Corona: Einübung des Ausnahmestaats

Joachim Hirsch

Die Ausbreitung des Corona-Virus und die zu seiner Eindämmung getroffenen Maßnahmen haben zur Einführung eines faktischen Ausnahmezustandes geführt, gekennzeichnet durch eine massive Einschränkung von Freiheitsrechten, die Aussetzung demokratischer Verfahren und eine erhebliche Stärkung der Exekutive, die durch die noch halbwegs funktionierende Gerichtsbarkeit nur geringfügig eingeschränkt wurde. Es geht hier nicht darum, den inzwischen recht zweifelhaft gewordenen Sinn vieler der getroffenen Maßnahmen zu diskutieren. Es soll vielmehr dargelegt werden, dass diese Entwicklung den Vorlauf zu einem durchgreifenden Umbau des politischen Systems im Angesicht drohender weiterer Krisen darstellen könnte, zur Etablierung eines Ausnahmestaats in Permanenz. Dazu gehören nicht nur die institutionellen und rechtlichen Veränderungen, sondern vielleicht mehr noch die mit zunehmender Dauer der Krise sich einstellende Gewöhnung der Bevölkerung an den Ausnahmezustand, der damit sozusagen zur Normalität gemacht wird. Zu den mit einiger Sicherheit bevorstehenden Krisen gehört nicht nur die Wahrscheinlichkeit weiterer Epidemien, die durch die weltweit verbreitete Form des Wirtschaftens hervorgerufen werden, sondern auch die Drohung eines ökonomischen Kollapses, der durch die inflationäre Geldpolitik der Notenbanken nur aufgeschoben wird, vor allem aber auch die Folgen eines ungehemmten Ressourcenverbrauchs, der Verschmutzung nicht nur der Weltmeere und die fortschreitende Erderwärmung mit ihren noch kaum absehbaren, aber jedenfalls dramatischen Folgen.

Es ist eine Illusion zu glauben, dass diesen Entwicklungen durch technische Maßnahmen oder gar durch Marktregulierungen Einhalt geboten werden könnte. Es bedarf dazu vielmehr einer grundlegenden Veränderung der herrschenden Lebensweise, der Konsumgewohnheiten und Vergesellschaftungsformen. Es wird nicht darum herumgekommen werden, dass die – kapitalistische – Industriegesellschaft, wie sie seit dem 19. Jahrhundert existiert, ein Auslaufmodell darstellt.

Konkret heißt das, dass die Kriterien, an denen bisher Wohlstand und ein gutes Leben gemessen wurden, nicht mehr gelten werden. Es wird darum gehen, den Ressourcenverbrauch drastisch einzuschränken, nicht nur durch den Verzicht auf Plastiktüten oder -trinkhalmen, sondern unter vielem anderen auch eine starke Einschränkung des Individualverkehrs und damit auch einer Veränderung der Siedlungsformen.  Dies gilt auch für Energieverbrauch Nicht nur die Elektromobilität, sondern auch die fortschreitende Digitalisierung aller Lebensbereiche verschlingt erhebliche Energien. Die Möglichkeiten zur alternativen Energiegewinnung sind nicht unendlich. Wenn der industrielle CO2-Ausstoß reduziert werden soll, muss der Warenkonsum beschränkt werden. Die Wegwerfgesellschaft ist alles andere als nachhaltig. Und vieles andere mehr.

Diese Entwicklung muss nicht negativ gesehen werden. Ein gutes Leben sieht jedenfalls anders aus als es die die derzeit existierenden Verhältnisse gestatten. Ein Verzicht auf die scheinbaren Annehmlichkeiten der „imperialen Lebensweise“ hätte durchaus viele gute Seiten, zumal diese vor allem zu Lasten der ärmeren Teile der Welt geht. Weniger (Lohn-) Arbeit für weniger unnützen Konsum wäre eine durchaus positive Perspektive (siehe dazu die Überlegungen zu einer sozialen Infrastruktur hier auf links-netz). Es bedürfte dazu einer durchgreifenden Veränderung der gesellschaftlichen Wertvorstellungen und Verhaltensweisen und das erfordert Lernproesse, die langwierig sind und dazuhin gegen die Interessen mächtiger Kapitale und der mit ihnen kooperierenden Medien inclusive der Werbeindustrie und der den Wachstumsfetisch vor sich hertragenden Wissenschaft realisiert werden müssen. Ganz abgesehen davon, ob eine solche Lebens- und Arbeitsweise überhaupt mit der kapitalistischen Ordnung vereinbar wäre.

Ein konsensuales gesellschaftliches Übereinkommen dazu ist, wenn überhaupt, auf kürzere Sicht kaum zu erwarten. Dazu bedürfte es einer zivilgesellschaftlichen Mobilisierung, für die kaum Ansätze zu sehen sind und die durch die Corona-Maßnahmen noch weiter beschränkt werden. Veganes Essen oder das Investieren in nachhaltige Fonds dürften nicht ausreichen. Es wird also staatliche Zwangsmittel Eindämmung zur notdürftigen Eindämmung der gefährlichsten Entwicklungen geben. Das heißt, es ist abzusehen, dass in Zukunft mit weiteren Freiheitsbeschränkungen zu rechnen ist, die das jetzt erreichte Maß weit übersteigen. Der Einsatz von Kontroll- und Überwachungsinstrumenten, massive Gebote und Verbote, die das alltägliche Leben regulieren, werden zur Normalität werden.

Die Corona-Krise als scheinbar naturgesetzliches Ereignis bietet die Chance, Akzeptanz für die Maßnahmen einer darüber hinausweisenden Krisenpolitik zu schaffen. Der niedersächsische Innenminister Pistorius hat bereits die Einsetzung eines „Nationalen Krisenkommandos“ gefordert (Süddeutsche Zeitung, 11.1. 2022). Damit meint er wohl ein außerkonstitutionelles Gesetzgebungsgremium ähnlich der Runde der Ministerpräsidenten und der Kanzlerin, wie es bis vor Kurzem noch bestanden hat. Das alles könnte dazu führen, dass die noch bis vor Kurzen hierzulade noch existierenden, relativ demokratischen Verhältnisse endgültig der Vergangenheit angehören werden.