Die USA auf dem Weg zum autoritären Staat

Margit Mayer

Unterschiedliche Kreise diskutieren, mit welchen Konzepten das sich unter der zweiten Präsidentschaft von Trump herausbildende Regime angemessen begriffen werden könnte: Sie reichen von ‘illiberaler Demokratie’ (Risse 2025, Beland 2025) über populistischen oder kompetitiven Autoritarismus (Gonzales 2024, Levitsky/ Way 2002), Faschismus oder Totalitarismus (Stanley 2024, Snyder 2024) bis hin zum ‘neuen Cäsarismus’ oder Bonapartismus (Sassmannshausen 2025), von der Oligarchen- bis zur Bandenherrschaft (Lindemann 2024). Zumeist fokussieren sie auf bestimmte Aspekte des entstehenden Regimes – während sie andere unterbelichtet lassen. So stehen die Veränderungen der Staatsform und der Art des Regierens fast stets im Vordergrund, während Veränderungen in breiten (zivil-)gesell-schaftlichen Spektren sowie ideologische Atmosphären, die sie von früheren sowie heutigen autoritären Tendenzen anderswo unterscheiden, weniger Aufmerksamkeit erfahren. Um die Spezifik des gesellschaftlichen und politischen Wandels unter Trump 2.0 zu erfassen, könnte es produktiv(er) sein, Analysekategorien eher aus einer „thick description“ zu entwickeln und im Rekurs auf die exzeptionelle Entstehung, Formierung und Geschichte des US-amerikanischen Kapitalismus zu konkretisieren.

Weithin besteht Konsens, dass sich unter Trump 2.0 die Art des Regierens verändert hat. In vielen Bereichen, angefangen bei den (Handels-)Beziehungen mit anderen Ländern bis zu den Interaktionen mit zentralen gesellschaftlichen Institutionen wie Bildungs- und Forschungseinrichtungen oder Medienkonzernen im eigenen Land, gilt heute das Deal-Making als zentraler Steuerungsmechanismus, über den der Präsident das Verhalten der jeweiligen Akteure lenkt. Statt „governance by deal“ schlägt Adam Tooze „ad hoc governance“ oder auch „governance by bullying“ als treffendere Begriffe vor (Tooze 2025), jedenfalls geht es um “Einigungen”, die man eher mit der Mafia und anderen Formen von Bandenherrschaft assoziiert, also als ‘Racketeering’ beschreiben könnte. Ebenfalls zentral ist das Muster des Ausrufens von Notlagen (einer Invasion, einer Rebellion o.ä.), denen die Regierung dann mittels Dekret begegnet. Trumps Politik nutzt solche Optionen weitaus systematischer als frühere Präsidenten, und der republikanisch dominierte Kongress unternimmt kaum etwas, um diese von der Exekutive dominierte Form des Regierens einzuschränken.

Diese Diagnose wird zwar breit gestellt, aber der damit verknüpfte Einsatz repressiver Instrumente und polizeistaatlicher Methoden nicht unbedingt in seiner historischen Vermitteltheit und politischen Bedeutung gewürdigt. Das kann auch in diesem kurzen Text nicht gelingen, aber ein paar Hinweise könnten die Richtung verdeutlichen.

Schon am ersten Tag erklärte Trump eine Notsituation wegen der Drogenkartelle, was ihm erlaubte, diese zu terroristischen Organisationen zu erklären. Bereits im Februar designierte das Außenministerium acht Drogenhandel-Organisationen als „FTOs“ (foreign terrorist organizations), was den Weg für militärische Operationen gegen sie ebnete. Im September erklärte Trump, dass der „transnationale illegale Handel mit Fentanyl und anderen tödlichen illegalen Drogen einen nationalen Notstand bewirkt“ und dass seine Regierung jedes Mittel und nie dagewesene Ressourcen dagegen einsetzen werde.[1] Nach dem Attentat auf Charlie Kirk (am 10.9.) erklärte er „Antifa“ in einer Direktive als „(inländische) terroristische Organisation und begründete damit hartes Vorgehen gegen jegliche Regierungskritiker. Und in seinem ‘National Security Presidential Memorandum’ (NSPM-7) vom 25.9. legte er nach, indem er den einschlägigen Bundesbehörden befahl, gegen sämtliche linken NGOs, die seine Agenda ablehnen, zu ermitteln und ihre Aktivitäten zu unterminieren. Dabei definierte das Memorandum folgende politische Haltungen als Indikatoren für Inlandsterrorismus: „Anti-Amerikanismus, Antikapitalismus, und Anti-Christentum“, „Extremismus in Bezug auf Migration, Rasse, und Geschlecht“ sowie Opposition zu „traditionellen amerikanischen Vorstellungen von Familie, Religion und Moral“. Es instruiert die Joint Terrorism Task Forces des FBI – ein Netz von etwa 200 Einheiten zur Terrorismusbekämpfung, die notorisch für ihre Verletzungen von Bürgerrechten sind –, gegen solche Gruppen sowie ihre Geldgeber zu ermitteln.[2]

