Margit Mayer
Vor der Amtseinführung von Donald Trump kursierten vielerlei, höchst unterschiedliche Szenarien darüber, wie sich die Politik, Wirtschaft und Gesellschaft der USA unter seiner Präsidentschaft entwickeln könnten – von Horrorszenarien bis hin zu zivilgesellschaftlichen Wundern. Auch mit sozialwissenschaftlichen Methoden lassen sich nur bedingt Vorhersagen darüber machen, wie sich das amerikanische Parteiensystem, die Politik der Trump-Vance-Regierung oder die Stellung der USA in der gegenwärtigen spannungsgeladenen und dynamischen geopolitischen Situation entwickeln werden. In diesem Aufsatz beschreibe ich zentrale Voraussetzungen, ohne die eine solche Analyse nicht auskommen wird, nämlich die materiellen Interessen der involvierten Akteure in ihrem historischen Kontext. Es geht dabei um die Verschiebung der Interessen alter und neuer Kapitalfraktionen und die Veränderungen des Parteiensystems, in dem beide Parteien inzwischen die Widersprüche innerhalb ihrer jeweiligen Klientele nur um den Preis der Selbstaufgabe ihrer ehemaligen Identität bändigen konnten. Aus dem sich inzwischen abzeichnenden »Gruppenbild mit Musk«, d.h. der Kapitalgruppen, die Trump zur Macht verholfen haben, und deren Widersprüchen zu den Interessen der »Make America Great Again«-Basis (MAGA), die Trump die notwendigen Stimmen geliefert hat, die schon bald nach dem Wahlsieg zu Tage traten, lassen sich jedenfalls mehr Hinweise auf die künftige Politik der Trump-Regierung ablesen als aus seinen Versprechungen im Wahlkampf.
I. Zwei Parteien, die sich angleichen
Für die meiste Zeit ihrer Geschichte vertrat die Republikanische Partei die Wohlhabenden, während die Demokraten als Partei der Arbeiter- und Mittelklassen galten. Das begann sich unter Bill Clintons Präsidentschaft zu ändern: Dessen Freihandels- und Deregulierungspolitik initiierte die Deindustrialisierung ganzer Regionen und riskierte damit die »Entfremdung« derjenigen Arbeiterschaft, die in häufig gewerkschaftlich organisierten, angemessen entlohnten Jobs ein relativ gesichertes Einkommen hatte. Seine Unterzeichnung des Freihandelsabkommens NAFTA (1993), seine welfare-Reform (workfare statt welfare, also Streichung von Sozialleistungen bei gleichzeitiger Subventionierung des Niedriglohnsektors), und seine insgesamt auf die Wall Street ausgerichtete Politik haben die durch Deindustrialisierung und Globalisierung verursachte Abwertung der heimischen Arbeiterklassen immer weiter vorangetrieben.
Wahlstrategisch ignorierten die Demokraten diese wachsenden Zahlen der Globalisierungsverlierer, also besonders die Arbeiterklassen in städtischen wie ländlichen Regionen des rust belt, und wandten sich stattdessen den urbanen, gebildeten und besserverdienenden Schichten zu. Während noch 2008 die weiße, abgehängte bzw. sich abstiegsbedroht sehende Arbeiterschaft mehrheitlich für Obama stimmte, setzte 2012 eine doppelte Wanderungsbewegung ein: Die abgehängte Arbeiterklasse wandte sich stärker nach rechts, die urbanen und suburbanen, gebildeten Schichten tendierten mehr zu den Demokraten.
Bei den Zwischenwahlen von 2014 manifestierte sich eine für beide Parteien bedrohliche Krise: Die Wahlbeteiligung stürzte im Vergleich zu 2012 um 24 Prozent ab. Eine große Mehrheit der wahlberechtigten Bevölkerung konnte sich offenbar nicht mehr dazu entschließen, Parteien zu wählen, die nur noch vorgeben, ihre Interessen zu vertreten. Obama hatte die Bankenkrise von 2008 auf eine Weise »gelöst«, dass von der Erholung lediglich die reichsten Amerikaner, die Wall Street, und die Finanzspekulanten produzierten – während Löhne weiterhin stagnierten und Arbeitslosigkeitsraten hartnäckig hoch blieben. Die zunehmende Konzentration des Reichtums an der Spitze, gekoppelt mit einer Austeritätspolitik für die 90 Prozent, wurden insbesondere der Partei, die traditionell die Arbeiterklasse vertrat und sich deren Sorgen annehmen sollte, angelastet. Zwar schnitten die Republikaner in dieser Wahl etwas besser ab, aber die massive Wahlabstinenz signalisierte eine parteiübergreifende Unzufriedenheit und damit ein Protestpotenzial, das bei der nächsten Wahl auch deutlich zutage trat.
