Vor der Nationalratswahl: In Österreich droht ein weiterer Rechtsruck

Aaron Tauss

Kein „Babler-Effekt“

Bei der Sozialdemokratie ist der erhoffte „Babler-Effekt“ ausgeblieben. Andreas Babler, der die Partei im Juni 2023 als linker Hoffnungsträger übernahm, stagniert in allen Umfragen. Die Euphorie des Neuanfangs ist längst verflogen. Bei den Europawahlen im Juni unterbot die SPÖ ihr bisher schwächstes Ergebnis von 2019 knapp und landete erstmals bei einer bundsesweiten Wahl nur auf Platz 3. Bemerkenswert an diesem Wahlergebnis ist, dass die beiden Regierungsparteien zusammen rund 600.000 Stimmen verloren haben. Die SPÖ als größte Oppositionspartei konnte jedoch nichts hinzugewinnen. Sie verlor sogar noch 80.000 ihrer ehemaligen Wähler*innen. Die SPÖ-Spitze reagierte dennoch mit Zweckoptimismus. Babler sah die Partei „stabilisiert“ und sprach angesichts des knappen Rückstands auf FPÖ und ÖVP von einem „offenen Dreikampf“ bei den kommenden Nationalratswahlen. Danach sieht es derzeit jedoch nicht aus. Die SPÖ steckt auch unter Babler weiter in einer tiefen Krise.

Unmittelbar nach seiner Wahl zum SPÖ-Vorsitzenden versuchte Babler, die Partei wieder stärker nach links zu rücken. In einer viel beachteten Kampfrede auf dem SPÖ-Parteitag im November 2023 griff er sozioökonomische Themen wie Inflation, Mindestlöhne, Mieten, Vermögensverteilung, Arbeitszeitverkürzung, Erbschafts- und Vermögenssteuern oder die Lohnschere zwischen Männern und Frauen auf. Diese Themen waren in der öffentlichen Debatte jahrelang in den Hintergrund getreten. Die erwartbare Kritik an Bablers linken Positionen kam aber nicht nur von der bürgerlichen Presse, der Industriellenvereinigung (IV) und der Wirtschaftskammer. Auch innerhalb der SPÖ richteten sich seinen Vorschläge gegen die machtpolitische Routine des Parteiapparates, der seit Jahrzehnten zur Aufrechterhaltung der herrschenden Machtverhältnisse im Land beiträgt.

So war es nicht verwunderlich, dass es Babler in den folgenden Monaten nicht gelang, die verkrusteten Strukturen der SPÖ aufzubrechen und die Partei grundlegend zu verändern. Vielmehr veränderte die Partei ihn. Von Bablers klassenkämpferischen Parolen war bald wenig zu hören. Aus dem linken Parteirebellen wurde ein staatsmännischer Vorsitzender. Babler wollte gefallen und bei den bürgerlichen Medien, dem konservativen Parteiestablishment und den rechten Genoss*innen gut ankommen. Dass Babler in der SPÖ gescheitert ist, hat vor allem damit zu tun, dass er über keine wirkliche Machtbasis in der Partei verfügt. Er wird lediglich von der Wiener Landesorganisation und der Gewerkschaft unterstützt. Aber auch hier gibt es angesichts der enttäuschenden Umfragewerte zunehmend kritische Stimmen.

Die Wandlung Bablers war auch im Umgang mit den Medien deutlich erkennbar. Wann immer er auf seine sozialistischen Positionen angesprochen wurde, ging er in die Defensive und machte inhaltliche und relativierende Rückzieher. So behauptete er innerhalb weniger Stunden, Marxist und nicht Marxist zu sein. Bablers unterwürfige und anbiedernde Kniefälle haben seine Glaubwürdigkeit als linker Rebell nachhaltig beschädigt. Auch in der Außen- und Sicherheitspolitik hat Babler bisher eine klare Linie vermissen lassen. Als Verfechter der Neutralität unterstützte er den Beitritt Österreichs zum europäischen Luftverteidigungssystem Sky Shield. Dabei geht es um den Aufbau eines europäischen Luft- und Raketenabwehrsystems, das später in die Strukturen der NATO integriert werden soll. Darüber hinaus rückte Babler auch von anderen früheren Positionen ab, wie etwa seiner Kritik an der EU („aggressivstes außenpolitisches Militärbündnis“) oder seiner solidarischen Haltung gegenüber Palästina. Wenig überraschend rief die Aufweichung seiner Positionen sofort die politische Konkurrenz auf den Plan, die Bablers Inkonsequenz geschickt auszunutzen wusste.

