wirtschaft nicht betrachtungsleitend und schon gar nicht handlungsorientierend werden kann.

6. Ökomarxismus

a. Die Position von Marx
Rekapitulieren wir zunächst kurz, welche Position Marx selbst in dem von der Wachstumskritik adressierten Themenfeld bezog. Klarerweise hat er sich zu keiner der von uns im vorliegenden Kontext diskutierten Fragen direkt geäußert, da der Wachstumsaspekt der kapitalistischen Ökonomie zu seiner Zeit noch kein Problem darstellte. Der damalige Kapitalismus zehrte von scheinbar unerschöpflichen Rohstoffreserven der Natur und wuchs in eine unendlich aufnahmefähig und duldsam erscheinende Umwelt hinein. Auch an einen Zusammenhang zwischen der gerade erst Fahrt aufnehmenden Karbonwirtschaft und der Entwicklung des Weltklimas dachte zu jener Zeit noch kein Mensch. Ohne die daraus für uns heute resultierenden Probleme unmittelbar anzusprechen, lieferte Marx jedoch einen entscheidenden Beitrag zum Verständnis der Ursachen von Wirtschaftswachstum. Darüber hinaus bezog er auch sehr klar Stellung zur möglichen Zukunft der Arbeit und zur Rolle von Wissenschaft und Technik beim Stoffwechsel des Menschen mit der Natur.

Seinen Beitrag zur Analyse des Wirtschaftswachstums habe ich bereits bei der Kritik der postkeynesianischen Postwachstumskonzepte unter den Stichworten „Wachstumszwang“ und „spiralförmiges Muster der Kapitalakkumulation“ behandelt. Und auch die daraus resultierende Schlussfolgerung, dass eine ökonomisch stabile Nullwachstumsgesellschaft nicht auf der Basis privater Akkumulation von Kapital organisiert werden kann, wurde an der genannten Stelle schon angesprochen. Während Marx also in dieser entscheidenden Frage auch heute noch durchaus beim Wort zu nehmen ist, liegen die Dinge bei seiner Einschätzung der Rolle der Produktivkräfte ‚Wissenschaft‘ und ‚Technik‘ und bei seiner Vorstellung von einer möglichen Zukunft der Arbeit komplizierter. In beiden Fällen spielt sein Bild von der Natur sowie vom Verhältnis des Menschen zur Natur eine entscheidende Rolle. Und da gibt es zwei Probleme.

Das erste der beiden besteht darin, dass das neunzehnte Jahrhundert von zwei stark konkurrierenden Naturbildern geprägt ist, die beide bei der Entstehung des Werks von Marx eine bedeutende Rolle spielen. Der junge Marx, der in den ‚Ökonomisch-philosophischen Manuskripten‘ die Entfremdung des Arbeiters im Kapitalismus beklagt, stand noch deutlich unter dem Einfluss des romantischen Zugangs zur Natur. Denn auch für diesen war die von Industrialisierung und Verstädterung bedrohte Natur ein verlorener Sehnsuchtsort, von dem sich der moderne Mensch entfremdet hatte. Schon bald darauf zeigt sich dann bei Marx die Kehrseite jenes resignativ-rückwärtsgewandten Zugangs zur Natur: Das optimistisch in die Zukunft blickende Naturbild der Moderne. In ihm sieht der davor jahrtausendelang durch eine übermächtige Natur bedroht Mensch nun erstmals die Möglichkeit, dies Herrschaftsverhältnis mittels Wissenschaft und Technik umzukehren. Und jener Logik der Umkehrung eines Herrschaftsverhältnisses folgt auch Marx, wenn er in dem nur wenige Jahre nach den ‚Ökonomisch-philosophischen Manuskripten‘ entstandenen Kommunistischen Manifest davon spricht, dass „die Bourgeoisie … in ihrer kaum hundertjährigen Klassenherrschaft massenhaftere und kolossalere Produktionskräfte geschaffen (hat) als alle vergangenen Generationen zusammen“, und dass diese Produktionskräfte nun eine „Unterjochung der Naturkräfte“ ermöglichen.

Jetzt zum zweiten Problem bei Marxens Zugang zur Natur: Auch wenn er bei seinen ökonomischen Analysen als einer der ersten schon systemisch dachte, war doch jenes schließlich von ihm übernommene Naturbild der Moderne des neunzehnten Jahrhunderts weitgehend mechanisch geprägt. In diesem Bild hatte Natur noch nicht den Stellenwert eines Systems, das an die Wand fährt, wenn sich Wissenschaft und Technik ihm nicht mit ganzheitlichem Verständnis für alle Neben- und Spätfolgen unseres Handelns nähern. Die auf dem mechanischen Naturbild fußende und von der Bourgeoisie entwickelte Technik verstand daher ihr Handeln nicht als ein behutsames Steuern, sondern hatte keinerlei Scheu vor brutalen Eingriffen in die Natur. Erst nachdem jene Technik noch viel mächtiger geworden war als zu Marxens Zeiten, und erst nachdem der Kapitalismus sich zu einem globalen Wirtschaftssystem entwickelt hatte, begannen wir endlich zu verstehen, dass wir auch uns selbst bei allem technisch-wirtschaftlichen Handeln als Teil des umfassenden Ökosystems ‚Erde‘ zu begreifen haben, und dass die in jenem System vorhandenen Ressourcen nicht unerschöpflich sind. Diese Erkenntnisse aber bringen uns nun zu der Einsicht, dass unser Ziel nicht die Umkehr des zwischen Natur und Mensch bestehenden Herrschaftsverhältnisses sein kann, sondern im Aufbau einer partnerschaftlichen und sorgenden Beziehung zum übrigen Leben auf dieser Erde bestehen sollte.

Man hat den von einer Unterjochung der Natur sprechenden Marx ein Stück weit hinter sich zu lassen, wenn man als Marxist der Gegenwart diese durch Postwachstums- und Care-Theorie in die ökonomische Diskussion eingebrachten Einsichten aufnehmen will. In der Folge kommt man dann aber mit diesen Einsichten sehr schnell an einen Punkt, an dem nun wieder einer der zentralen marxschen Gedanken in die Postwachstumsdiskussion einfließen muss. Es geht dabei um das berühmte Konzept einer Dialektik zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen. Im Vorwort von „Zur Kritik der Politischen Ökonomie“ fand Marx dafür folgende Worte: „Auf einer gewissen Stufe ihrer Entwicklung geraten die materiellen Produktivkräfte der Gesellschaft in Widerspruch mit den vorhandenen Produktionsverhältnissen oder, was nur ein juristischer Ausdruck dafür ist, mit den Eigentumsverhältnissen, innerhalb deren sie sich bisher bewegt hatten. Aus Entwicklungsformen der Produktivkräfte schlagen diese Verhältnisse in Fesseln derselben um. Es tritt dann eine Epoche sozialer Revolution ein. Mit der Veränderung der ökonomischen Grundlage wälzt sich der ganze ungeheure Überbau langsamer oder rascher um.“

Die Frage ist nun: Welcher der derzeit in Gang befindlichen Entwicklungen der Produktivkräfte werden durch die aktuellen Produktionsverhältnisse (sprich: durch den Kapitalismus) Fesseln angelegt? Ein Marxismus, für den die Menschheit ein Teil des umfassenden Ökosystems ‚Erde‘ ist, versteht, dass es bei der fraglichen Entwicklung nicht um das vielerorts zu beobachtende Hindrängen des technisch-wirtschaftlichen Handelns zu noch brutalerer Unterjochung der Natur gehen kann. Was der Kapitalismus behindert, ist vielmehr die Radikalisierung der vorerst nur sehr zögerlichen Ansätze zur Umorientierung jenes Handelns in Richtung auf das nun erforderliche neue Verhältnis zur Natur. Denn zum einen erschwert das derzeit universell etablierte Konkurrenzprinzip das Praktizieren eines ganzheitlichen Zugangs zum Ökosystem Erde und zu seinen vielfältigen regionalen Subsystemen. Zum anderen steht die alle Wirtschaftsentscheidungen prägende Logik der kurzfristigen Profitmaximierung im Widerspruch zu dem nun ebenfalls notwendigen umfassenden Aufbau einer partnerschaftlich-sorgenden Beziehung zur Natur.

Das veränderte Verständnis des künftig notwendigen Verhältnisses zur Natur hat auch Folgen für die Sicht auf eine mögliche Zukunft der Arbeit. Vor deren Darstellung ist zunächst wieder kurz auf die diesbezügliche Position von Marx einzugehen. Soweit er sich zur Utopie einer maximalen Naturbeherrschung bekennt, ist es nur folgerichtig, wenn er jenen Vorgang der „Unterjochung“ weitestmöglich an die automatisierte Maschinerie ausgelagert sehen will, sodass der Mensch selbst möglichst wenig mit dieser unschönen, aber notwendigen Angelegenheit zu tun hat. Die Befreiung der Arbeit kann bei dieser Sicht der Dinge „nur darin bestehen, dass … die assoziierte Produzenten, diesen ihren Stoffwechsel mit der Natur … mit dem geringsten Kraftaufwand und unter den ihrer menschlichen Natur würdigsten und adäquatesten Bedingungen vollziehen. Aber es bleibt dies immer ein Reich der Notwendigkeit. Jenseits desselben beginnt die menschliche Kraftentwicklung, die sich als Selbstzweck gilt, das wahre Reich der Freiheit, das aber nur auf jenem Reich der Notwendigkeit als seiner Basis aufblühen kann. Die Verkürzung des Arbeitstags ist die Grundbedingung.“[53]