Bei den folgenden Präsidentschaftswahlen 2016 siegte der Außenseiter Trump, Protestkandidat der Tea-Party-Bewegung, der die Washingtoner Elite, die Banken und den »deep state« heftigst attackiert hatte. Bei den Demokraten zeigte sich die Kraft der Protestwähler bei den Primaries, insbesondere bei den Open Primaries, wo Bernie Sanders demonstrierte, dass die vernachlässigten Arbeiterklassen sehr wohl für einen Demokraten stimmen konnten. Da jedoch die Führung sowie die Wahlstrategen der Demokratischen Partei sich Stimmenzuwächse nur von den »gehobenen Schichten« versprachen, setzten sie alles daran, Sanders aus dem Rennen zu werfen, und die Demokratische Partei als Partei der herrschenden Eliten zu etablieren.
Auch 2020, als Biden zur Wahl stand, änderte sich das Profil der Wähler, die für die Demokraten stimmten, nur geringfügig. Weiße »blue collars« bewegten sich zwar wieder etwas auf die Demokraten zu, aber den meisten Zulauf erhielt Biden von Weißen mit College-Abschluss – wobei diese Gewinne durch Verluste bei hispanischen und bei Schwarzen Wählern zunichte gemacht wurden. Das deklarierte Ziel von »Bidenomics« war, die Interessen der arbeitenden Amerikaner zu priorisieren und gleichzeitig die Wunschliste der progressiven Wähler zu bedienen, um so dem Trumpismus den Boden zu entziehen. Aber während Bidens ersten zwei Amtsjahren sanken die Reallöhne und die Zinsraten schnellten in die Höhe – ein starker Kontrast zu den steigenden Löhnen und sinkenden Hypotheken zu Trumps Halbzeit, woran sich die mit steigenden Lebenshaltungskosten konfrontierten Schichten sehr gut erinnern.
Dies trug sicherlich zur niedrigen Wahlbeteiligung sowie zur schwachen Mobilisierung von Stimmen für Kamala Harris 2024 bei. 89 Millionen Menschen, also 35 Prozent der Wahlberechtigten, sahen offenbar ihre Interessen von keiner der beiden Parteien angesprochen. Harris hat über 7 Millionen Stimmen weniger als Biden vier Jahre zuvor eingefahren. Und die, die sie mobilisieren konnte, stammten noch weniger aus dem vormaligen demokratisch wählenden Reservoir.
Das heißt, die circa 160 Millionen Wähler, die für eine der beiden herrschenden Parteien votierten, haben – wie bereits seit 2008 – ein Ergebnis produziert, bei dem sich Demokraten und Republikaner in fast gleich großen Blöcken gegenüberstehen. Jedes Mal war der Ausgang äußerst knapp. Beide Parteien sind also seither sehr nah an der Macht; keiner von beiden ist es bislang gelungen, eine dauerhafte (Regierungs-)Mehrheit zu halten, obwohl eine solche in der amerikanischen Parteiengeschichte eher die Norm war.
Dabei sind sich die beiden Parteien sowohl was ihre Wählerstruktur als auch ihre Politik selbst angeht, in vielen Dimensionen sehr ähnlich geworden – selbst wenn sie sich noch so sehr als Gegensätze präsentieren. So hat die Biden-Harris-Regierung eine Reihe politischer Programme aus Trumps erster Amtszeit übernommen, von seiner protektionistischen Industriepolitik und den Einfuhrzöllen bis hin zur restriktiven Immigrationspolitik und Massenabschiebungen. An Trumps Grenzzaun wurde unter Biden ebenfalls weitergebaut. Und vor allem sind sie sich einig in der Unterstützung der Finanz- und Tech-Industrien, also von Wall Street und Silicon Valley.