Kultur- statt Klassenkampf

Wie schon bei den Europawahlen sind auch im aktuellen Wahlkampf Migration, Asyl und Kriminalität die meistdiskutierten Themen. Österreich hatte im vergangenen Jahr die höchste Pro-Kopf-Rate an Asylanträgen in der EU. Die meisten Flüchtlinge kamen aus Syrien und Afghanistan. Kulturkämpferische und identitätspolitische Narrative bestimmen den öffentlichen Diskurs und prägen den Alltagsverstand. Die SPÖ hat sich in der Vergangenheit merklich schwer getan, mit den emotional hoch aufgeladenen Sorgen und Ängsten vieler Wähler*innen umzugehen. Statt Probleme offensiv anzusprechen, wurde versucht, den Themen möglichst aus dem Weg zu gehen. So entstand der Eindruck, die Partei habe keine Antworten und keine einheitliche Haltung zu Migration und Asyl. Dies hängt auch damit zusammen, dass die SPÖ seit Jahren in ein liberales und ein restriktives Lager gespalten ist. Daran hat sich auch unter Babler wenig geändert. Der neue Parteichef hat es nicht vermocht, mit einer positiven Erzählung über Zuwanderung bei den Wähler*innen zu punkten. Dies ist einer der Hauptgründe, warum sich immer mehr ehemalige SPÖ-Kernwähler*innen von der der Partei abwenden und die rechtspopulistische FPÖ unterstützen.

Auch die Problematik der wachsenden sozialen Ungleichheit und der immer größer werdenden Kluft zwischen der schamlosen Bereicherung der reichsten Österreicher*innen und den stagnierenden und schrumpfenden Einkommen der lohnabhängigen Mehrheit hat Babler links liegen gelassen. Reichtum und Vermögen konzentrieren sich immer mehr in den Händen einer kleinen Minderheit. Das reichste Prozent der Österreicher*innen besitzt fast 40 Prozent des Privatvermögens. Daneben breitet sich die Armut bei den untersten 50 Prozent aus, die sich zusammen weniger als drei Prozent des Vermögens teilen. Fast ein Fünftel der österreichischen Bevölkerung ist von Armut oder Ausgrenzung bedroht. Gleichzeitig erzielten die österreichischen Banken 2023 Rekordgewinne. Schuldner*innen leiden unter den hohen Zinsen, während die Sparer*innen angesichts der hohen Inflation schleichend enteignet werden. Die Mietpreisspirale der letzten Jahre hat die Lebensbedingungen der arbeitenden Mehrheit noch zusätzlich verschlechtert und die soziale Ungleichheit verschärft. 80 Prozent aller Mietsteigerungen landen in den Taschen der reichsten zehn Prozent der Bevölkerung.

Österreich zählt im OECD-Vergleich zu den Ländern mit den geringsten vermögensbezogenen Steuern und der höchsten steuerlichen Belastung der Arbeit. 80 Prozent des öffentlichen Budgets werden durch Lohn- und Verbrauchssteuern finanziert. Babler hat vorgeschlagen, Millionenerbschaften und -vermögen mit einem Steuersatz von 0,5 bis maximal zwei Prozent gering zu besteuern. Obwohl die Mehrheit der Österreicher*innen Vermögens- und Erbschaftssteuern unterstützt, ist es ihm nicht gelungen, politisch davon zu profitieren. Der SPÖ mangelt es auch bei diesem Thema an Glaubwürdigkeit. Denn es war eine SPÖ-geführte Regierung, die Anfang der 1990er Jahre die Erbschafts- und Vermögenssteuer abgeschafft hat.