Das Designieren von politischen Gegnern als „Terroristen“ ist seit den Anschlägen von 9/11 (2001) auf Basis des PATRIOT Act (der die Unterstützung von ausländischen terroristischen Organisationen kriminalisierte) verstärkt zur Anwendung gekommen, und war zunächst primär auf (in- und ausländische) islamistische Gruppen gerichtet. Aber auch gewalttätige rechtsextreme Gruppen sowie Umwelt- und Animal-Rights-Aktivismus wurden als „terroristisch“ verfolgt. Das nach 9/11 etablierte Department of Homeland Security (November 2002) und die ICE-Behörde (März 2003) wurden in überparteilichem Konsens zur umfassenden und zunehmend militarisierten Bekämpfung dieser „Bedrohungen der inneren Sicherheit“ etabliert. Nach dem 7.Oktober 2023 wurde, ebenfalls in überparteilichem Konsens, jeglicher pro-palästinensische Aktivismus (wegen angeblichem Antisemitismus und Unterstützung terroristischer Organisationen) systematisch verfolgt.

Dabei ist der Einsatz extrem repressiver Instrumente und militärischer Operationen, auch unter dem Vorwand des Terrorismus, gegen in- und ausländische „Feinde“ keineswegs neu und fand auch nicht nur unter rechtskonservativen Regierungen statt. Bereits in den Jahren nach 9/11 galten Immigranten nicht nur als potentielle Drogenschmuggler, sondern auch als potentielle Terroristen (Seghetti et al. 2005). Die mit solchen „Designierungen“ freigesetzte, praktisch unkontrollierte Anwendung staatlicher/militärischer Gewalt richtete sich schnell auch gegen „innere“ Feinde: denn wenn sowohl Hamas als auch Tren de Aragua oder MS-13 zu FTOs (foreign terrorist organizations) oder SDGTs (specially designated global terrorists) erklärt werden, dann gelten auch ihre Unterstützer innerhalb der USA als Terroristen.

