Woran die Welt zugrunde geht

Joachim Hirsch

Woran liegt es eigentlich, dass immer mehr Verrückte, Kriminelle, Größenwahnsinnige, Faschisten und Ähnliche sich daran machen können, unsere Geschicke zu bestimmen? Trump und sein Mentor Musk stehen dabei nur in der ersten Reihe der öffentlichen Aufmerksamkeit. Auch anderswo sind ähnliche Typen an der Macht oder haben Chancen, sie zu ergreifen. In Italien regiert eine sogenannte „Postfaschistin“, in Österreich soll ein Rechtsradikaler Regierungschef werden, ein ebensolcher bestimmt die niederländische Politik und hierzulande wurde gerade Alice Weidel von der AfD zur Kanzlerkandidatin ausgerufen, mit der Chance, bei den nächsten Wahlen der zweitstärksten Partei vorzustehen. Und dazu noch die diversen Diktatoren, beileibe nicht nur Putin. In der Tat steht weltweit die Demokratie in Gefahr. Interessanterweise wird dies auch von denen beklagt, die mit ihrer neoliberalen Politik einige ihrer Grundlagen ruiniert haben.

Nun sind solche Erscheinungen in der Geschichte nicht neu, aber sie häufen sich weltweit. Was würde wohl jemand, der oder die nach den Ursachen für dieses Desasters sucht, mit einem gewissen historischen Abstand wohl finden? Man könnte dann etwas entdecken, das in den Diagnosen zur Demokratiekrise bisher kaum eine Rolle gespielt hat: das Internet und damit im Zusammenhang die genannten sozialen Netzwerke, die zu einem wichtigen Geschäftsfeld global operierender Konzerne geworden sind. Sie stellen allgemein zugängliche Informations- und Diskussionsplattformen zur Verfügung, mit denen sie umfangreiche Daten über die Nutzer*innen sammeln und verwerten. Damit hat sich auf dem Feld der politischen Öffentlichkeit ein gewaltiger Umbruch vollzogen.

In den inzwischen wohl eher der Vergangenheit angehörenden liberalen Demokratien war die politische Öffentlichkeit ganz wesentlich dadurch bestimmt, dass sie vor allem durch die Redaktionen der Print- und Rundfunkmedien reguliert wurde. Sie entschieden darüber, wie informiert und wie was zur Diskussion gestellt wurde. Soweit die Medienwelt einigermaßen pluralistisch organisiert war, sorgte dies für eine gewisse Offenheit und Vielfalt. Dies ist nun vorbei. Zu einem wesentlichen Teil wird die Öffentlichkeit dadurch bestimmt, was sich auf den Internetplattformen abspielt. Die Zahl ihrer Nutzer*innen übersteigt die der traditionellen Medien um ein Vielfaches. Hier kann sich jeder und jede an eine breite Öffentlichkeit wenden, mit Informationen und Desinformationen, mit Meinungen bis hin zu Denunziation und Hetze. Genau dies dient dem Geschäftsmodell der Tech-Konzerne, weil jede Form von Aufregern datenliefernde Nutzer*innen erzeugt. Es ist deshalb auch irreführend, etwa Mark Zuckerberg eines „Kniefalls“ vor Trump zu bezichtigen. Er folgt mit seiner Anbiederung, wie auch einige andere nur seinen Geschäftsinteressen, weil er hofft, dass dieser auf eine Regulierung der Plattformen verzichtet und dies auch anderswo erzwingt. Prompt darauf hat er dann auch angekündigt, Hetz- und Diffamierungsbeiträge nicht mehr entfernen zu wollen. Dieser Mechanismus erzeugt deshalb noch weitere Wirkungen, weil Politiker*innen wie auch traditionelle Medien auf das reagieren, was in den „sozialen Netzwerken“ publiziert wird.  

Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass die politische Öffentlichkeit immer mehr von populistischen Narrativen, von Falschinformationen, Verschwörungstheorien, Hass, Hetze und Gewaltandrohungen geprägt wird. Sehr viele halten sich in Internetblasen auf, die ihre abseitigen Wahrnehmungen und Weltbilder prägen. Es ist kein Zufall, dass die AfD gerade bei jüngeren Wähler*innen großen Zulauf hat. Wenn früher einmal gehofft wurde, dass das Internet eine demokratisierende Wirkung habe, weil es eine breitere, zugänglichere und informiertere Öffentlichkeit ermögliche, so ist heute zu registrieren, dass das Gegenteil der Fall ist. Wenn etwa die Verrohung der Sprache in und zwischen Parteien oder in Parlamenten beklagt wird, sollte auch dieser Zusammenhang beachtet werden. Zu einem demokratischen Gemeinwesen gehört, dass über Fakten geredet, dass gegnerische Argumente ernst genommen und Kompromisse gesucht werden. Darum ist es schlecht bestellt.

Der scheidende US-Präsident Biden hat in seiner Abschiedsrede von einer neuen Oligarchie gewarnt, die zu einer ernsten Gefahr für die Demokratie würden. Gemeint sind damit Zuckerberg, Musk & Co., also einige superreiche Konzernlenker, die die Geschicke der Welt bestimmen, ohne einer demokratischen Kontrolle zu unterliegen. Vielmehr untergraben sie mit der Art, wie sie ihre Geschäfte betreiben, die Grundlagen der liberal-kapitalistischen Demokratie. Hier zeigt sich der Widerspruch, der dieser grundsätzlich innewohnt: dass die Akkumulation von Reichtum und Macht in privaten Händen mit demokratischer Selbstbestimmung zunehmend unvereinbar wird. Die Macht der Oligarchen wird auch direkt ausgespielt. Elon Musk benutzte sein Portal X, um für Tump Wahlkampf zu machen, und er tut dasselbe, um in Deutschland die AfD zu unterstützen – im Übrigen mit Hilfe der „Welt“, die seine Propagandaergüsse auch noch abgedruckt hat. Jeff Bezos ist da noch etwas zurückhaltender. Er hat der ihm gehörenden „Washington Post“ nur untersagt, eine Wahlempfehlung für Kamela Harris, Trumps Gegnerin bei den letzten US-Wahlen abzugeben. Und er hat die Veröffentlichung einer Karikatur verboten, die zeigt, wie die Chefs der Tech-Konzerne Trump huldigen.

Ein wichtiger Ausweg aus der Krise der liberalen Demokratie müsste darin bestehen, die Social-Media-Plattformen, von X über Facebook, Instagram, Whatsapp bis hin zu Tiktok der privaten Kontrolle zu entziehen und damit die Möglichkeit für Regulierungsmaßnahmen zu schaffen, die ihr halbwegs demokratieverträgliches Funktionieren garantieren. Für die EU stehen die Chancen dafür schlecht, weil die neuen Oligarchen im Wesentlichen in den USA sitzen, oder in China. Oder, wie auch gefordert wird, auf EU-Ebene eine öffentlich-rechtliche Plattform wie Twitter/X einzurichten. Zwar hat die EU einen recht weit gehenden Regulierungsbeschluss für Internetplattformen verabschiedet, aber mit der Umsetzung hapert es, eben auch deshalb, weil die privaten  sehr weitgehend die politische Öffentlichkeit kontrollieren und damit auch die demokratischen Institutionen und die Politiker*innen von sich abhängig machen.