„Lügenpresse“?

Joachim Hirsch

Natürlich ist das nichts anderes als ein rechtspopulistischer Kampfbegriff. Die Kritik daran sollte sich jedoch nicht damit begnügen, dies festzustellen. Vielmehr ist zu fragen, weshalb er offenbar mit einigem Erfolg politisch eingesetzt werden kann. Das hat einiges mit dem Zustand der Medienlandschaft (nicht nur) hierzulande zu tun. Dabei sind die Umfrageergebnisse interessant, die regelmäßig über das Vertrauen der Bevölkerung in die medialen Nachrichtensendungen Aufschluss geben. Dieses Vertrauen sinkt seit einigen Jahren beständig, sowohl bei den öffentlich-rechtlichen Sendern, wo inzwischen mehr als die Hälfte der Befragten dieses nicht mehr hat, aber auch in Bezug auf die Presse, die sogenannten Qualitätsmedien eingeschlossen.

Um zu verdeutlichen, wo das Problem liegt beziehe ich mich auf einige Kommentare, die in der jüngsten Zeit in der Süddeutschen Zeitung erschienen sind. Dabei steht diese Zeitung eher noch als viele andere für korrekte Information und zuverlässige Recherche. In der SZ vom 8.8.2024 beschäftigt sich Ronen Steinke unter dem Titel „Ein seltsamer Einspruch“ mit der Frage, was die Bundesregierung wohl dazu veranlasst habe, den Internationalen Strafgerichtshof aufzufordern, keinen Haftbefehl für den israelischen Premier Netanjahu zu erlassen. Dies macht übrigens auch deutlich, was unter einer „feministischen Außenpolitik“ – so die Selbstbezeichnung von Außenministerin Baerbock –zu verstehen ist, nämlich Kriegsverbrecher in Schutz zu nehmen. Steinke nennt das Vorgehen der Regierung schlicht „rätselhaft“. Und damit hat es sich.

Jedem halbwegs informierten Menschen dürfte das allerdings kein besonderes Rätsel sein. Es ist hinlänglich bekannt, dass Israel bei der Sicherung der geopolitischen und geostrategischen Interessen des „Westens“, also der USA und ihrer Verbündeten eine wichtige Bedeutung zukommt. Immerhin gewährleistet es die politische und militärische Kontrolle des Nahen Ostens, nicht zuletzt im Konflikt mit dem Iran. Dies begründet die bedingungslose Unterstützung dieses Staates, ganz unabhängig davon, wer da gerade regiert, und sei es eine von einem Kriegsverbrecher geführte und rechtsradikal durchwirkte Koalition. Daher die Intervention der deutschen Regierung im Gefolge der USA, während es in Bezug auf das israelische Vorgehen in Gaza bei Ermahnungen bleibt, obwohl es genügend Mittel gäbe, die dortige Regierung zu einer anderen Politik zu zwingen. Rätselhaft ist das alles in keiner Weise.

Dass im Zuge dieser Interessenkonstellation von der herrschenden Politik und den sie begleitenden Medien versucht wird, jede Kritik an Israel mit dem Vorwurf des Antisemitismus zu verbinden und damit die Meinungsfreiheit und nicht nur diese – siehe z.B. die fortwährende Behinderung pro-palästinensischer Demonstrationen – massiv einzuschränken zeigt sich immer wieder von Neuem.  Ein eklatantes Beispiel ist die gerade in Arbeit befindliche Bundestagsresolution mit dem Titel „Jüdisches Leben in Deutschland schützen“. Sie wird von einer Einheitsfront aus SPD, CDU/CSU, Grüne und FDP getragen und bezieht sich auf eine international hoch umstrittene Antisemitismusdefinition, die bereits die Kritik an Israel einem Verdikt aussetzt. Dies auch ein Beispiel für die immer weiter um sich greifende moralische Verbrämung harter Interessen. Immerhin hat die SZ (12.8.2024) dazu einen kritischen Kommentar von Michael Barenboim abgedruckt, der darauf hinweist, wie sehr gerade dies hier lebenden jüdischen Menschen schadet und „einer Demokratie unwürdig“ sei. Es ist mehr: ein politischer Angriff auf die Demokratie, der von ihren eigenen Institutionen ausgeht und ein markantes Beispiel für ihre Tendenz zur Selbstzerstörung darstellt. Der Beitrag Barenboims erschien übrigens im Feuilleton. Immerhin. Während im Rest der Medien zu diesem Vorgang weitgehend Schweigen herrscht.

Am 12.8.2024 erschien in der SZ ein Kommentar von Jörg Schmitt, der sich mit der Frage beschäftigte, was gegen die russische Internetpropaganda, etwa zur Beeinflussung von Wahlen unternommen werden könnte. Er stellt fest, dass dazu nicht zuletzt die Verbreitung zuverlässiger Informationen über Tatsachen und deren Hintergründe gehöre, also Medien, die analysieren statt Stimmung zu machen. Daran fehlt es offenbar in bedenklicher Weise, sei es weil es infolge von Sparmaßnahmen an kompetentem Personal für gründliche Recherchen fehlt, sei es, dass die Unterstützung und Rechtfertigung der herrschenden Politik zur redaktionellen Leitlinie geworden ist. Da braucht man sich über abnehmendes Vertrauen nicht zu wundern.

Gelogen wird in den seriösen Medien eher selten. Aber häufiger werden Fakten und Zusammenhänge unterschlagen. Die mediale Behandlung des Nahostkonflikts ist nur ein Beispiel dafür. Und auch das hat etwas mit Wahrheit zu tun.