Die Verknüpfungen von repressiven Immigrationsgesetzen, Militarisierung der Polizei, und der langen Geschichte rassistischer Gewalt manifestier(t)en sich insbesondere im Vorgehen der Migrationspolizei ICE, vor allem in von Demokraten regierten Städten mit mehrheitlich nicht-weißen Bevölkerungen. ICE erfüllt dabei recht unterschiedliche Funktionen gleichzeitig: Sie ist in der Lage, communities of color, also Viertel in denen mehrheitlich Arbeiter*innen mit lateinamerikanischem Migrationshintergrund leben, zu terrorisieren; zweitens erlaubt sie den konservativen Republikanern, demokratisch regierte Städte zu kontrollieren; und gleichzeitig ist sie es, die auch pro-palästinensische Studierende kidnappt, festnimmt und abschiebt. Als gegen das brutale Vorgehen von ICE gegen Menschen, die aussahen, als könnten sie sich ohne Aufenthaltstitel in Los Angeles aufhalten, im Juni massive Proteste ausbrachen, erklärte Trump den Notstand und berief in einer Direktive mehr als 5000 Nationalgardisten unter dem Befehl des Verteidigungsministers in die Stadt. Anschließend erklärte er auf Truth Social, „Los Angeles wäre komplett ausradiert worden“, wenn er nicht die Nationalgarde dorthin beordert hätte. Dabei erfolgte die Mobilisierung der Nationalgarde und zusätzlich noch die von 700 aktiven Marinesoldaten gegen den heftigen Einspruch der Bürgermeisterin von Los Angeles, Karen Bass, und des kalifornischen Gouverneurs Newsom, dem die Nationalgarde unterstellt ist. Ein Bundesrichter erklärte Trumps Order mit Verweis auf das Posse Comitatus-Gesetz (1878) per einstweiliger Verfügung für rechtswidrig, denn dies Gesetz verbietet den Einsatz von Bundestruppen als Polizeikräfte. Bundestruppen dürfen höchstens Einrichtungen oder Personal des Bundes schützen, aber keinerlei polizeiliche Aufgaben wahrnehmen. Doch binnen Stunden hob ein Berufungsgericht den Urteilsspruch auf, und erlaubte dem Militär, weiter die Macht des Bundes auf den Straßen von Los Angeles zu demonstrieren. Anfang September hob ein Bundesrichter in San Francisco dies Urteil jedoch wieder auf, weil das Militär eindeutig Funktionen wahrgenommen habe, die ihm nicht gestattet sind. Inzwischen unterstützt eine Koalition von 36 Städten sowie die U.S. Conference of Mayors den kalifornischen Gouverneur in seinem Kampf gegen die Verletzung des Posse Comitatus-Gesetzes und die Machtanmaßung der Bundesregierung gegenüber einem Einzelstaat (10. Zusatzartikel der Verfassung). Auch die Verhaftungen, die Grenzbeamte im Rahmen ihrer streifenden Patrouillen vorgenommen hatten, konnten zunächst, von einem anderen Gericht, als verfassungswidrig verboten werden. Es urteilte, dass die von den Beamten angewandten Kriterien (ethnische Zugehörigkeit, Aussehen) für die Selektion von zu verhaftenden Personen keinen hinreichenden Verdacht begründen, da in Los Angeles (zu) viele Latinos mit legalem Aufenthaltsstatus leben. Doch das Oberste Gericht hob Anfang September dies Urteil auf und erlaubte damit ICE und Border Patrol, ihre Verhaftungen auf der Basis von Racial Profiling zunächst fortzuführen.

Nachdem Los Angeles sich als schwieriges Pflaster für das Anliegen der Trump-Regierung erwies, Militär im Landesinnern gegen die Bürger*innen der USA einzusetzen, schwenkte sie auf die Hauptstadt Washington um, wo der Bund über mehr Macht verfügt.[3] Am 11. August erklärte Trump, dass er die Kontrolle über das Metropolitan Police Department übernehmen und die Washingtoner Nationalgarde aktivieren werde, weil die wachsende Kriminalität in der Hauptstadt einen Notstand der öffentlichen Sicherheit konstituiere. Er entsandte 1500 Reserve-Truppen aus verschiedenen Gliedstaaten nach Washington, wo sie, gemeinsam mit 900 Washingtoner Gardisten, Border Patrol-, Secret Service-, Drug Enforcement Agency-, Department of Homeland Security-, FBI- und ICE-Beamten „die Verbrechensquote reduzieren“, aber vor allem an vielen strategischen Orten Präsenz zeigen und zentrale Transport-Knotenpunkte militärisch sichern sollten.[4]

Nachdem Trump das erste Mal Chicago – wiederum wegen angeblich hoher Kriminalitätsraten – avisierte, kam derart massiver Widerstand vom (afro-amerikanischen) Bürgermeister Brandon Johnson sowie vom Gouverneur von Illinois JB Pritzker, dass Trump sein Angebot erst einmal Städten wie Memphis (Tennessee), New Orleans (Louisiana), und Baltimore (Maryland) machte, und zwar als Hilfsangebot, denn die städtischen Polizeibehörden wären einer gewissen Unterstützung nicht abgeneigt. Danach machte Trump seine Drohung, Truppen auch nach Chicago zu senden, wahr. Anfang Oktober schickte „Kriegsminister“ Hegseth sowohl Nationalgardisten von Illinois als auch von Texas nach Chicago, die dort – wie auch in Portland, Oregon – besonders aggressiv sowohl gegen Communities als auch lokale politische Vertreter vorgingen. Alle diese Städte werden von Demokratischen Bürgermeistern bzw. New Orleans von einer Bürgermeisterin (LaToya Cantrell) regiert, die, außer in Portland, nicht-weiße Bürgermeister sind. Während jede neue Entsendung von Militär und anderen Bundeskräften in eine solche Stadt die repressive Kontrolle der Trump-Regierung über die städtische Politik sichert, soll das begleitende Narrativ die angeblich hohen Verbrechensquoten dort als Konsequenz sowohl einer überproportional großen nicht-weißen Bevölkerung als auch der Inkompetenz von demokratischen Regierungen darstellen.

