Macrons Endspiel

Rudolph Walther

Kaum gewählt, verdiente sich Staatspräsident Macron mit seinen Ankündigungen und seinem hektischen Aktivismus den Beinamen „Jupiter“. Der machte in römischer Zeit das Kapitol und seinen Tempel  zum sakralen und politischen Mittelpunkt des Imperiums. Nach den jüngsten Wahlen in Frankreich, die mit Macron genau einen Verlierer kennen, wurde aus dem altrömischen „Lichtbringer“ ein Phantom, das unter den neuen Verhältnissen gezwungen war, vom Aktivismus auf das Nichtregieren umzuschalten, um das Land zwei Monate lang regierungslos herumdümpeln zu lassen. Das Abwarten endete letzten Freitag, als er die Vorsitzenden der Partnerparteien im Nouvau Front Populaire (NFP) zum Gespräch in seinen Amtstempel einlud, um Vorschläge für einen neuen Ministerpräsidenten anzuhören, denn dem NFP fehlten nach der Wahl rund 96 Stimmen zum Sieg, d. h. zu einer absoluten Mehrheit in der Nationalversammlung.

Danach bat Macron seine potentiellen Premierminister zum Examen und stellte ihnen Fragen zu ihren Plänen und Präferenzen für Minister. Auch Kandidaten, die sich selbst ins Spiel brachten wie die Sozialistin und Exgattin von Ex-Präsident Hollande wurden zur Prüfung ihrer Absichten und Bonität eingeladen. Macron dehnte damit seine präsidialen Rechte nach der Verfassung erheblich, denn diese erlaubt ihm nur, den Premier auszuwählen, der sich dann im Parlament eine Mehrheit sichern muss. Die Auswahl der Minister ist allein dem Premier überlassen, aber Macron wollte dabei mitreden und so einen linken Außen-, Innen- oder Justizminister für seine präsidiale Restlaufzeit verhindern. Auch Marine Le Pen, als Chefin der stärksten Oppositionspartei, wollte schon im Vorfeld die für sie schlimmste Wahl eines Premiers verhindern und schoss einen konservativen Kandidaten aus dem Rennen, indem sie dessen Nichtwahl öffentlich ankündigte, und so ihre Rolle als Ersatzkönigsmacherin neben Macron verdeutlichte.

Nachdem alle anderen Kandidaten in Macrons privater Prüfung durchgefallen waren und auch die konsultierten Expräsidenten Sarkozy und Hollande keinen passenden Namen oder wenigstens einen Ausweg fanden, ernannte Macron Anfang September den konservativen Politiker Michel Barnier zum Premier, der schon unter Mitterrand und Chirac Minister war und seit langer Zeit dem Parlament angehört, bis er als EU-Kommissar die Austrittsverhandlungen mit Großbritannien erfolgreich koordinierte. Ob er allerdings als Premierminister eine Mehrheit im Parlament findet und Macron damit vor einem kompletten Scherbenhaufen seiner autoritären Ambitionen bewahrt, ist noch völlig unklar und hängt vom Verhalten der rechtspopulistischen Abgeordneten ab. Vorerst ist Barnier nur eine Geisel der Rechten. Auch das gehört zur Bilanz des Scheiterns der ehrgeizigen Politik Macrons. Wie Hunderttausenden von linken Demonstranten, die er Tage nach der Wahl Barniers auf die Straßen trieb. Die Präsidenten der beiden Kammern des Parlaments konsultierte Macron vor seiner eigenmächtigen Auflösung der ersten Kammer natürlich nicht. Ähnlich selbstherrlich, jupitermässig verhielt sich auch Jean-Luc Mélenchon, Chef der stärksten Partei im lockeren „Bündnis NFP –„ La France insoumise“(LFI), als er den verbündeten Parteien nur en passant mitteilte, dass er gegen den anderen Jupiter ein mit hohen Hürden versehenes Amtsenthebungsverfahren nach Art. 68 der Verfassung für die Republik anstrebe, die im Kern eine Präsidialmonarchie nach dem Schöpfer Charles de Gaulle ist. Die Partner von LFI schluckten diese Kröte und erschienen am Freitag zum Gespräch mit Macron.

Der hatte schon im Vorfeld seine Bedenken gegen Pariser Beamtin -Lucie Castets, die Wunschkandidatin des NFP, angekündigt. Macron wollte sich halt mehr Zeit zur Auswahl genehmigen.

Diese verbrachte er vorerst damit, Mails zu verschicken an seine Bekannten in der Wirtschafts-und Bankenwelt, wo er sich wie zu Hause fühlt. Er sondierte nach Namen vom Format eines französischen Pendants zu Draghi, dem man das Amt des neuen Regierungschefs unter Macron zutrauen oder besser: zumuten könnte, was dabei herausgeschaut hat, blieb intra muros – also Geheimwissen. In der Öffentlichkeit, unter Journalisten und Insidern wurde mittlerweile ein Name kolportiert: Karim Bouamrane, Manager wie Macron in seinem Vorleben, Sozialist mit, wie man heute sagt, maghrebinisch-marokkanischen Wurzeln und seit vier Jahren Bürgermeister in Saint-Quen, einem der tristen Vororte von Paris. Für Macron vielleicht ganz wichtig: er gilt nicht als Freund von Mélenchon, denn der ist für Macron ein ganz rotes Tuch.

Aber Macron wollte vielleicht nur noch ein wenig Zeit gewinnen, um als Verlierer doch noch ein wenig das Heft in der Hand behalten zu können, um sich als Schöpfer zu fühlen, bevor er zur Notlösung griffe und einen x-beliebigen, aber parteifernen Technokraten, dem jederzeit die Abwahl blühte, auf den des siechen Vehikels „V. Republik“ hieven würde, auf die allerdings schon die VI. oder Marine Le Pen warten. Apropos Siechtum: die angeblich demokratische Verfassung lässt seit 1958 ein fast beliebig handhabbares, temporäres Regieren am Parlament vorbei zu – nach Art.49,3, den Macron mehrmals in seiner Amtszeit bemühen musste, weil er sich bös verrechnet hatte mit der Standfestigkeit der Opposition oder mit der Widerstandskraft von Streikenden – ein patenter Nothelfer für jupitermäßiges Regieren oder eben die Normalität mit einer Verfassung, die die Herrschaft des „permanenten Ausnahmezustandes“ nur notdürftig kaschiert, wie schon François Mitterrand bemerkte.