Hier ist nun allerdings daran zu erinnern, dass der junge Marx der ‚Ökonomisch-philosophischen Manuskripte‘ das Verhältnis Mensch-Natur noch ganz anders denkt als der Marx des ‚Kapital‘, aus dem das vorangehende Zitat stammt. Wenn er nämlich in jenen frühen Manuskripten die verschiedenen Aspekte der vom Kapitalismus verursachten Entfremdung der Arbeit untersucht, geht er bei der Beschreibung der dieser Entfremdung vorangehenden Situation davon aus, dass die Natur bildlich gesprochen ursprünglich der Leib des arbeitenden Menschen ist: „Die Natur ist sein Leib, mit dem er in beständigem Prozess bleiben muss, um nicht zu sterben. Dass das physische und geistige Leben des Menschen mit der Natur zusammenhängt, hat keinen andren Sinn, als dass die Natur mit sich selbst zusammenhängt, denn der Mensch ist ein Teil der Natur. … Die entfremdete Arbeit macht also … die Natur … zu einem ihm fremden Wesen.“[54]

Unsere aktuelle Erkenntnis, dass die Erde ein auch alle menschlichen Aktivitäten umfassendes Ökosystem ist, zwingt meiner Ansicht nach dazu, wieder an jene Sicht des Mensch-Natur-Verhältnisses beim jungen Marx anzuknüpfen. Ausgehend von dieser Position ergibt sich dann für den Marxismus der Gegenwart zwingend die Zurückweisung der später von Marx im ‚Kapital‘ entwickelten Utopie einer an die Maschinerie delegierten maximalen Unterjochung der Natur, aus der sich der Mensch möglichst weitgehend auszuklinken habe. An ihre Stelle muss jetzt eine neue Utopie der befreiten Arbeit treten, die sich für eine aus der Postwachstumsbewegung kommende Anregung öffnet. Diese besagt, dass es nicht unser Ziel sein kann, als gänzlich passive Konsumenten neben eine weitestgehend automatisierte Industrie zu treten, und selbst nur mehr im Dienstleistungsbereich und in der Freizeit aktiv zu werden.

Vielmehr gilt es neue Lebensstile zu entwickeln, in deren Kontext die Endverbraucher vermehrt Eigenleistungen zu erbringen hätten. Diese ‚Prosumenten‘ würden sich im Kontext jener ‚modernen Subsistenz‘ einige der zwischenzeitlich verloren gegangenen handwerklichen Fähigkeiten wieder aneignen, sodass es zu einer teilweisen Aufhebung der schon vom jungen Marx bei seiner Kritik an der entfremdeten Arbeit beklagten Trennung der Arbeitenden von den gegenständlichen und natürlichen Grundlagen ihres Lebens käme[55]. Im Unterschied zur Postwachstumstheorie wäre dieser Übergang zu moderner Subsistenz für den Marxismus der Gegenwart aber selbstverständlich nur Teilschritt einer viel umfassenderen Aufhebung jener Entfremdung. Denn diese müsste den Arbeitskräften auch die Kontrolle über jene regionalen und globalen Bereiche der Ökonomie bringen, mit deren Produkten und Leistungen sie ihre moderne Subsistenz zu verzahnen hätten.

b. Positionen im gegenwärtigen Marxismus
Resultat der vielfachen Bemühungen um Fortführung der eben skizzieren marxschen Gedanken ist ein neuer Ökomarxismus, in dem sich zwei Hauptströmungen abzeichnen.[56] Die erste der beiden, repräsentiert etwa durch John Bellamy Foster[57], verweist auf das von der Sehnsucht nach Versöhnung mit der Natur geprägte Natur- und Entfremdungskonzept des jungen Marx. So wie die von einer ähnlichen Sehnsucht geleiteten Postwachstumstheoretiker sehen die Vertreter dieser Position den Übergang zu einer nicht mehr wachsenden, wenn nicht gar schrumpfenden Wirtschaft in den Industriestaaten für unvermeidbar an. Vor dem Hintergrund der marxschen Einsicht in die notwendige Einbindung der Kapitalakkumulation in eine sich ausdehnende Gesamtwirtschaft geht man jedoch im Gegensatz zur Degrowth-Bewegung davon aus, dass eine nicht im Krisenmodus verlaufende langfristige Stagnation nur in einer Ökonomie mit vergesellschafteten Produktionsmitteln möglich ist.

Ich schließe mich dieser Position an, möchte aber betonen, dass der geforderte Abschied vom Wachstum bloß das Ausmaß der Beanspruchung von natürlichen Ressourcen in Ge­stalt von Rohstoffen und Naturräumen betreffen darf, nicht jedoch das Ausmaß von innergesellschaftlichen Aktivitäten etwa im Bereich der Sorgeökonomie. Dass ein derart differenzierter Modus des Schrumpfens und Wachsens im Kontext einer den Gesetzen internationaler Standortkonkurrenz und kurzfristiger Profitmaximierung unterliegenden Wirtschaftsordnung kaum realisiert werden kann[58], ist aus meiner Sicht eines der schlagendsten Argumente für die notwendige Überwindung des Kapitalismus.

Die zweite Hauptströmung des Ökomarxismus übernimmt Marxens Utopie einer immer weiter gehenden Beherrschung der Natur und hat somit wenig Verständnis für das vor allem von den Care-Ökonominnen aber auch von vielen Vertretern des Degrowth-Ansatzes hoch gehaltene Ideal einer partnerschaftlich-sorgenden Beziehung zur ihr. Ökomarxisten jenes zweiten Typs sind beispielsweise Reiner Grundmann[59] und Damian White[60]. Diese Repräsentanten „eines ökomodernistisch gewendeten Ökomarxismus“[61] knüpfen an den Technik-Optimismus des reifen Marx an und gehen daher so wie die neoliberale Green Economy von der technischen Lösbarkeit der drängendsten Umweltprobleme aus. Während aber marktbegeisterte ‚Green Economists‘ glauben, dass wir die Dynamik des Kapitalismus noch stärker entfachen müssen, um unsere ökologischen Probleme in den Griff zu bekommen, denken ökomodernistische Marxisten, dass „der Kapitalismus … – ganz im Sinne seiner historischen Berechtigung – bereits die notwendigen Technologien entwickelt hat, eine ökologische Transformation ohne erhebliche Auswirkungen auf die Lebensweise der Bevölkerung in die Wege zu leiten.“ Aus ihrer Sicht stehen „einer Entfesselung dieser Technologien vor allem die Profiteure des fossilen Kapitalismus im Wege“. Deren Macht sei aber „nicht »naturgegeben«“. Sie beruhe vielmehr bloß „auf einer sozialen Konstruktion und könnte, als solche erkannt, mit einem Handstreich beseitigt werden“.[62]

In den vorangehenden Zeilen wurden bereits wichtige Unterschiede zwischen den beiden Hauptströmungen des Ökomarxismus und auch einige Relationen zu den nicht-marxisti­schen Konzepten einer klima- und umweltgerechten Zukunftsgesellschaft angesprochen. Ergänzend möchte ich nun weitere Wechselbezüge zwischen den hier untersuchten Positionen festhalten. Zuerst eine ergänzende Bemerkung zum Verhältnis zwischen den zwei Strömungen des Ökomarxismus. Während die Ökomodernisten, wie eben erwähnt, den marxschen Technik-Optimismus übernommen haben, wäre es sehr irreführend, wollte man die der Postwachstums- und Care-Bewegung näherstehenden Vertreter der anderen Gruppe generell als „Techno-Pessimisten“[63] charakterisieren. Ich selbst zum Beispiel zweifle bloß daran, dass eine einfache „Entfesselung“ der vom Kapitalismus entwickelten Technik durch Änderung ihrer gesellschaftlichen Rahmenbedingungen bereits unsere ökologischen Probleme lösen kann. Meine diesbezügliche Skepsis resultiert aus drei Überlegungen:

Erstens würde bei einer bloßen „Entfesselung“ der vom Kapitalismus entwickelten Technologie weiterhin bei jeder Bewältigung eines unserer Öko-Probleme mindestens ein weiteres vergrößert oder gar neu aufgerissen. Die Beseitigung des Privateigentums an den Produktionsmitteln sollte uns daher nicht als Voraussetzung für eine noch schnellere und umfassendere Entfaltung dieser ‚alten‘ Technik gelten. Wir müssen sie vielmehr als Schaffung von gesellschaftlichen Rahmenbedingungen verstehen, in deren Kontext sich die im vorigen Abschnitt angesprochene neue Technik etablieren kann – eine Technik, welche nicht einfach auf „Unterjochung“ der Natur abstellt und daher ein umfassendes und nachhaltiges Lösen unserer Öko-Probleme ermöglicht. Wer somit beim jungen Marx anknüpft, ist nicht unbedingt ein genereller Technik-Pessimist, sondern hat möglicherweise bloß eine entsprechende Neuorientierung der Technik und der ihr zugrunde liegenden Naturwissenschaft im Sinn.

Zweitens würden technische Problemlösungen allein viel zu kurz greifen – und zwar selbst dann, wenn es sich dabei um Resultate jener nach Beseitigung des Privateigentums an den Produktionsmitteln entwickelten ’neuen‘ Technik mit einem partnerschaftlich geläuterten Verhältnis zur Natur handelte. Denn selbstverständlich sind zur nachhaltigen Bewältigung unserer drängendsten Klima- und Umweltprobleme auch die von den modernistischen Ökomarxisten zurückgewiesenen „erheblichen“ Änderungen der „Lebensweise der Bevölkerung“ erforderlich. Auf der einen Seite kann nämlich die breite Mittelschicht der alten Metropolen des Kapitalismus dem Rest der Weltbevölkerung nicht das Recht verweigern, ihrem Lebensstil nachzueifern. Auf der anderen Seite ist keine Art der Technik vorstellbar, welche es allen für das Jahr 2100 prognostizierten knapp elf Milliarden Menschen ermöglichen würde, täglich Fleisch zu essen, zwei Autos pro Haushalt zu nutzen, jährlich eine Fernreise und einen Städte-Trip per Flugzeug zu absolvieren, usw.