Strukturelle Krise

Die zunehmende soziale Polarisierung ist vor allem Ausdruck einer strukturellen Krise. Das nach dem Zweiten Weltkrieg etablierte exportorientierte Akkumulationsmodell hat in den letzten Jahren spürbar an Kraft verloren. Indikatoren dafür sind sinkende Lohnquoten, steigende Arbeitslosigkeit bzw. prekäre und schlecht bezahlte Arbeitsverhältnisse und der Abbau sozialstaatlicher Strukturen. Seit dem EU-Beitritt 1995 hat Österreich den wirtschaftlichen Integrationsprozess für eine Exportoffensive genutzt. Diese wurde durch einen moderaten Anstieg der Lohnstückkosten unterstützt. In den letzten Jahren ist die stark exportabhängige und in der Wertschöpfungskette weit oben angesiedelte österreichische Industrie auf den Weltmärkten jedoch zunehmend unter Druck geraten. Durch einen rasch wachsenden Niedriglohnsektor sollen die gesamtgesellschaftlichen Reproduktionskosten der Arbeitskraft weiter gesenkt werden. Auf diese Weise sollen die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen erhöht und die Profite gesteigert werden.

Dass die SPÖ in Zeiten der sozio-ökonomischen Krise an Wählervertrauen verloren hat, zeigt sich vor allem daran, dass die Mehrheit der Lohnabhängigen mittlerweile FPÖ wählt. Babler hat es wie seine Vorgänger nicht geschafft, daran etwas zu ändern. Bei seinen Auftritten schwingt oft eine Kreisky-Nostalgie mit, die an bessere Zeiten erinnern soll. Unter Bundeskanzler Bruno Kreisky regierte die SPÖ zwischen 1970 und 1983 allein. Diese „goldenen Zeiten“ sind längst vorbei. In den letzten vierzig Jahren hat die SPÖ über 60 Prozent ihres Stimmenanteils und über 80 Prozent ihrer Mitglieder verloren. Ende der 1980er Jahre gab die SPÖ unter der Führung von Franz Vranitzky jeden Anspruch auf, eine emanzipatorische Kraft im Interesse der arbeitenden Mehrheit zu sein. Sie setzte fortan auf Entideologisierung, trieb den neoliberalen Umbau von Staat und Zivilgesellschaft aktiv voran und konzentrierte sich auf Posten- und Machterhalt. Die Neoliberalisierung der Sozialdemokratie hat die Lebensbedingungen vieler Lohnabhängiger zum Schlechteren verändert. Gleichzeitig hat sie die Partei orientierungslos und inhaltsleer zurückgelassen. In der Folge hat es die SPÖ nicht nur versäumt, gesellschaftliche Mehrheiten hinter sich zu versammeln, sondern auch dazu beigetragen, das gesamte Parteienspektrum nach rechts zu verschieben und den Rechtspopulisten der FPÖ den Weg zu ebnen.

Aufstieg des Rechtspopulismus

Der Niedergang der SPÖ ging ab den 1980er Jahren mit dem Erstarken der FPÖ einher. Neben ÖVP und SPÖ war die Vorgängerpartei der FPÖ, der 1949 gegründete Verband der Unabhängigen (VdU), ein fixer Bestandteil der österreichischen Nachkriegsordnung. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges fungierte der VdU als parteipolitisches Auffangbecken für Altnazis und Deutschnationale. Ab Mitte der 1980er Jahre gelang es Jörg Haider, die FPÖ als „rechtspopulistische Partei“ mit neoliberaler und einwanderungskritischer Ausrichtung zu etablieren. Unter seiner Führung wurde die FPÖ bei den Nationalratswahlen 1999 mit knapp 27 Prozent zweitstärkste Partei und in der Folge Teil einer rechts-konservativen Koalition unter Führung der ÖVP. Ihren nächsten Höhenflug erlebte die FPÖ unter Hans-Christian Strache, der die Partei 2006 übernahm. Nach den Nationalratswahlen 2017, aus denen die ÖVP als stärkste Partei hervorging, kam es unter Sebastian Kurz zu einer Neuauflage der Koalition mit der FPÖ. Unter Kurz war die ÖVP deutlich nach rechts gerückt und hatte den migrationskritischen Kurs der Freiheitlichen übernommen. Ehemalige FPÖ-Forderungen im Asyl- und Migrationsbereich fanden so zunehmend Eingang in den politischen Mainstream.