Die Biden-Regierung hat allerdings auch einige Reformen versucht, die in eine andere Richtung gingen und zum Teil in der Linken gefeiert wurden, wie etwa die Gesetzespakete »Inflation Reduction Act« und »CHIPS and Science Act«. Aufgrund deren Ausgestaltung kamen diese jedoch weit mehr den Unternehmen zugute als den arbeitenden Klassen. Bisweilen stellte Biden sich auf die Seite von Gewerkschaften und sogar Streikenden. Doch in so gravierenden Fällen wie dem wegen horrend verschlechterter Arbeitsbedingungen angekündigten Streik der Eisenbahner 2022 ließ er diese durch ein Streikverbot disziplinieren. Die Ernennung von Lina Khan zur Vorsitzenden der Federal Trade Commission, wo sie gegen die Monopolmacht und deren Missbrauch von Firmen wie Facebook und Amazon vorgehen konnte, wurde in der progressiven Community gefeiert; Kamala Harris jedoch ließ – unter dem Druck von generösen Spendern der Tech-Industrie – nicht erkennen, dass sie an Khan festhalten würde. Vor allem haben die Demokraten in den vier Jahren, in denen sie an der Regierungsmacht waren, keinerlei wirksame Schritte gegen die wachsende Klassenpolarisierung der amerikanischen Gesellschaft unternommen.
Das Oszillieren der beiden Parteien um das 50:50-Patt herum, wo lediglich ein paar hunderttausend Stimmen in den umkämpften swing states den Ausschlag geben darüber, wer im Weißen Haus regieren wird, sowie die zunehmende Ähnlichkeit der beiden Parteien was ihre Wählerstruktur und auch ihre Programmatik angeht, verweisen darauf, dass die beiden Parteien nicht mehr Vehikel für klar unterscheidbare Interessen sind, sondern eher zwei Varianten autokratischer Herrschaft, die beide im Dienst des Kapitals agieren. Die einen versuchen über das rhetorische Bedienen der Sorgen der vom ökonomischen Wandel und der herrschenden Kultur vernachlässigten Gruppen diese einzubinden. Die meisten Kapitalfraktionen schienen bislang stärker den Demokraten zugeneigt, doch sie erhielten letztlich von beiden, was sie mit ihren Investitionen (Spenden und »dark money«) kauften. Sichtbare Differenzen markierten sie eher in kulturellen, aber für ihre Interessen belanglosen Fragen.
Beide Parteien stützen sich auf fragile Koalitionen, deren jeweilige Bestandteile real kaum überlappende, sondern eher antagonistische Interessen haben. Ihre abwechselnde (Vor-)Herrschaft in Washington verbessert nichts an den realen Problemen, die die Kandidaten während der Wahlkampfphasen durchaus ansprechen. Beide haben den 90 Prozent, die durch die massive Umverteilung von Vermögen nach oben verarmt wurden, nichts anzubieten.
II. Die Trump-Koalition und ihre Financiers
So wie die Republikanische Partei neuerdings eine Koalition aus Arbeiterschaft und Superreichen darstellt, besteht auch die Trump tragende Koalition aus Kapitalgruppen und Großspendern einerseits, und einer aktivierten Basis andererseits, die sich (primär aber nicht nur) aus der weißen Arbeiterklasse rekrutiert, sowie aus KMU-Betreibern inklusive Farmern und Angestellten im Privatsektor (white-collar workers). Zum Teil stammen aus diesen Schichten auch die Anhänger rechter Bewegungen wie die Proud Boys.
Die MAGA-Basis
Mit seiner nationalistisch orientierten Wirtschaftspolitik spricht Trump, wie bereits 2016, jene Arbeiter- und Mittelklasse-Schichten an, die unter dem Offshoring der Industriejobs litten, und die Migranten als Konkurrenz am Arbeitsmarkt wahrnehmen. Dazu kommen auch diverse Gruppen in höheren Schichten, die sich durch den gesellschaftlichen wie wirtschaftlichen Wandel in ihrem Status bedroht sehen. Während er ihnen jedoch 2016 einen durch public-private-Investitionen in die Infrastruktur getriebenen Boom versprach, hat er im Wahlkampf 2024 stärker auf kulturelle und religiöse Abwehrreflexe gesetzt, und so die sozioökonomischen Ursachen ihrer Sorgen eher kulturalisiert. Die zunehmende Sichtbarkeit des national-konservativen Flügels in der Republikanischen Partei, vor allem seit J.D. Vance als Vizepräsident designiert wurde, gab dieser Basis Rückendeckung, auch wenn dessen national-chauvinistische Versprechen an die Arbeiterklasse sicherlich kaum in konkrete Maßnahmen übersetzt werden, außer in individualisierende, die Wahlfreiheit des einzelnen Arbeiters unterstreichende Programme. Die Motivation der Trump-Anhänger blieb ungebrochen, sie betrieben vor allem in den »roten« Staaten auf lokaler Ebene exzellentes Organizing, besonders im zivilgesellschaftlichen Alltag.