Drittens schließlich ist die Fixierung der modernistischen Ökomarxisten auf bloße „Entfesselung“ der Technik auch deshalb zurückzuweisen, weil das Sprachbild der Entfesselung unterschlägt, dass der mit einer Vergesellschaftung der Produktionsmittel verknüpfte Wandel der Produktionsmuster seinerseits Einfluss auf die Entwicklung der Technik hätte. So würde etwa eine stark dezentralisierte und selbstverwaltete Produktion, die in eine überregional koordinierende, von Produzenten-Konsumenten-Räten gesteuerte Planwirtschaft eingebettet ist, auf allen Ebenen (angefangen von der Energieversorgung bis hin zur Datenkommunikation) andere technische Problemlösungen stimulieren als eine Produktion, in der die globalisierten Fertigungsketten von multinational agierenden Konzernen dominieren.

Auch der unter den veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen stattfindende Wandel der Konsumtionsmuster würde die Entwicklung der Technologien in ganz neue Richtungen lenken. Ich sehe beim folgenden Argument für diesen Einwand völlig ab von der durch die Postwachstumstheorie ins Spiel gebrachten Etablierung moderner Subsistenz. Denn diese brächte zwar radikal neue Anforderungen an die Technik mit sich, wird aber von modernistischen Ökomarxisten vermutlich als eine zu erhebliche Änderung des Lebensstils zurückgewiesen. Ich beziehe daher mein Argument ausschließlich auf den wohl auch von modernistisch denkenden Marxisten angestrebten Rückgang des individuellen Konsums zugunsten immer größerer Bedeutung der kollektiven Bereitstellung von Gebrauchswerten. Vergegenwärtigt man sich beispielhaft die konkreten Auswirkungen einer solchen Verschiebung auf das Konsumverhalten in den Sektoren des Personenverkehrs (Öffis statt Autos) und des Wohnbaues (genossenschaftliches Gruppenwohnen in verdichteten Flachbauten statt Eigenheim), dann wird sofort klar, dass sich die in den betreffenden Sektoren zum Einsatz kommende Technik bei zunehmender Bedeutung der kollektiven Bereitstellung von Gebrauchswerten völlig anders entwickeln würde als bei fortbestehender Dominanz des individuellen Konsums.

Die eben angesprochene Ablösung des individuellen Konsums durch Nutzung von kollektiv bereit gestellten Gebrauchswerten ist generell eine der effizientesten Möglichkeiten zur Lenkung der Wirtschaft auf einen klima- und umweltverträglichen Pfad. In der Befürwortung möglichst konsequenter Nutzung dieses Hebels dürften sich Ökomarxisten aller Schattierungen einig sein – ganz im Unterschied anderen in der ‚linken‘ Sphäre der Postwachstumsdiskussionen angesiedelten Positionen. Ein Beispiel dafür ist der bekannte Ökonom Thomas Piketty. Ähnlich wie die postkeynesianischen Wachstumsskeptiker*innen will das er Ziel der Wachstumsreduktion mit dem Gedanken der Verteilungsgerechtigkeit verknüpfen. Er forderte daher schon in seinem viel besprochenen ‚Klassiker‘ über „Das Kapital im 21. Jahrhundert“, dass „die Kapitalrendite künftig auf die Rate des Wirtschaftswachstums sinkt.“ Zur Erreichung dieses Ziels warf er zunächst seine Vorschläge für eine radikale Vermögensbesteuerung in die Diskussion. In dem 2019 nachgeschobenen Werk „Kapital und Ideologie“ ergänzte er diesen Vorschlag dann durch die Idee eines „Erbes für alle“. Dieses soll jeden jungen Erwachsenen zu seinem 25. Geburtstag mit einem Kapital ausstatten, das 60 Prozent des aktuellen Durchschnittsvermögens pro Erwachsenem im jeweiligen Land entspricht. In Deutschland wären das etwa 120.000 €. Mittels dieser durch kräftigere Besteuerung von hohen Vermögen und Erbschaften solide finanzierbaren Maßnahme möchte Piketty für die „jungen Bürger ohne Vermögen“ einen „Zugewinn an Handlungsoptionen“ erzielen, sodass jeder von ihnen etwa „eine eigene Wohnung oder ein Haus kaufen“ kann[64].

Noch mehr als die potentiellen neuen Erben freuen sich über diesen Vorschlag wohl die Immobilienspekulanten. Denn zum einen verheißt dieses Konzept einen Ausweg aus der völlig verfahrenen Situation auf den städtischen Wohnungsmärkten, der ohne Preiskontrollen oder gar Enteignungen auskommt. Zum anderen öffnet es auf dem flachen Land die Tore für ein weiterhin ungebremstes Ausleben des Zersiedelungs- und Bodenversiegelungswahns. Die marxistische Alternative wäre eine entschiedene Vergesellschaftung des Wohnungsangebots. Ausgehend von der durch Piketty genannten Zahl könnte man dabei jährlich gewaltige Summen in den sukzessiven Aufbau eines ausreichend großen, klima- und umweltgerechten Angebots an vergesellschafteten Alt- und Neubauwohnungen investieren[65]. Beim „Erbe für alle“ gingen diese Beträge dagegen der kollektiven Bereitstellung von Wohnraum verloren. Stattdessen würden sie als entsprechend großer Impuls für die individuelle Wohnungsnachfrage fungieren und damit einen weiteren gewaltigen Infla­tionsschub auf den Immobilienmärkten auslösen.

7. Transformationsprozess

a. Zum Begriff der Transformation
Die bisherige Gegenüberstellung verschiedener Zugänge zur Krise der Wachstumsökonomie fokussierte auf Unterschiede in der Beschreibung der Ursachen dieser Krise, der möglichen Maßnahmen zu ihrer Bewältigung und des Ziels aller vorgeschlagenen Schritte, also der jeweiligen Utopie einer klima- und umweltgerechten Wirtschaft. Nun ist noch die Sicht auf den gesellschaftlichen und politischen Prozess der Überwindung unserer Wachstumsprobleme in den Vergleich einzubeziehen. Denn die genannten Probleme sind Resultate einer Form des Wirtschaftens, welche die Interessen sehr mächtiger Eliten bedient und daher von ihnen mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln verteidigt wird. Es müssen daher entsprechend machtvolle Prozesse des gesellschaftlichen Wandels in Gang kommen, wenn sich dieses Wirtschaftsmuster grundlegend ändern soll. Welches Bild hat man von besagten Prozessen und ihren Entstehungsbedingungen? Welche politischen Möglichkeiten zur Stärkung von Kraft und Dynamik jener Prozesse werden gesehen?

In vielen Auseinandersetzungen über die Krise der Wachstumsökonomie wird der immer dringendere Wandel von Wirtschaft und Gesellschaft als Transformation bezeichnet. Ähnlich wie das mehrfach erwähnte Konzept des Guten Lebens ist dieser Begriff gerade wegen seiner Unschärfe ein sehr gutes Diskussionsvehikel. Im vorliegenden Fall besteht der Vorteil darin, dass eine mehr oder weniger umfassende Transformation vorstellbar ist. Auf der einen Seite darf selbst die Green Economy die von ihr beabsichtigte Modernisierung des Kapitalismus als Transformation bezeichnen.[66] Und auf der anderen Seite kann man Transformation so radikal denken, dass es an einem bestimmten Punkt jenes Prozesses so etwas wie einen revolutionären Bruch gibt. Aber dieser Bruch geschieht eben nicht spontan, aus dem Nichts heraus, sondern ist Gipfelpunkt einer Dynamik, die durch vorangehende Transformationen in Gang gesetzt und beschleunigt wurde und nach dem Bruch weitere Transformationen zur Folge haben muss …

Neben dem erwähnten Vorteil birgt der Transformationsbegriff allerdings auch eine große Gefahr. Sie besteht darin, dass er eben wegen seiner nicht zwingenden Verknüpfung mit der Vorstellung eines scharfen Bruchs zu einem sehr sorglosen, ja naiven Umgang mit den Beharrungsmechanismen und -kräften der herrschenden Wirtschaftsordnung verleitet. Wie Ulrich Brand und Christine Schickert in einem Artikel zum Konzept der Transformation richtig bemerken, sind sehr viele „Beiträge zur Transformationsdebatte … radikal in der Diagnose der ökologischen Krise und normativ durchaus auf weitreichende Veränderungen zielend, aber weitgehend macht- und herrschaftsblind und mit einem geringen Verständnis der politökonomischen Krisendynamiken ausgestattet“. Dadurch läuft die Transformationsdebatte „Gefahr – vielleicht sogar gegen ihr eigenes Anliegen –, allenfalls zur partiellen ökologischen Modernisierung des Kapitalismus beizutragen“.[67]

Der von Brand und Schickert konstatierte Mangel an Verständnis für die politökonomischen Krisendynamiken findet sich nicht nur bei vielen von der Ökologie und vom Feminismus her kommenden Wachstumskritiker*innen, sondern kennzeichnet auch so manchen marxistischen Debattenbeitrag. Wenn etwa Andreas Mayert in einer bereits im vorangehenden Abschnitt zitierten Passage seines Plädoyers für einen modernistischen Ökomarxismus davon schwärmt, dass die Macht der „Profiteure des fossilen Kapitalismus … mit einem Handstreich beseitigt werden“ könnte, dann ist ihm zwar nicht zu widersprechen. Es muss jedoch daran erinnert werden, dass ein solcher Handstreich erst in einer dafür reifen gesellschaftlichen und politischen Situation möglich wäre. Damit aber ist man nun wieder auf die bereits eingangs gestellten Fragen zurückgeworfen, die ein ganzes Bündel von nicht handstreichartig lösbaren Problemen ansprechen:

  • Unter welchen Bedingungen kann eine solche Situation heranreifen?
  • Wie können politische Bewegungen zur Entstehung dieser Bedingungen und zur Beschleunigung jenes Heranreifens beitragen?