Sowohl die Machtanmaßung, die Trump über präsidiale Notstandserklärungen ausübt (und die derzeit weder durch die Gewaltenteilung noch durch Mechanismen innerhalb der Exekutive verhindert wird[5]) als auch die Zentralisierung und Politisierung von Polizeikräften und Reservesoldaten werden in den medialen und fachwissenschaftlichen Diskussionen häufig als plötzlicher historischer Bruch, als krasse Negation der bisherigen liberalen Ordnung und als Abweichung vom demokratischen Entwicklungsverlauf der USA skandalisiert. Jedoch handelt es sich eher um Zuspitzungen und/oder Ausweitungen von häufig in der amerikanischen Geschichte praktizierten Law & Order-Strategien des nationalen Sicherheitsstaats, die tief in die Institutionen und Rechtsgeschichte des Landes eingeschrieben sind.

Nicht nur gründete die liberale amerikanische Gesellschaft in der gewaltsamen Enteignung und Ausrottung indigener Bevölkerungen sowie der Versklavung und Entrechtung der afro-amerikanischen Bevölkerung. Sie hat nicht nur den ehemaligen Sklaven, sondern auch Frauen und Besitzlosen bürgerliche und politische Rechte lange vorenthalten. Und ihre Geschichte ist von Anfang an geprägt von militärischen Eroberungen nach außen, und nach innen – trotz der Bedeutung des Ersten Zusatzartikels zur Verfassung – von massiven Einschränkungen von Rede- und Meinungsfreiheit. Die Alien and Sedition Acts von 1798 bspw. kriminalisierten jedwede Kritik an der Regierung (der Federalists) und zielten damit v.a. auf die (von Neuankömmlingen favorisierte) Partei der Democratic-Republicans. Trump war nicht der erste Präsident, der sich später auf diese Gesetze berief: als er im März 2025 angebliche venezolanische Gangmitglieder, die von ICE „verschwunden“ wurden, in das Hochsicherheitsgefängnis CECOT in El Salvador verfrachtete, bezog er sich auf die hier dem Präsidenten gewährte Autorität, Dissidenten zu deportieren. Auch die Palmer Raids, die (1918-21) unter der Präsidentschaft des Demokraten Woodrow Wilson stattfanden (und als ‘First Red Scare’ in die Geschichte eingingen), zogen die Alien and Sedition Acts heran, um Tausende von Einwanderern sowie US-Bürger*innen, denen eine kommunistische oder sozialistische Einstellung unterstellt wurde, zu verhaften bzw. die Ausländer zu deportieren. Und Präsident Roosevelt berief sich ebenfalls auf dies Gesetz, um ca. 9000 japanisch-stämmige Amerikaner*innen als „enemy aliens“ zu Beginn des 2. Weltkriegs in Konzentrationslager zu verfrachten, wo sie bis 1946 festgehalten wurden.

Nach dem Ende des Bürgerkriegs (1865) überwachten Bundestruppen – während der sog. Rekonstruktionsphase – zunächst die Einhaltung der Rechte Schwarzer Amerikaner*innen, doch nach deren Abzug (1877) verabschiedeten die meisten Südstaaten sog. Jim Crow Laws,mit denen rassistische Segregation bis in die 1960er Jahre durchgesetzt wurde. Die McCarthy-Ära (sog. ‘Second Red Scare’) begann mit der Direktive Präsident Harry Trumans (auch er ein Demokrat) im März 1947, alle Bundesangestellten einem Loyalitätstest zu unterziehen, um solche mit Nähe zu „totalitären, faschistischen, kommunistischen oder subversiven“ Organisationen aus dem Staatsdienst zu entfernen. Die Säuberungen von angeblich linksextremen Staatsbediensteten weiteten sich bald auf Hollywood bzw. die Unterhaltungsindustrie, sowie Akademiker*innen, linke Politiker und Gewerkschafter aus, denen kommunistische Gesinnung oder „un-amerikanische Aktivitäten“unterstellt wurden. Und schließlich wurden Anführer der Bürgerrechtsbewegung und linke Aktivist*innen dekadenlang vom FBI drangsaliert, und Schwarze Befreiungsbewegungen wie die Black Panther in den 60er Jahren wurden systematisch dem rassistischen Terror und der Gewalt des Staats unterworfen. Dies veranlasste deren Theoretiker*innen – wie z.B. George Jackson, Angela Davis, aber auch Herbert Marcuse – zu argumentieren, dass es in den USA keiner Machtergreifung durch eine faschistische Bewegung bedürfe, denn das karzerale System, die weiße Vorherrschaft, und die Aufstandsbekämpfung des Staats könnten jederzeit nicht nur gegen ihre Communities und andere antikoloniale Bewegungen aktiviert werden, sondern auch darüber hinaus schleichenden Autoritarismus und sogar Faschisierung beschleunigen.

