Zur Bundestagswahl 2025
Joachim Hirsch
Was hat die Bundestagswahl nun eigentlich gebracht? Erstmal dass CDU/CSU und SPD auf Gedeih und Verderb aufeinander angewiesen sind, da Merz es (noch) nicht wagen kann, mit der AfD zusammenzuarbeiten. Immerhin hat jede(r) fünfte diese in wesentlichen Teilen rechtsradikale Partei gewählt, d.h. sie hat ihr Ghetto verlassen und ist sozusagen zu einem Normalbestandteil des Parteiensystems geworden. Insofern ist es nicht ganz abwegig, wenn Alice Weidel auf den endgültigen Durchbruch bei den nächsten Bundestagswahlen spekuliert. Erfreulich dagegen ist das Ausscheiden der politikzerstörenden Klientelpartei FDP und das unerwartet gute Abschneiden der Linkspartei, der das Ausscheiden der Wagenknecht-Gruppe offensichtlich eher genutzt als geschadet hat und deren Erfolg auch mit der Betonung sozialer Themen zusammenhängt. Immerhin sitzt damit im Parlament damit wenigstens eine sozialdemokratische Oppositionspartei, nachdem die SPD diese Orientierung aufgegeben hat. Umso erstaunlicher ist es, dass die Linke in vielen Medien zu den „radikalen Flügeln“ gerechnet wird. Dummheit ist wohl auch im Journalismus unausrottbar.
Dominiert wurde der Wahlkampf von der Migration, am Rande noch von der schlechten Wirtschaftslage. Wirklich drängende Probleme wie das Klima, die wachsende ökonomische Spaltung der Gesellschaft mit ihren Folgen für die Machtverhältnisse (immer mehr bestimmen wenige Superreiche die Politik, und dies nicht nur in den USA), die Wohnungsnot, die Renten oder das marode Gesundheitssystem spielten praktisch keine Rolle. Dass Merz in der Migrationsfrage – zuletzt mit seinen Resolutions- und Gesetzesanträgen vom Januar – mit der Hoffnung auf Wählerstimmen der AfD nicht nur hinterhergelaufen ist, sondern auch ihre Unterstützung in Kauf genommen hat, hat vor allem dieser genützt.
Was überhaupt nicht thematisiert wurde, ist das eigentliche Demokratieproblem. Zwar wurde viel von Demokratie und ihrer Gefährdung geredet und die entsprechenden Massendemonstrationen gefeiert, aber es wurde so getan, als sei einzig die AfD das Problem. Das ist sie zwar auch, aber seine Dimensionen reichen sehr viel weiter. Das Gerede von der „Brandmauer“ der demokratischen Parteien gegen die AfD verschleiert, dass auch dort, insbesondere in der CDU/CSU durchaus Gleichgesinnte zu finden sind. Zusammenarbeit mit der AfD gibt es zumindest auf kommunaler Ebene schon mehrfach. Damit wird unterschlagen, dass die Gefährdung zu einem wesentlichen Teil aus der sich selbst so bezeichnenden „demokratischen Mitte“ kommt. Das zeigt sich vor allem an den Versuchen, die zivilgesellschaftlichen Strukturen zu untergraben, die ein zentraler Bestandteil demokratischer Verhältnisse sind. Ein Beispiel dafür ist die Antisemitismusresolution des Bundestags, die darauf abzielt, jede Kritik an den Kriegs- und Menschenrechtsverbrechen Israels zu unterbinden. Sie ist als Resolution nicht justiziabel, entfaltet aber ihre Wirksamkeit, so etwa an den Hochschulen, wo entsprechende Veranstaltungen faktisch verboten werden. Zu diesem Zweck wurde die Resolution in der Folge in Bezug auf den Bildungsbereich noch weiter verschärft. Das ist ein massiver Angriff auf die Wissenschafts- und Redefreiheit. Entsprechendes spielt sich im weiteren Bereich von Kunst und Kultur ab. Hintergrund sind die geostrategischen Interessen des „Westens“ und damit auch der Bundesrepublik an einer Kontrolle der Nahostregion, bei denen Israel eine wichtige Rolle zukommt. Darüber soll öffentlich nicht informiert und diskutiert werden. Natürlich spielt dabei auch die aus den Naziverbrechen resultierende besondere Verantwortung Deutschlands eine Rolle. Gerade sie sollte aber gebieten, sich gegen Menschenrechtsverletzungen zu wenden, von welchem Staat auch immer. Der künftige Bundeskanzler Merz hat dem noch eine Spitze aufgesetzt mit seiner Ankündigung, den israelischen Regierungschef Netanjahu ohne Rücksicht auf den Haftbefehl des internationalen Strafgerichtshofs einladen zu wollen. Dies wäre ein offener Bruch des internationalen Rechts. Das zum Thema „demokratischer Rechtsstaat“.
Ähnliches geschieht in Bezug auf den Ukrainekrieg. Wer auf die dahinterstehenden geostrategischen Interessen verweist, etwa die absprachewidrige Osterweiterung der NATO, wird als Putinfreund diffamiert, auch wenn man die Völkerrechtswidrigkeit des russischen Angriffs keineswegs verschweigt. Noch ein aktuelles Beispiel: die CDU/CSU-Fraktion hat im Bundestag eine Anfrage eingebracht (Drucksache 20/15055 vom 24.2.2025) mit dem Ziel, einer ganzen Reihe zivilgesellschaftlicher Organisationen ihren Gemeinnützigkeitsstatus und damit ihre Finanzgrundlage zu entziehen. Es geht darum, „politische Neutralität“, also den Verzicht auf eine Kritik an den Parteien zur Vorbedingung für Gemeinnützigkeit zu machen. Die politische Diskussion würde damit massiv eingeschränkt. Zu den betroffenen Organisationen gehören unter vielen anderen Greenpeace, der BUND, Foodwatch, die Umwelthilfe oder die „Omas gegen Rechts“. Putins Verhältnis zur „Zivilgesellschaft“ dient hier wohl als Vorbild und die AfD benutzt bereits eifrig diesen Instrumentenkasten.
Wenn der US-Vizepräsident Vance das Fehlen von Meinungsfreiheit in Deutschland kritisiert und damit allgemeine Empörung auslöst, hat er also durchaus nicht ganz Unrecht. Auch wenn er damit eher das ungehinderte Wirken der US-Internetmonopole meint und in Bezug auf die Meinungsfreiheit selbst viel mehr Dreck am Stecken hat. In den USA ist die Entwicklung mit der Wahl von Trump schon erheblich weiter.
Fazit: Die Bedrohung der Demokratie geht in wesentlichem Umfang von der „demokratischen Mitte“ selbst aus. Statt taktische „Brandmauern“ gegen die AfD zu errichten, wäre es sinnvoll, an den Verhältnissen anzusetzen, denen sie ihre Erfolge zu einem wesentlichen Teil verdankt. Das hieße, sich um die zu kümmern, die durch die neoliberale Offensive – nicht zuletzt durch die Art und Weise der Wiedervereinigungspolitik – abgehängt und sozial ausgegrenzt wurden, durch einen Aus- und nicht Abbau der sozialen Sicherungssysteme, durch eine weniger von privaten Interessen bestimmten Gesundheitspolitik, eine geregelte und funktionierende Einwanderungspolitik, ohne die das Land ökonomisch gar nicht existieren kann u.v.a.m. Und es käme darauf an, gesellschaftliche und ökonomische Probleme und die die Politik bestimmenden Interessen nicht zu verschweigen, sondern offen zu thematisieren und praktisch anzugehen. Von der künftigen Regierung ist aber in dieser Hinsicht wenig zu erwarten.