b. Imperiale Lebensweise und Transformation
Das für die Beantwortung dieser Fragen am besten geeignete begrifflich-methodische Rüstzeug bietet meiner Meinung nach die marxistische Gesellschaftstheorie. Zum exemplarischen Beleg dieser Behauptung vergleiche ich nun die bereits in Abschnitt 4.b zurückgewiesene Kritik des Postwachstumstheoretikers Peach am ökologisch bedenklichen Lebensstil der Nachfolger des klassischen Industrieproletariats mit der Interpretation desselben Phänomens durch den Ökomarxismus. Wie erwähnt, wirft Peach dem zu einer globalen Konsumentenklasse herangereiften Proletariat einen Seitenwechsel vor. Durch seine Fixierung auf den Verbrauch billiger Massenprodukte der globalisierten Industrie sei aus der einstigen Klasse der Ausgebeuteten nun eine Klasse von Naturausbeutern geworden. Dass Peach damit ein sehr wichtiges Problem auf völlig falsche Weise thematisiert, wird deutlich bei einer historischen Betrachtung der längerfristigen Entwicklung des Gesamtsystems der Kapitalakkumulation:

Diese Betrachtung zeigt nämlich, dass nicht ökologisch bedenkliche Wünsche der Konsumenten sondern Verwertungsprobleme des Kapitals als treibende Kräfte bei der Entstehung der von Peach beklagten Globalisierung des industriellen Fertigungsprozesses fungierten. Denn deren Ausgangspunkt war ein in den neunzehnsechziger Jahren einsetzender Rückgang der in der boomenden Nachkriegswirtschaft noch recht hohen durchschnittlichen Profitrate. Eine der Hauptursachen dieses Rückgangs lag im Sinken der mittleren Mehrwertrate in den alten Metropolen des Kapitals aufgrund der durch zunehmende Vollbeschäftigung immer stärker werdenden Verhandlungsposition der Arbeitskräfte. Die Antwort des Kapitals auf dieses Problem war der Übergang zu einem neuen Akkumulationsmuster, in dessen Zentrum ein entschiedenes Internationalisieren der industriellen Arbeitsteilung stand. Die anschließende Stabilisierung der durchschnittlichen Profitrate war Resultat von drei einander wechselseitig stützenden Aspekten jenes Globalisierungsprozesses[68]:

  • Durch Verlagerung der industriellen Massenproduktion von Konsumgütern an die neue Peripherie des Weltmarkts gelangten ungeheure Massen von völlig unorganisierten und daher wehrlosen Arbeitskräften in das Räderwerk der Ausbeutung, was in den neuen Zentren der Massenproduktion die Durchsetzung einer sehr hohen durchschnittlichen Mehrwertrate ermöglichte.
  • In den alten Metropolen des Kapitals übte die Abwanderung der Industrie so starken Druck auf das Proletariat aus, dass seine vormalige Verhandlungsmacht gebrochen wurde. Dadurch gelang auch in diesem Bereich des nun weltumfassenden Systems der Ausbeutung von Arbeitskraft eine deutliche Anhebung der Mehrwertrate.
  • Die Schwächung der gesellschaftlichen Position der Arbeitskräfte in den alten Metropolen des Kapitals ermöglichte zugleich die Ablösung des davor praktizierten Keynesianismus durch neoliberale Wirtschafts- und Finanzpolitik. Dies bewirkte zum einen (durch den damit einhergehenden Rückbau des Sozialstaates) einen weiteren Anstieg der Mehrwertrate und beschleunigte zum anderen (im Gefolge einschlägiger Reformen der Finanzmärkte sowie des Weltwährungs- und Handelssystems) den Globalisierungsprozess.

Der skizzierte Wandel des Akkumulationsmusters führte zu neuen Formen des Konsumverhaltens, die für Ulrich Brand und Markus Wissen Bestandteile einer imperialen Lebensweise[69] darstellen. Bei dieser handelt es sich „nicht einfach um einen von unterschiedlichen sozialen Milieus praktizierten Lebensstil“. Wir haben es dabei vielmehr mit einem nur systemisch begreifbaren Gesamtzusammenhang „herrschaftliche(r) Produktions-, Distributions- und Konsummuster“ zu tun,

  • in dessen Kontext „Ressourcen (Rohstoffe wie Erdöl und Land, aber auch Arbeitskraft) aus dem Süden extrahiert, im Norden verbraucht und über die Senken des Südens wieder entsorgt“ werden,
  • und dessen soziale Konsequenzen „tief in die Alltagspraktiken“ großer Bevölkerungsteile des globalen Nordens und wachsender Teile der Ober- und Mittelklassen der Schwellenländer des globalen Südens „eingelassen sind“.

Die These von der imperialen Lebensweise beschreibt also die Verknüpfung der in der jüngsten Entwicklungsphase der Kapitalismus notwendig gewordenen Produktions- und Distributionsmuster mit darauf abgestimmten Lebensstilen und Konsumformen. Letztere werden so verstehbar als Teil der Antwort des nun weltweit integrierten Akkumula­tionssystems auf die neuen Anforderungen und Probleme der Kapitalverwertung.

Um zu erklären, wie es der herrschenden Klasse möglich war, die Alltagskulturen und Konsumgewohnheiten der von ihr ausgebeuteten Bevölkerungsgruppen derart reibungslos in das globale Ausbeutungssystem einzubetten, heben die Autoren den hegemonialen Stellenwert der imperialen Lebensweise hervor. Sie beziehen sich damit auf das vom italienischen Marxisten Antonio Gramsci geprägte Konzept der ‚Hegemonie‘. Letzteres beschreibt die Fähigkeit der jeweils Herrschenden, ihre besonderen Interessen als die der Allgemeinheit darzustellen und dadurch ihre Herrschaft zu stabilisieren.[70] Einen nicht unwesentlichen Beitrag zum Gelingen dieses Kunststücks leisten die Handlanger des Kapitals in den von Marx als ‚Überbau‘ bezeichneten Gesellschaftssektoren (Kultur, Bildung, Wissenschaft, Recht, Politik, Religion). Sie haben nämlich die Aufgabe, den in allen Lebensbereichen steuernd wirkenden inneren Kompass der jeweils dominierten Klassen (Lebensziele und -stile, Gesellschaftsbilder, Moralvorstellungen, ästhetische Präferenzen, …) systemkonform zu justieren.

Die mit diesem Konzept der Hegemonie arbeitenden Analysen zeichnen ein viel differenzierteres Bild von den Nachfolgern des alten Industrieproletariats als Peachs allzu simpel gestrickte Vermutung, es handle sich dabei um eine neue Klasse von Ausbeutern. Auf der moralischen Ebene können besagte Analysen die in die imperiale Lebensweise integrierten Klassen zwar nicht freisprechen von ihrer Mitverantwortung für die Fortexistenz eines auf maximale Ausbeutung aller menschlichen und natürlichen Ressourcen unseres Planeten angelegten Wirtschaftssystems. Sie ermöglichen aber eine Beurteilung von Art und Ausmaß jener Verantwortung, die wesentlich ausgewogener ist als Peachs völlig überzogener Ausbeuter-Vorwurf.

Diese größere Ausgewogenheit folgt aus dem differenzierten Zugang des systemisch orientierten Hegemonie-Konzepts zu den hochkomplexen Interessenlagen und Aktionspotentialen der jeweils untersuchten Bevölkerungsschichten. Im Fall der imperialen Lebensweise ermöglicht das ein besseres Verständnis der trotz aller Ambivalenz sehr stabilen Bindungen an das „an Unternehmensstrategien gekoppelt(e) und staatlich abgesichert(e)Angebot von wachstumsorientierten Lebensstilen. So können wir auch begreifen, wieso diese „nicht nur durch gesellschaftliche Institutionen, sondern auch in den Mikrostrukturen des Alltags hegemonial reproduziert(e)“ Lebensweise eine Art der „Politisierung des Klimawandels“ begünstigt, „die dessen spezifische soziale Vermittlung unsichtbar macht und deshalb die Strukturprinzipien der kapitalistischen Produktionsweise nicht länger als Krisenursache, sondern als alternativlose Lösungsmechanismen erscheinen lässt.“

Der systemisch fundierte Zugang der marxistischen Gesellschaftstheorie zu Motivationsstrukturen, Interessenlagen und alltäglichen Verhaltensmustern ermöglicht aber nicht nur eine ausgewogenere moralische Beurteilung des ökologisch bedenklichen Konsumverhaltens der in die imperiale Lebensweise integrierten Bevölkerungsschichten. Er bietet darüber hinaus im Vergleich zu der von Peach bezogenen Position auch viel breitere Anknüpfungsmöglichkeiten für transformationsorientiertes politisches Handeln. Die moralische Verdammung aller Konsumenten von Massengütern führt nämlich bei Peach dazu, dass er sich voreilig von den wichtigsten politischen Zielgruppen aller Transforma­tionsbestrebungen abwendet. Denn um derzeit breite Mehrheiten zu erreichen, müssten die hierzu nötigen Nachhaltigkeitsstrategien so beschaffen sein, dass sie das zeitgenössische Wohlstandsmodell gerade nicht in Frage stellen, wären also entsprechend wirkungslos.“ Der einzige ihm verbleibende Ansprechpartner ist jene kleine „Avantgarde“, die bereits jetzt alternative Lebensstile und Versorgungsmuster praktiziert. Sie erzeugt einen „Vorrat an vitalen, abrufbereiten Praktiken“, auf den dann „auch ohne vorherige soziale Diffusion zurückgegriffen werden kann, wenn veränderte Rahmenbedingungen dies nahelegen oder erzwingen. Den Rest erledigen das Schicksal und die absehbare Krisendynamik.“[71]

Peach bleibt also nur das Warten auf die Katastrophe in Verbindung mit der Hoffnung auf die dann einsetzende Krisendynamik. Wie gefährlich diese Haltung ist, machen die aktuellen Erfahrungen mit dem Verlauf der Corona-Krise deutlich. Diese zeigen, dass staatlichen Institutionen die Durchsetzung von autoritären Top-Down-Problemlösun­gen sehr leichtfällt, wenn sie sich dabei auf den unmittelbar bevorstehenden, oder gar bereits eingetretenen Ausbruch einer Katastrophe berufen können. Das wird jenen Institutionen auch in Zukunft umso eher gelingen, je besser sie es schaffen, die kontinuierliche Zuspitzung von Problemen so lange zu verschleiern, bis der Katastrophenfall eintritt. Derartige Verschleierung aber ist eine der zentralen Funktionen aller hegemonialen Interpretations- und Motivationsmuster. Ernst gemeinte Transformationsbemühungen müssen daher am Aufbau einer Gegenhegemonie arbeiten. Denn nur sie kann rechtzeitig geistige, soziale und ökonomische Spielräume für die Entstehung und Ausbreitung von nicht-autoritären Bottom-Up-Alternativen öffnen und zugleich die Widerstandsbereitschaft gegen autoritäre Ambitionen der Staatsmacht stärken.