Kurz, in mehreren Phasen der US-amerikanischen Geschichte konnte die konservative Rechte erstarken, eben weil Ideologien und Praxen von xenophoben, rassistischen und anti-progressiven Charakteristiken der frühen Siedlergesellschaft erhalten geblieben und in überparteilichem Konsens reproduziert worden sind. Den beiden progressiven Schüben – dem New Deal der 30er Jahre und den bürgerrechtlichen und sozialen Reformen der 60er – begegneten die „Movement Conservatives“ mit zunächst fragmentiertem Backlash. Doch nach der Verabschiedung des Voting Rights Act 1965 (mit dem die USA allererst in der Demokratie angekommen waren) gelang es ihnen, die Forderungen der Kapitalisten nach Deregulierung und Steuersenkungen mit denen der Rassisten und Sexisten unter einen Hut zu bringen, um in der Folge mit Ronald Reagan ins Weiße Haus zu ziehen. Mit der Reagan Revolution wurde die Wunschliste der konservativen Rechten zum ersten Mal seit der Rekonstruktionsphase wieder mehrheitsfähig und seither wurde sie von den Think Tanks der populistischen Rechten stetig weiterentwickelt, und alle vier Jahre der jeweiligen Konjunktur angepasst.

Der Trumpismus weicht also nicht so stark vom „amerikanischen Weg“ ab wie oft unterstellt (und auch nicht vom neoliberalen Weg!), sondern manifestiert eine von Anfang an charakteristische Regierungstendenz – von der Herrschaft der weißen Männer in der frühen Siedlergesellschaft bis hin zu Reagans konservativer Revolution. Das von der aktuellen Regierung implementierte Project 2025 ist die neunte, von der Heritage Foundation erarbeitete Blaupause für Republikanische Regierungen seit Reagan, und adaptiert lediglich die immergleiche Wunschliste der Republikaner an die heutigen Bedingungen.

Was heute allerdings neu ist, ist das Ausmaß der Vermögensungleichheit und die Schärfe der Verwertungskrise des Kapitals im Kontext sich verschiebender geoökonomischer und geopolitischer Kräfteverhältnisse. Die sich seit Jahrzehnten verschärfende soziale Ungleichheit wird durch das im Juli verabschiedete Gesetzespaket, das unter dem Namen “One Big Beautiful Bill” bekannt ist, derart weitergetrieben, dass breite Verelendungsprozesse absehbar sind. Gleichzeitig konzentrieren die oberen 10% solch gigantischen Reichtum, dass nüchterne Begriffe wie Einkommens- oder Vermögensungleichheit diese Disparitäten kaum angemessen beschreiben. Diese Mega-Reichen, vor allem die neuen Finanzeliten und Big Tech-Mogule, die sich früh als Trump-Unterstützer hervorgetan haben und von seiner Politik weitaus mehr profitieren als die sog. MAGA-Basis, pflegen zu großen Teilen eine ideologische Nähe zur visionären Fortschrittserzählung rechtskonservativer Vordenker wie Curtis Yarvin (Kofman 2025). Da sich aus deren Visionen weder ein kohärentes noch nachhaltiges Gesellschaftsmodell entwickeln lässt, das auch den 80% ein lebenswertes Leben zugesteht, werden wohl heftige soziale Kämpfe und politische Auseinandersetzungen notwendig sein.

Vorabdruck aus Mayer, Regimewechsel in den USA. In: Bernd Belina u.a., Hg., Multiple Krise und neue Konstellationen des Kapitalismus. Münster: Verlag Westfälisches Dampfboot, 2026. Das vollständige Kapitel kann auf der Webseite des Verlags heruntergeladen werden: https://www.dampfboot-verlag.de/files/leseproben/mayer.pdf


[1] https://www.state.gov/releases/office-of-the-spokesperson/2025/09/presidential-determination-on-major-drug-transit-or-major-illicit-drug-producing-countries-for-fiscal-year-2026

[2] https://www.whitehouse.gov/presidential-actions/2025/09/countering-domestic-terrorism-and-organized-political-violence/

[3] In Washington, D.C. haben Kongress und Präsident mehr Befugnisse als in den Gliedstaaten, u.a. kann der Präsident direkt über den Einsatz der Nationalgarde verfügen. Sogar über den Haushalt behält der Kongress die Aufsicht.

