Joachim Hirsch
Jörg Pohle, Rainer Fischbach und Klaus Lenk haben einen Sammelband herausgegeben, der sich mit der Umwälzung der gesellschaftlichen Machtverhältnisse durch die neuen Informations- und Kommunikationstechniken beschäftigt – ein Aspekt, der in der bisherigen, auch kritischen Literatur noch eine eher untergeordnete Rolle spielt.
Bereits breit diskutiert ist die Strategie der dominierenden Tech-Konzerne, die darin besteht, „Fußangeln“ – wie die Autoren es nennen – für die Nutzung von Diensten auf Plattformen als neue Methode der Wertabschöpfung auszulegen. Der ökonomische, d.h. die Verwertung immer umfangreicherer und komplexerer Daten über das Bewusstsein und Verhalten der Nutzer, betreffende Aspekt werde aber von einem noch wichtigeren begleitet: der radikalen Umwälzung der gesellschaftlichen Machtstrukturen.
Dies beruhe auf der Fähigkeit, berechenbare Abbilder menschlichen Bewusstseins und Verhaltens zu erzeugen, die der detaillierten Steuerung von Mensch und Gesellschaft dienen, einer „digital unterstützten Verhaltenspolitik“ (10). Damit entstehe eine Art von privater Weltregierung, die die Macht der Staaten überlagere und relativiere, eine „funktionale Souveränität“ der Tech-Konzerne. Sie verfügten „über technische Mittel, die nicht nur als Waffen, sondern auch als strukturelle, das Leben der Menschen kontrollierende, steuernde, sogar einpferchende Gewalt fungieren (12). Es entstehe eine neue Art von „sanftem“, von privaten Kräften geprägten, also sozusagen „zivilgesellschaftlichem“ Totalitarismus. Die Art der Einbindung der Menschen in Natur und Gesellschaft verändere sich damit grundlegend. Sie leben immer stärker in ihrer datenmäßigen Spiegelung, etwa wenn die Daten des Fitnesstrackers bedeutender werden für die Wahrnehmung des Körperzustandes als das eigene Gefühl.
Diese Entwicklung sei nicht alternativlos, abgesehen davon, dass die Komplexität der Systeme diese immer störanfälliger werden lassen. Der vor Kurzem stattgefundene weltweite Zusammenbruch der Windows-Betriebssysteme aufgrund eines fehlerhaften Sicherheitsupdates weist darauf hin. Notwendig sei die Mobilisierung von Widerstand, wozu es auch Ansätze gebe. Hier bleiben die Autoren allerdings eher noch im Vagen, was wohl den realen Verhältnissen entspricht.
Die in dem Band versammelten Aufsätze beleuchten die so umrissene Entwicklung aus verschiedenen Aspekten, bis hin zu den Auswirkungen der Informatisierung von Unterricht und Lernen, die „Datifizierung der Pädagogik“. Auch wenn es sich dabei erst um vorläufige Untersuchungsansätze handelt, ist das Buch sehr lesenswert.
Jörg Pohle, Rainer Fischbach, Klaus Lenk (Hg.): Die gesellschaftliche Macht digitaler Technologien. Metropolis-Verlag Marburg 2024, 298 S.