Mögliche Ansatzpunkte für die Entstehung einer solchen Gegenhegemonie gibt es in vielen Situationen des Alltags genau jener von Peach vorschnell abgeschriebenen Bevölkerungsgruppen, die derzeit noch an den von der imperialen Lebensweise angebotenen Konsum- und Verhaltensmustern festhalten. Sie klammern sich zwar weiterhin an das zeitgenössische Wohlstandsmodell, stoßen aber immer häufiger an dessen Grenzen. Die dadurch entstehende Verunsicherung bewirkt zwar wachsende Anfälligkeit für die kurzschlüssigen Interpretations- und Problemlösungsangebote des Rechtspopulismus. Sie erhöht aber auch die Bereitschaft zur Teilnahme an verschiedensten Initiativen der Selbsthilfe, des gemeinsamen Wohnens, der Energieautarkie, des Zusammenschlusses von Konsumenten und regionalen Produzenten, usw.

c. Politik der Transformation
Bestärkung erfährt dieses Interesse für neue Formen der Daseinsbewältigung immer öfter durch alternative Stimmen aus dem Überbau. Denn auch in Wissenschaft und Kultur wurde im Gefolge der jüngsten Finanz-, Umwelt- und Gesundheitskrisen die Hegemonie von Leitkonzepten der Wachstumsgesellschaft brüchig. Ein Beispiel dafür sind die neoliberalen Dogmen der Steuer- und Budgetpolitik, zu denen sich selbst die berüchtigtsten einschlägigen Experten derzeit nur mehr hinter vorgehaltener Hand bekennen. Ein anderes Beispiel ist die Sicht auf die sogenannten ‚Leistungsträger‘ unserer Wirtschaft. Weil schon beim ersten Lock Down allen klar wurde, wo die wahren ‚Systemerhalter‘ werken, fällt es nun auch den diskussionsstärksten Mainstream-Ökonom*innen schwer, gute Argumente für die Leistungsgerechtigkeit der bestehenden Einkommenspyramide zu finden.[72] Mit einem Wort: Postkeynesianische und care-ökonomische Sichtweisen befinden sich spätestens seit dem Beginn der Corona-Krise im Aufwind. Und weil der nach dieser Krise unvermeidlich einsetzende Wachstumstaumel wieder zu einer raschen Zuspitzung unserer Klima- und Umweltprobleme führen muss, wird mittelfristig auch die Postwachstums-Theorie wieder verstärkt Gehör finden.

Die vorangehenden Abschnitte machten deutlich, dass jede dieser Positionen eine sehr weitgehende Transformation unseres Wirtschaftens anvisiert und somit wichtige Impulse für die zu schaffende Gegenhegemonie geben könnte. Leider verweisen die Ergebnisse der bisherigen Überlegungen in allen drei Fällen auf gravierende Reflexionsdefizite bzw. Illusionen bezüglich der Vereinbarkeit des Kapitalismus mit den angestrebten Verhältnissen des wirtschaftenden Menschen zur Natur und zum anderen Menschen. Meiner Ansicht nach ermöglicht allein der ökomarxistische Zugang zum Wachstumsproblem eine realistische Sicht auf die Grenzen dieser Wirtschaftsordnung. Denn nur die marxistische Analyse zeigt,

  • dass der Kapitalismus zwar unglaublich flexibel ist, was mögliche Muster der Akkumulation von Kapital betrifft,
  • dass er aber prinzipiell nicht lassen kann von dieser Akkumulation als solcher – und damit auch nicht von dem das Klima, die Umwelt und letztlich sogar uns selbst zerstörenden Wachstum.

Trotz aller Differenzen zwischen den an tiefgreifendem Wandel unserer Wirtschaft orientierten Positionen sind meines Erachtens die in den vorangehenden Abschnitten deutlich gewordenen Übereinstimmungen groß genug, um als Basis fruchtbarer Diskussionen über die angestrebte Transformation fungieren zu können. Diese Diskussionen hätten die gemeinsamen Anliegen zu bündeln – etwa in Anlehnung an die bereit 2013 von Dieter Klein vorgeschlagenen Leitideen.[73]. Darüber hinaus sollte man sich um die Formulierung einer gegenhegemonialen Rahmenerzählung bemühen, welche dabei hilft, die Erfahrungen zu verarbeiten, welche Anlass geben für die Experimente und Initiativen zu neuen Formen der Daseinsbewältigung bzw. im Verlauf der genannten Aktivitäten entstehen. Besagte Rahmenerzählung müsste diese Erfahrungen verdichten und in einen größeren Kontext einordnen, sodass jene Experimente und Initiativen als Teilschritte des Weges in die Postwachstumsgesellschaft begreifbar werden.

Alle einschlägigen Basis-Projekte sowie die durch sie auf der politisch-institutionellen Ebene angestoßenen Reformen setzen Prozesse in Gang, die einer der Wachstums- und Profitlogik des kapitalistischen Wirtschaftsystems entgegengesetzten Logik folgen. Wenn der eben zitierte Dieter Klein fordert, dass es diese alternative Logik zu entfalten gelte[74], dann ist dem zuzustimmen. Man muss sich aber fragen, was es konkret bedeutet, innerhalb des Systems der Kapitalverwertung eine ihm widersprechende Logik zu entfalten. Dazu nun abschließend einige klärende Bemerkungen.

Klein und manche anderen Marxisten tendieren dazu, diesen Widerspruch zwischen der Logik von Transformationsprojekten und der dominanten Wachstums- und Profitlogik in ein äußerliches Nebeneinander verschiedener Arten der Transformation aufzulösen. Für Klein etwa gibt es auf der einen Seite die „kleine Transformation“ der immer destruktiveren neoliberalen Gesellschaftsformation in einen „postneoliberalen“ Kapitalismus. Ihr gegenüber steht aus seiner Sicht die „große Transformation“ in den demokratischen Sozialismus, den er „als eine von Grund auf demokratisch erneuerte, solidarische, gerechte, dem Erhalt der Biosphäre verpflichtete moderne Friedensgesellschaft“ definiert. In manchen Passagen seiner Argumentation wird ihm dieses Nebeneinander zu einem Nacheinander[75], an anderen Stellen „schiebt“ sich die Große Transformation in die kleine hinein, oder „rumort“ in ihr. Es ist aber auch die Rede davon, dass die „Transformation im Rahmen des Kapitalismus … zunehmend bereits Tendenzen einschließen (wird), die über den Kapitalismus hinausweisen“.[76]

All diese Formulierungen sind nicht falsch, treffen aber nicht den Kern dessen, was es bedeutet, innerhalb des Systems der Kapitalverwertung eine ihm widersprechende Logik zu entfalten. Um wirklich zu verstehen, was bei dieser Entfaltung geschieht, muss man sich an eine der zentralen Einsichten der marxschen Kapitalismuskritik erinnern. Ich meine damit die Erkenntnis, dass der in privater Aneignung des kollektiven Produkts liegende Grundwiderspruch des Systems der Kapitalverwertung durch Reformen immer nur auf eine höhere Stufe gehoben werden kann, wo er dann zu neuen Widersprüchen führt. Für die Beurteilung der die Grenzen der Profitlogik überschreitenden Projekte bedeutet diese Einsicht folgendes: Jede Realisierung eines derartigen Projekts löst zwar einen der Widersprüche des aktuellen Wirtschaftssystems auf und holt damit ein Stück Utopie in die Gegenwart herein. Es erzeugt damit aber zugleich in dem diese Gegenwart bestimmenden Wirtschaftssystem einen neuen, potentiell systemsprengenden Widerspruch, der nur durch die Realisierung weiterer grenzüberschreitender Vorhaben vorübergehend aufgehoben werden kann. Politik mit ernsthafter Transformationsabsicht wird also gut beraten sein, wenn sie dieses von Widersprüchen angetriebene und zu immer neuen Widersprüchen hinführende Bewegungsmuster von vornherein ins Zentrum ihres Bildes vom angestrebten Transformationsprozess stellt.

Als marxistisch geschulter Gesellschaftstheoretiker gibt Klein zwar den inneren Widersprüchen des Kapitalismus breiten Raum in seinen Überlegungen. Er reflektiert jedoch zu wenig den engen Bezug zwischen dem Muster der Weiterentwicklung dieser Widersprüche und der Dynamik von politischen Kämpfen. In dieser Dynamik aber liegt die Antwort auf die Frage, wie sich unter bestimmten Bedingungen innerhalb des Systems der Kapitalverwertung eine ihm widersprechende Logik entfalten kann. Warum das so ist, wird deutlich, wenn man sich kurz vergegenwärtigt, dass der Anlass für jeden politischen Kampf das Aufbrechen eines solchen Widerspruchs ist. Bei dem darauffolgenden Kampf stehen einander dann (im einfachsten Fall) zwei mögliche Lösungen gegenüber, die beide eine vorübergehende Lösung des Ausgangswiderspruchs versprechen. Eine der beiden gehorcht der dominierenden Profitlogik und bedient primär die Interessen der herrschenden Eliten, während die andere einer systemtranszendierenden Logik unterliegt und sich an den Interessen der Systemverlierer orientiert.