[4] Sie wurden allerdings auch als Ersatz für das von DOGE weggekürzte National Park Service-Personal zur Säuberung und Pflege der Parkanlagen Washingtons eingesetzt (https://www.thedailybeast.com/trumps-crimefighting-shock-troops-ordered-to-clean-up-trash-near-the-white-house).

[5] Der gezielte Ab- und Umbau des Staates hatte zur Folge, dass im Justizministerium niemand mehr ist, der oder die dem Präsidenten sagt, dass die Verfassung bzw. bestimmte Gesetze seine Macht begrenzen könnten. Und die Judikative (bzw. deren von Trump noch unabhängigen Teile) kommt kaum hinter den permanenten, potentielle Spielräume austestenden Direktiven hinterher. Auf diese folgen zwar stets sofortige Unterlassungsklagen, einstweilige Verfügungen, und dann langdauernde Auseinandersetzungen vor Distrikt-, Berufungs- und Bundesgerichten, bis hin zum Obersten Gerichtshof. Selbst wenn sich herausstellt, dass die Trump-Regierung illegal gehandelt hat, ist der Schaden meist längst angerichtet. Oft widersetzt sich die Regierung jedoch schlicht dem Urteilsspruch, und/oder sie bedroht und attackiert die Richter – die Unabhängigkeit der Justiz und damit die Rechtstaatlichkeit werden dadurch erodiert. Die republikanische Mehrheit im Kongress hat ihre Kontrollfunktion im Rahmen der Gewaltenteilung längst selbst aufgegeben, die Republikaner haben schließlich die Übernahme ihrer Partei durch Trump geschluckt, und die Demokraten betrieben bis zum Shutdown noch nicht einmal das Geschäft der parlamentarischen Opposition.

Literatur

Beland, Daniel (2025): Donald Trump and the Illiberalization of America, in: Policy. Canadian Politics and Public Policy, 16.7. https://www.policy-magazine.ca/donald-trump-and-the-illiberalization-of-america/

Gonzales, Miriam Juan-Torres (2024): Fear, Grievance, and the Other. How authoritarian populist politics thrive in contemporary democracies. Berkeley Othering and Belonging Institute. https://belonging.berkeley.edu/sites/default/files/2024-11/FearGrievanceandtheOther_Nov2024.pdf

Kofman, Ava (2025): Curtis Yarvin’s plot against America, in: The New Yorker, 2.6.

Levitsky, Steven/Way, Lucan A. (2002): The Rise of Competitive Authoritarianism, in: Journal of Democracy, 15/2 (April), 51-65.

Lindemann, Kai (2024): Die Politik der Rackets. Zur Praxis der herrschenden Klassen. Münster.

Risse, Mathias (2025): Dividing up the planet and championing illiberal democracies: Trump seeks to make Carl Schmitt’s vision of the world order a reality. Harvard Kennedy School, 6.3., https://www.hks.harvard.edu/centers/carr-ryan/our-work/carr-ryan-commentary/dividing-planet-and-championing-illiberal

Sassmannshausen, Felix (2025): Donald J. Trump und der neue Cäsarismus, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 7 (Juli), 59-70.

Seghetti, Lisa M. (2005): Border Security and the Southwest Border: Background, Legislation, and Issues. Congressional Research Service, 28.9. https://www.everycrsreport.com/files/20050928_RL33106_e193603571bbdbc8b8fd77dd4f0794aec6dee64d.pdf

Snyder, Timothy (2024): How to stop fascism (updated). Five lessons of the Nazi takeover, 5.7. https://snyder.substack.com/p/how-to-stop-fascism

Stanley, Jason (2024): Erasing History: How Fascists Rewrite the Past to Control the Future. New York.

Tooze, Adam (2025): Chartbook 399: Columbia University, the Trump administration and „ad hoc governance“: Iterations of the „Unstate“, 25.7. https://adamtooze.substack.com/p/chartbook-399-columbia-university