Die zweite rechts-konservative Regierung Österreichs war jedoch nicht von langer Dauer. Im Mai 2019 führte die „Ibiza-Affäre“ zum Rücktritt Straches und zum Bruch der Regierungskoalition. Es folgten die bis heute bestehende Koalition aus ÖVP und Grünen und schließlich der Rücktritt von Kurz. Fünf Jahre nach ihrer größten Korruptionsaffäre ist die FPÖ stärker denn je. Unter der Führung von Herbert Kickl ist es der FPÖ wieder gelungen, sich als Sammelbecken der Unzufriedenen zu etablieren. Kickl präsentiert die FPÖ trotz ihrer neoliberalen Wirtschafts- und Sozialpolitik geschickt als Anti-Establishment- und Anti-System-Partei und inszeniert sich populistisch als „Volkskanzler“. Er verspricht einen Asylstopp, schärfere Einwanderungsgesetze, weniger Klimaschutz, Bürokratieabbau, niedrigere Steuern für Reiche und Konzerne und Einsparungen bei Sozialleistungen. Bei den Europawahlen im Juni wurde die FPÖ erstmals in der Geschichte der Zweiten Republik bei einer Wahl auf Bundesebene stärkste Partei. Der über Jahrzehnte konstruierte rechtskonservative Konsens, der sich im Alltagsbewusstsein vieler Österreicher*innen verfestigt hat, hat bei dieser Entwicklung zweifelsohne eine entscheidende Rolle gespielt.

Ausblick

Sollte Kickl seine Umfragewerte halten können, wird seine Partei stärkste Kraft. Ob Kickl nach der Wahl Bundeskanzler wird, ist allerdings mehr als fraglich. Alle Parteispitzen haben eine Beteiligung an einer Regierungskoalition unter Kickl von vornherein abgelehnt. Sollte die ÖVP Zweiter werden, stehen die Chancen für Kanzler Nehhammer nicht schlecht. Er könnte dann entweder mit der SPÖ, den Grünen oder den neoliberalen NEOS koalieren oder mit Kickls FPÖ, aber unter seiner Kanzlerschaft. Eine progressive Mehrheit für einen „Reformkanzler“ Babler erscheint hingegen unwahrscheinlich. Die Kernwähler*innen der SPÖ lassen sich immer schwieriger mobilisieren. Für viele politisch Unzufriedene gilt die SPÖ trotz Babler weiterhin als Teil des politischen Establishments, eng verflochten mit den Interessen der Herrschenden und den Apparaten des bürgerlichen Staates.

Bablers Strategie, mit konstruktiven Vorschlägen und besseren Argumenten bei Wahlen gesellschaftliche Mehrheiten zu gewinnen, scheint immer mehr ins Leere zu laufen. Seine Ankündigung, Österreich wieder „ein bisschen gerechter“ zu machen, indem die Reichen „auch ein bisschen mehr Steuern zahlen“, reicht nicht aus, um die Stimmung im Land noch zu seinen Gunsten zu drehen. Auch Bablers erklärtes Ziel, einen Kanzler Kickl verhindern zu wollen, wird zu wenig sein. Hinzu kommt, dass die jahrelangen internen Führungskämpfe nachhaltigen Schaden hinterlassen haben. Die Sozialdemokratie wirkt verstaubt, kraftlos und verunsichert, Babler zu brav und angepasst. Sollte die SPÖ wieder nur auf Platz 3 landen, könnte die Ära Babler noch in der Wahlnacht ein jähes Ende finden. Es wäre das nächste Kapitel in der sozialdemokratischen Geschichte des politischen Niedergangs.

Dass es aus linker Sicht auch anders geht, hat die Kommunistische Partei Österreichs (KPÖ) zuletzt bei den Wahlen in der Steiermark, in Salzburg und in Innsbruck bewiesen. In Österreichs zweitgrößter Stadt Graz zeigt die KPÖ seit Jahrzehnten, dass linke Positionen durchaus auf breite Zustimmung stoßen und strukturelle emanzipatorische Veränderungen auf lokaler Ebene politisch erfolgreich vorangetrieben werden können. In Umfragen liegt die KPÖ derzeit bei drei Prozent und damit nur knapp unter der Vier-Prozent-Hürde. Die Chancen für einen Wiedereinzug nach 65 Jahren stehen besser denn je. Mit der KPÖ könnte damit nach Jahrzehnten wieder eine linke Opposition im Parlament vertreten sein, die den Anspruch erhebt, die herrschenden Kräfteverhältnisse im Land grundlegend verändern zu wollen.