Aus deren Perspektive hat also jeder derartige Kampf folgenden Ablauf:

  • Man setzt an bei einem bestehenden Widerspruch des herrschenden Systems,
  • findet eine der Profitlogik widersprechende Lösung für diesen Widerspruch,
  • um dann festzustellen, dass jene Lösung nur weitere Widersprüche aufreißt,
  • die reflektiert und in der nächsten Etappe des Kampfes weitergetrieben werden können, sofern es gelingt, den neu aufgerissenen Widersprüchen neue politische Ziele ent­gegenzusetzen, die zusätzliche Kampfkraft mobilisieren.[77]

Dieses Ablaufmuster zeigt, dass politischen Kämpfe auf der Seite der Systemverlierer einen kollektiven Lernprozess etablieren, in dessen Verlauf sich (bei entsprechend günstigen Rahmenbedingungen und umsichtiger Wahl der jeweiligen Etappenziele) das Anstreben von kleinen Transformationen kontinuierlich zur Orientierung an größeren Veränderungen erweitern kann, um schließlich in die weite Perspektive der großen Transformation zu münden.

Wie schwer der korrekte theoretische Zugang zu dieser vom Aufgreifen und Weitertreiben des Widerspruchs lebenden Transformationsdynamik auch innerhalb des marxistischen Diskurses fällt, belegt die bunte Vielfalt einschlägiger Irrtümer. Eines der diesbezüglichen Beispiele findet sich in einem Text des 2019 verstorbenen US-amerikanischen Soziologen Erik Olin Wright. Hier wird unterschieden zwischen „drei Logiken der Transformation“[78], welche aus Wrights Sicht die Geschichte aller antikapitalistischen Kämpfe prägen:

  • Bruch-Strategien (rupture strategies), mit der Absicht, einen „scharfen Bruch“ mit den existierenden Institutionen herbeizuführen,
  • Nischen-Strategien (interstitial strategies) mit dem Bestreben, reale Alternativen (Wright spricht hier von Realutopien) „in den Nischen und Grenzbereichen der kapitalistischen Gesellschaften aufzubauen, oft dort, wo sie keine unmittelbare Bedrohung für die herrschenden Klassen und Eliten darzustellen scheinen“
  • Symbiotische Strategien (symbiotic strategies) mit dem Bemühen um „Ausweitung und Vertiefung institutioneller Formen der sozialen Ermächtigung, die den Staat und die Zivilgesellschaft einschließen, zugleich dazu beitragen, praktische Probleme zu lösen, mit denen die dominanten Klassen und Eliten konfrontiert sind.“

Wegen der bisher eher tristen Erfahrungen mit den Bruch-Strategien hält Wright es für sinnvoll, „eine strategische Orientierung zu wählen, die um ein Wechselspiel von interstitiellen und symbiotischen Strategien herum organisiert ist, vielleicht mit periodischen Episoden, die Elemente einer auf den Bruch orientierten Strategie einschließen“.[79]

Hinter Wrights Unterscheidung von drei Transformationsstrategien steht offenbar die Absicht, das Moment des Widerspruchs auf eine einzige der drei Strategien zu konzentriert, damit dann im nächsten Schritt das Hauptaugenmerk auf die beiden anderen, konfliktfrei gestellten Strategien gelenkt werden kann. Um die Leser*innen vom ‚linken Flügel‘ zu beruhigen, wird zwar zugestanden, dass man den Widerspruch in „periodischen Episoden“ wieder „vielleicht“ in die Strategie hereinholen werde. Dieses vage Versprechen sollte aber nicht vom eigentlichen Fehler des vorliegenden Ansatzes ablenken. Denn der besteht darin, dass das Element des Widerspruchs von vornherein nur mit einer von mehreren möglichen Strategien verbunden wird, während es doch, wie zuvor dargelegt, als das Energiezentrum der gesamten Dynamik des Transformationsprozesses verstanden werden muss.

Diese Einsicht in die durch den Widerspruch getriebene Dynamik von Transformationsprozessen ist ein Erbstück, das Hegel dem Marxismus in die Wiege legte. Neben dem Beharren auf den Schlussfolgerungen aus der zwanghaften Verknüpfung von Kapitalakkumulation mit Wirtschaftswachstum halte ich jenes hegelsche Erbstück für den wahrscheinlich wichtigsten Diskussionsbeitrag des Ökomarxismus zu den Auseinandersetzungen um die Transformation der Wachstumswirtschaft in eine solidarische Postwachstumsökonomie. Mit Konzepten, welche das Moment des Widerspruchs in ein äußerliches Nebeneinander von kleiner und großer Transformation auflösen oder gar in „periodische Episoden“ des Konflikts verbannen, wird es allerdings nicht gelingen, diesen Beitrag zu leisten.

Ein strategischer Ansatz, welcher der zentralen Bedeutung des Widerspruchs für den Transformationsprozess viel eher gerecht werden könnte, ist das von Joachim Hirsch schon in den neunzehnachtziger Jahren ins Spiel gebrachte Konzept eines „radikalen Reformismus“. Hirsch knüpft an bei der von Rosa Luxemburg geprägten Formel von der „revolutionären Realpolitik“ und verweigert damit so wie Luxemburg selbst das Konzept eines Nebeneinanders von Reform (kleine Transformation) und Revolution (große Transformation). Nachdem sie erstmals 1903 in einem Zeitungsartikel von „revolutionärer Realpolitik“ gesprochen hatte, gab Luxemburg in ihrer 1906 verfassten Schrift „Massenstreik, Partei und Gewerkschaften“ eine ausführlichere Beschreibung dieses strategischen Ansatzes. Sie machte darin deutlich, dass sie an eine Politik dachte, die „aus dem Handeln der Menschen selbst hervorgeht, von ihnen vorangebracht wird“. Es ist dies eine Politik, bei der die Akteure „mit immer neuen Formen und Inhalten experimentieren, lernen und eigene Schlüsse ziehen, sich Organisationsformen geben und überkommene zerstören.“[80]

In diesem Sinne muss sich meiner Ansicht nach auch eine radikal reformistische Postwachstumspolitik als Teil eines gesellschaftlichen Prozesses verstehen, der sein dynamisches Zentrum in den von den Menschen selbst hervorgebrachten Initiativen und Projekten hat. Sie selbst bemüht sich um deren Zusammenwachsen zu einer alle Daseinsbereiche erfassenden gegenhegemonialen Kraft, die sich nicht nur gegen die wachstumsorientierten Wirtschaftseliten in Stellung bringt, sondern auch gegen die eng mit ihnen vernetzten und für ihre Interessen agierenden Teile der Staatsmacht. An den kollektiven Lernprozessen, die beim Kampf um die Realisierung der gemeinsamen Anliegen jener Bewegung stattfinden, beteiligt sich diese Politik vor allem lernend, nicht aber Lerninhalte vorgebend. Und in den nach jedem Etappensieg auf einer neuen Ebene aufbrechenden Widersprüchen der bestehenden Wirtschaftsordnung sieht sie keinen Grund für das Abweichen vom angestrebten Ziel einer solidarischen Postwachstumsgesellschaft, sondern einen Ansporn für konsequentes Weitertreiben aller das zerstörerische Wachstumssystem sprengenden Projekte und Initiativen.

Nachbemerkung
Aktuelles Beispiel für die oben beschriebene Verknüpfung des Musters der Bewegung von Widersprüchen mit der Dynamik politischer Kämpfe ist das Geschehen im Zusammenhang mit dem sogenannten ‚Mietendeckel‘ in Berlin:
o          Ausgangswiderspruch: Die Niedrigzinspolitik der EZB führte zu Preisblasen auf den Immobilienmärkten der Großstädte und machte hier die Mietwohnungen unerschwinglich.
o          Der Profitlogik widersprechende Lösung des Ausgangswiderspruchs in Berlin: Die rot-rot-grüne Koalitionsregierung erlässt Preisobergrenzen und verhindert damit weitere Preisanstiege im Bestand der Altmietwohnungen.
o          Aufreißen neuer Widersprüche durch die Lösung des Ausgangswiderspruchs: Im Gefolge der Preisregulierung sinkt das Angebot an Altmietwohnungen, weil die Vermieter Wohnungen leer stehen lassen oder ins Eigentum umwandeln. Zugleich verstärkt sich wegen des verschärften Ungleichgewichts von Angebot und Nachfrage der Preisauftrieb im Neubausektor.
o          Mögliche Lösungen der neu aufgerissenen Widersprüche treiben diese nun je nach Ausgang des politischen Kampfs entweder auf systemkonforme oder auf potentiell systemsprengende Weise weiter:
         Die systemkonforme (und im vorliegenden Fall wachstumstreibende!) Problemlösung besteht in der Aufhebung des Mietendeckels bei gleichzeitiger Ankurbelung der Bautätigkeit nach dem von der Immobilienwirtschaft ausgegebenen Motto: „Bauen, bauen, bauen“.
         Dem Weitertreiben des Widerspruchs in eine potentiell systemsprengende Richtung stehen verschiedene Wege offen. Etwa die Einhebung einer empfindlich hohen Leerstandsabgabe, u./o. das Verbot von Eigentumsumwandlungen, u./o. die Vergesellschaftung großer Teile des Bestands an Altmietwohnungen. Die Berliner Mieterbewegung entscheidet sich für die am weitesten gehende letztgenannte Lösungsvariante und startet ein Volksbegehren, das bei ausreichender Unterschriftenzahl zur Durchführung eines Volksentscheids über die Vergesellschaftung von rund 15 Prozent des gesamten Mietwohnungsbestandes der Hauptstadt führen wird.
Die nächsten Monate werden zeigen, ob man mit dieser hohen Zielsetzung den Bogen überspannt hat, oder ob es gelingt, aus der vorangehenden Verschärfung der Widersprüche auf dem Wohnungsmarkt ausreichend große politische Kampfkraft zu schöpfen, um diese wichtige Etappe der Vergesellschaftung zu realisieren.


[1]     Vgl. Der Standard, 29./30.9.2018, S. 5

[2]     Vgl. (7) in der Liste der zitierten Texte

[3]      Warnhinweis für identitätspolitisch hochsensible Leser*innen: Der folgende Text kann Ihr emotionales Gleichgewicht ernsthaft gefährden, da ich die sprachliche Gleichbehandlung der Geschlechter in ihm nicht durchgängig praktiziere. Um meinem Unbehagen über das Umsichgreifen identitätspolitischer Beckmesserei Ausdruck zu verleihen, habe ich das politisch korrekte Gendern auf einige wenige ausgewählte Fälle beschränkt.

[4]     Vgl. (31)

[5]     Anders als von neoliberalen Ökonomen versprochen, hat die Hälfte der Weltbevölkerung in den vergangenen 35 Jahren „nur mickrige zwölf Prozent des globalen Einkommenszuwachses für sich verbuchen können“. (28)

[6]     Vgl. Wirtschaft und Umwelt 2/2014

[7]     Vgl. (32)

[8]     Vgl. (38), Session 1

[9]     Vgl. Kurier, 11.12.2015

[10]   Vgl. (40)

[11]   Vgl. profil, 14.3.2021, S. 35

[12]   Vgl. (6), Abschnitt II.4d („Krise des Postfordismus“)

[13]   Vgl. (10)

[14]   Vgl. (24), Abschnitt 2.3.1 („Entstehungsseite des BIP: Materielle Rebound-Effekte“)

[15]   Vgl. akin, 3.2.2021, S. 10 f.

[16]   (24), Abschnitt 3.2 („Strukturelle Wachstumstreiber“)

[17]   Vgl. (22)

[18]   Vgl. (2)

[19]   Keynes‘ Äußerungen zu diesem Thema finden sich sowohl im letzten Kapitel seiner Allgemeinen Theorie als auch in mehreren Aufsätzen. Dazu zählen insbesondere: Wirtschaftliche Möglichkeiten unserer Enkelkinder (1929/30), einige wirtschaftliche Folgen einer abnehmenden Bevölkerung (1937), das Langzeitproblem der Vollbeschäftigung (1943)

[20]   Vgl. (36)

[21]   Vgl. zum Folgenden: (1)

[22]   Der Neoliberalismus ist eine Sonderentwicklung der neoklassischen Ökonomie, die mit dieser die Markt- und Wachstumsorientierung teilt. Im Unterschied zur übrigen Neoklassik fokussiert der Neoliberalismus bei seinen Marktanalysen aber nicht so sehr auf mathematisch exakt modellierbare Gleichgewichte. Vielmehr sieht man im Markt primär einen Informationsprozessor, dessen überragende Steuerleistung darauf beruhe, dass er wesentlich mehr Informationen verarbeite als jeder einzelne Marktteilnehmer.

[23]   (29)

[24]   (33)

[25]   Im ‚Kapital‘ bezeichnete Marx diesen Entfaltungsraum als das „Reich der Freiheit“ (21), S. 828. In seiner Jugend hatte er dieselbe Sache aber noch etwas anders gesehen. Mehr zu dieser Entwicklung bei Marx und zu ihrer Relevanz für unsere Diskussionen zur Postwachstumsgesellschaft im Abschnitt 6.a

[26]   (30)

[27]   Vgl. die diesbezüglichen Ausführungen in (7), sowie die ausführliche Darstellung meiner Sicht auf die marxistische Krisentheorie in (6)

[28]   Vgl. die „Gemeinwohlbilanzen“ der sogenannten „Gemeinwohl-Ökonomie„, einer Sonderform der postkeynesianischen Ökonomie des Guten Lebens

[29]   Nähme man auf EU-Ebene jene positiven Standorteffekte einer Politik des Guten Lebens ernst, wäre eine Ausweitung ihrer Spielräume möglich. Dann würden nämlich öffentliche Ausgaben im Bildungs-, Gesundheits- und Pflegebereich als Investition anerkannt und nicht mehr als defiziterhöhende Kosten klassifiziert.

[30]   Einen Überblick über die international prominentesten Vertreter der Postwachstumstheorie gibt (8)

[31]   Vgl. dazu und zu den folgenden Ausführungen: (24)

[32]   Vgl. (37)

[33]   Der Begriff der ‚Konvivalität‘ wurde schon in den neunzehnsiebziger Jahren von Ivan Illich geprägt und stellt auf die Einbettung des Menschen in seine Produktionsverhältnisse ab. Konvivalität ist gegeben, wenn der Einzelne nicht versklavt wird durch das ihn umschließende Ensemble von Technik und Institutionen.

[34]   Wie die Marxisten sind sich auch die Vertreter*innen der Ökonomie des Guten Lebens völlig im Klaren darüber, „dass ein gutes Leben für alle nicht über ein Mehr an individuellem Konsum zu haben ist.“ (18), Seite V

[35]   In diesem Sinne trägt das fünfte Kapitel des ersten Bandes des ‚Kapital‘ den Titel „Arbeitsprozess und Verwertungsprozess“

[36]   Diese mit Peachs Thesen völlig kompatible Sicht auf das Wachstumsproblem wird nicht von Peach selbst sondern vom Jenaer Soziologen Stephan Lorenz vertreten. Vgl. (38), Session 3

[37]   (25), S. 37 f.

[38]   (26)

[39]   Vgl. (17), S. 26 ff.

[40]   Vgl. (16), S. 16

[41]   Vgl. (12)

[42]   (17), S. 40; Hervorhebung durch Ulrike Knobloch

[43]   (16), S. 16

[44]   (41)

[45]   (16), S. 16

[46]   (13)

[47]   Die aktuelle Corona-Krise führt Postkeynesianern und Ökomarxisten das hier angesprochene Naheverhältnis zur Wirtschaftstheorie des Sorgens sehr deutlich vor Augen. Denn sowohl Postkeynesianer als auch Ökomarxisten betonen, wie negativ sich die sozialen Nachhaltigkeitsdefizite unserer Gesellschaft auf deren Pandemie-Resilienz auswirken. Von zentraler Bedeutung für Aufbau und Aufrechterhaltung einer solchen Resilienz sind aber gerade jene vom neoliberalen Akkumulationsregime besonders geschwächten Bereiche der Alltagsökonomie, deren Analyse im Zentrum des Forschungsinteresses der Care-Theoretikerinnen stehen. Vgl. (18)

[48]   Lange Zeit fanden sich derartige Defizite auch in der marxistischen Ökonomie. Als in den neunzehnsiebziger Jahren noch viele Marxisten den produktiven, d.h. mehrwertschaffenden Charakter der Haus- und Familienarbeit bezweifelten, wiesen feministische Ökonominnen bereits darauf hin, dass diese Arbeit zur Herstellung und beständigen Reproduktion der Ware Arbeitskraft dient und daher mehrwertschaffend ist. Vgl. (9)

[49]   Karl Marx: Ökonomisch-philosophische Manuskripte, 1844. Es handelt sich hier also um zwei Zitate aus einer Schrift des jungen Marx. Später entwickelte Marx eine anders akzentuierte Utopie von der Befreiung der Arbeit. Mehr dazu im Kapitel zum Ökomarxismus

[50]   Für Daniela Gottschlich etwa „bilden soziale und ökologische Sorgearbeiten … die Grundlage allen Wirtschaftens“.(13) Tatsächlich sind diese Arbeiten zwar eine ganz wesentliche, aber sicher nicht „die“ (im Sinne von „die einzige“) Grundlage.

[51]   (17), S. 43

[52]   Alle Zitate aus dem Kurier vom 11.8.2020

[53]   (21), S. 828

[54]   (20), S. 516 (Hervorhebungen durch K. Marx)

[55]   Für den junge Marx hat diese Trennung des Arbeitenden von den gegenständlichen und natürlichen Grundlagen seines Lebens zwei Aspekte, und zwar erstens, „dass immer mehr die sinnliche Außenwelt aufhört, ein seiner Arbeit angehöriger Gegenstand, ein Lebensmittel seiner Arbeit zu sein; zweitens, dass sie immer mehr aufhört, Lebensmittel im unmittelbaren Sinn, Mittel für die physische Subsistenz des Arbeiters zu sein.“ (20) (Hervorhebungen durch K. Marx)

[56]   Vgl. (23)

[57]   Vgl. (11)

[58]   Vgl. meine diesbezügliche Argumentation bei der Einschätzung der postkeynesianischen Ökonomie des Guten Lebens

[59]   (14)

[60]   (34)

[61]   (23), S. 19

[62]   (23), S. 52

[63]   Vgl. (23), S. 29

[64]   (27)

[65]   Zur Größenordnung der hier im Spiel befindlichen Beträge: Geht man für Deutschland von den gut 950.000 Fünfundzwanzigjährigen des Jahres 2019 aus, dann ergibt sich bei einem Betrag von 120.000 Euro pro Person eine jährliche Gesamtsumme von mehr als 110 Milliarden Euro. Selbst wenn nur die Hälfte davon für die kollektive Bereitstellung von Wohnraum reserviert wäre, käme man auf mehr als 50 Milliarden Euro pro Jahr.

[66]   Vgl. z.B. das Projekt „Green Economy Transformation“ der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), das „ein besonderes Augenmerk … auf finanzpolitische Ansätze (richtet), die finanzielle Anreize für eine grüne Wirtschaft schaffen“.(39)

[67]   (4)

[68]   Vgl. (6), Teil II, Kapitel 4 („Krise und Neoliberalismus“)

[69]   Dieses und die folgenden Zitate aus (3)

[70]   Gramscis Konzept der „Hegemonie“ wurzelt in folgender schon von Marx und Engels in der Deutschen Ideologie formulierten Einsicht: „Die Gedanken der herrschenden Klasse sind in jeder Epoche herrschende Gedanken, d.h. die Klasse, welche die herrschende materielle Macht der Gesellschaft ist, ist zugleich ihre herrschende geistige Macht.“ (19)

[71]   (24), Kapitel 5 („Die Rolle der Politik“)

[72]   Zur Belegung des Aufbrechens der herkömmlichen Bewertung von wirtschaftlichen Leistungen erinnere ich hier nochmals an die bereits in Abschnitt 5.a zitierte Studie (18). Weitere Beispiele für das umsichgreifende Infragestellen von Lehrbuchdogmen der Mainstream-Ökonomie durch alternativ denkende Ökonom*innen finden sich in einem Artikel in der ZEIT vom 28.1.2021 mit dem Titel „Das Mainstream-Monopol“.

[73]   Klein benennt vier derartige Ideen, und zwar: die gerechte Umverteilung von Lebenschancen und Macht, den sozial-ökologischen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft, die demokratische Umgestaltung von Wirtschaft und Gesellschaft sowie umfassende Friedenssicherung und Solidarität. Vgl. (15)

[74]   „Alle Werte, Elemente, Institutionen und Praxen, die schon in den bürgerlichen Gesellschaften eine dem Kapital entgegengesetzte Logik der Entwicklung bergen, müssen … aus dem Abseits gerissen und entfaltet werden.“ Aus dem Kurztext zu (15)

[75]   „Eine … Große Transformation wird zur Aufgabe des 21. Jahrhunderts. Aber sie wird in Europa voraussichtlich nicht unmittelbar der nächste Akt der Geschichte sein.“ Die Lösung unserer Probleme „wird eher mit einer »kleinen« Transformation, das heißt mit einer Transformation im Rahmen des Kapitalismus beginnen. Den innerkapitalistischen Transformationen vom Konkurrenz- zum Monopolkapitalismus, von diesem zum sozialstaatlich regulierten fordistischen Kapitalismus und schließlich zum neoliberalen Kapitalismus könnte nach der hier entwickelten Erwartung eine postneoliberale Transformation folgen.“ (15), Seite 13

[76]   Alle vorangehenden Zitate aus (15), Kapitel 1 mit dem Titel „Doppelte Transformation – die Herausforderung“

[77]   Aktuelles Beispiel für die hier beschriebene Verknüpfung des Musters der Bewegung von Widersprüchen mit der Dynamik politischer Kämpfe ist das Geschehen im Zusammenhang mit dem sogenannten ‚Mietendeckel‚ in Berlin. Um Konkretisierung der hier beschriebenen Verknüpfung des Musters der Bewegung von Widersprüchen mit der Dynamik politischer Kämpfe bemüht sich die Nachbemerkung zum vorliegenden Text.

[78]   (35)

[79]   (35), S. 102 f.

[80]   (5)

Bücher, Artikel, Interviews
(1) Altmann, P.: Das Gute Leben als Alternative zum Wachstum? Der Fall Ecuador, Sozialwissenschaften und Berufspraxis, 2013, 36(1), S. 101-111
(2) Binswanger, B.: Der Wachstumszwang. Warum die Volkswirtschaft immer weiterwachsen muss, selbst wenn wir genug haben, Weinheim, 2019, Wiley-VCH
(3) Brand, U., Wissen, M.: Sozial-ökologische Krise und imperiale Lebensweise. Zu Krise und Kontinuität kapitalistischer Naturverhältnisse; in: Demirović, A., Dück, J., Becker, F., Bader, P. (Hrsg.): VielfachKrise im finanzdominierten Kapitalismus. Hamburg, 2011, VSA Verlag
(4) Brand, U., Schickert, C.: Ökosozialistische Strategien für eine sozial-ökologische Transformation. Postkapitalismus als wachstumskritische Praxis; in: Dörre, K., Schickert, C. (Hrsg.): Neosozialismus. Solidarität, Demokratie und Ökologie vs. Kapitalismus, München, 2019, oekom verlag
(5) Brie, M.: Revolutionäre Realpolitik I; in: Brie, M., Candeias, M.: ABC der Transformation: Revolutionäre Realpolitik; in: LUXEMBURG (Zeitschrift der Rosa-Lux­emburg-Stiftung), Jänner 2019
(6) Czasny, K.: Kritik des Arbeitswerts. Zum zentralen Begriff der ökonomischen Theorie von Karl Marx, Köln, 2018, PapyRossa Verlag
(7) Czasny, K.: Zur ökonomischen Dimension der COVID-19-Pandemie; in: Zukunft, 05/2020
(8) D’Alisa, G., Demaria, F., Kallis, G.: Degrowth – A Vocabulary for a New Era, London, 2014, Routledge
(9) Dalla Costa, M.: Die Frauen und der gesellschaftliche Umsturz; in: Die Macht der Frauen und der Umsturz der Gesellschaft. Internationale Marxistische Diskussion 36, Berlin, 1973, Merve Verlag
(10) Dowling, E.: The Care Crisis. What Caused It and How Can We End It? London – New York, 2021, Verso
(11) Foster, J. B.: Marx’s Ecology – materialism and nature, Monthly Review Press, New York, 2000
(12) Fraser, N.: Feminismus ohne Strategie; Interview mit Nancy Fraser in: LUXEMBURG (Zeitschrift der Rosa-Luxemburg-Stiftung), Dezember 2012
(13) Gottschlich, D.: Nachhaltiges Wirtschaften: Zum Verhältnis von Care und Green Economy; in: https://www.frauenpolitischer-rat.de/wp-content/uploads/2015/01/Care-Economy_finalx.pdf
(14) Grundmann, R.: Marxism and Ecology, Oxford, 1991, Clarendon Press
(15) Klein, D.: Das Morgen tanzt im Heute. Transformation im Kapitalismus und über ihn hinaus, Hamburg, 2013, VSA Verlag
(16) Knobloch, U.: Sorgeökonomie als kritische Wirtschaftstheorie des Sorgens; in: Denknetz, Jahrbuch 2013
(17) Knobloch, U.: Jonglieren mit Zeiten. Wirtschaftstheorie der bezahlten und unbezahlten Arbeit; in: Budowski, M., Knobloch, U., Nollert, M. (Hrsg.): Unbezahlt und dennoch Arbeit, S. 25-54, Zürich, 2016, Seismo Verlag
(18) Krisch, A., Novy, A., Plank, L., Schmidt, A. E., Blaas, W.: Die Leistungsträgerinnen des Alltagslebens. Covid-19 als Brennglas für die notwendige Neubewertung von Wirtschaft, Arbeit und Leistung; Foundational Economy: Research Report, Wien, 2020
(19) Marx, K., Engels, F.: Die deutsche Ideologie; in: MEW, Bd. 3, Berlin, 1969, Dietz Verlag
(20) Marx, K.: Ökonomisch-philosophische Manuskripte, MEW Bd. 40, Berlin, 1968, Dietz Verlag
(21) Marx, M.: Das Kapital, dritter Band, Berlin, 1969, Dietz Verlag
(22) Mattick, P.: Krisen und Krisentheorien; in: Krisen und Krisentheorien, Frankfurt am Main, 1974, Fischer Taschenbuch Verlag
(23) Mayert, A.: Marx, Ökomarxismus und Postwachstumstheorie; in: Ethik und Gesellschaft Nr. 1, 2018
(24) Peach, N.: Jenseits der Wachstumsspirale; in: DFG-Kolleg Postwachstum Jena, 30./31. Mai 2013
(25) Peach, N.: Befreiung vom Überfluss. Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie, München, 2014, oekom-Verlag
(26) Peach, N.: Postwachstumsökonomik. Wachstumskritische Alternativen zu Karl Marx; in: Aus Politik und Zeitgeschichte 67, 2017
(27) Piketty, T.: Interview mit „brand eins“; in: https://www.brandeins.de/magazine/brand-eins-wirtschaftsmagazin/2020/neuer-generationenvertrag/erbschaft-fuer-alle
(28) Pistor, K.: Der Code des Kapitals. Wie das Recht Reichtum und Ungleichheit schafft. Suhrkamp Verlag, Frankf. a. M., 2020; zitiert nach: Die Zeit, 4.3.2021, S. 53
(29) Raworth, K.: Ökologisch und sozial: Eine Ökonomie des guten Lebens; in: Blätter für deutsche und internationale Politik 5/2018, S. 97-108
(30) Raworth, K.: Die Donut-Ökonomie. Endlich ein Wirtschaftsmodell, das den Planeten nicht zerstört, München, 2018, Hanser
(31) Schellhorn, F.: Warum Wachstum gut ist; in: Der Standard, 29./30.9.2018
(32) Schellhorn, F.: Schrumpfen um zu wachsen; in: profil, 28.6.2020
(33) Skidelsky, R. & E.: Wieviel ist genug? Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens. München, 2014, Goldmann
(34) White, D. , Rudy, A., Gareau, B.: Environments, Natures, and Social Theory, London, 2016, Palgrave
(35) Wright, O. E.: Durch Realutopien den Kapitalismus transformieren, S. 100 ff.; in: Brie M. (Hrsg.): Mit Realutopien den Kapitalismus transformieren? Beiträge zur kritischen Transformationsforschung 2, Hamburg, 2015, VSA Verlag
(36) Zinn, K. G.: Wachstumszwänge im Kapitalismus: Die gespaltene Keynes-Rezeption und Keynes‘ Prognose auslaufenden Wachstums, DFG-Kolleg Postwachstum Jena, 30./31. Mai 2013

Namentlich nicht zuordenbare Texte aus dem Internet
(37) https://www.degrowth.info/de/was-ist-degrowth/
(38) http://www.kolleg-postwachstum.de/Ver%C3%B6ffentlichungen/Vortr%C3%A4ge+_+Berichte/Berichte/Wachstumskritik+und+kapitalistische+Wachstumszwa%CC%88nge.html
(39) https://www.giz.de/de/weltweit/78187.html
(40) https://www.tecson.de/historische-oelpreise.html
(41) https://www.vorsorgendeswirtschaften.de/idee/