Die Kapitalgruppen
Die amerikanischen Wirtschaftseliten sind gespalten, und zwar nicht nur zwischen unterschiedlichen sektoralen Interessen, die angesichts struktureller Stagnation um staatliche Unterstützung konkurrieren, sondern auch in Bezug auf Freihandel und Protektionismus angesichts der einerseits engen, andererseits agonistischen Beziehung zwischen den USA und China. Während seiner ersten Amtszeit verschärfte Trump diese Interessenskonflikte innerhalb der dominanten Klasse noch, indem er in regelmäßigen Attacken auf Social Media Konzerne wie General Motors, Google, Pfizer, Amazon oder Comcast beschimpfte.
Zu Beginn des Wahlkampfs verteilten sich die kapitalseitigen Spendengelder folglich nach dem Muster der beiden vorherigen Wahlen: Wall Street, Silicon Valley und weitere zentrale Kapitalgruppen konzentrierten ihre Spenden stärker auf die Kandidaten der Demokraten als die der Republikaner. Das ermöglichte Harris (wie vorher Hilary Clinton und Joe Biden), Trump im Wettlauf um das große Geld weit hinter sich zu lassen. Obwohl Trump den Großkonzernen und den Reichen massivere Steuerkürzungen versprach, schien ihr Einstehen für die existierende Ordnung – im Gegensatz zu Trump, der eine »gefährliche Herausforderung« für diese Ordnung darstelle – zu überzeugen. Aber im September/Oktober begannen einige der größten Namen der Finanzwelt sich von ihrer anfänglichen Unterstützung für Kamala Harris zu distanzieren. Medien berichteten, dass die Top-CEOs bei Goldman Sachs und J.P. Morgan, David Solomon and Jamie Dimon, die sich nach Bidens Rückzug hinter Harris gestellt hatten, zwar nach wie vor Trumps anti-globalistische und populistische Haltung fürchten, aber dass sie angesichts des sich in den Umfragen abzeichnenden Patts kalte Füße bekämen. Denn was ihre Firmen überhaupt nicht gebrauchen können, wäre ein ihnen feindlich gesonnener Präsident Trump.
Verschiebungen im kapitalseitigen Sponsoring
Um zu verstehen, wie dieser Umschwung zustande kam, hilft ein Blick auf die Entwicklung der Parteispenden durch Kapitalgruppen bzw. der Beteiligung an den jeweiligen Partei-Koalitionen differenziert nach Wirtschaftssektoren seit 2016. Noch vor vier Jahren bestanden beide Partei-Koalitionen aus Vertretern des Finanz-, Versicherungs- und Immobilienkapitals, doch Silicon Valley stand fast exklusiv auf Seiten der Demokraten und die extraktiven Industrien weitaus stärker auf Seiten der Republikaner. Aufgrund seiner Unberechenbarkeit hatte Trump Probleme, mehr finanzstarke Sponsoren zu finden. Erst als Rebeccah Mercer, Direktorin der Mercer Family Foundation, intervenierte, konnte er sein Wahlkampfbudget aufzufüllen. Sie knüpfte ihre finanzielle Unterstützung an die Bedingung, dass Steve Bannon und Kellyanne Conway führende Rollen in der Kampagne übernehmen müssten. Diese fokussierten den Wahlkampf dann auf die alten Industrieregionen, was wiederum mehr Gelder einbrachte von Firmen in der Stahl- und Kautschukverarbeitung sowie im Maschinenbau und anderen Unternehmen, die sich von protektionistischen Maßnahmen Vorteile erhofften.
Peter Thiel, Mitbegründer von Paypal und des KI- und Datenanalyse-Unternehmens Palantier, trug mehr als eine Million Dollar bei, und auch aus anderen Teilen Silicon Valleys flossen nun große Summen, unter anderem von Chefs bei Microsoft sowie von Cisco Systems. Interessant war ebenso der Einstieg großer Private-Equity-Firmen, also des Teils der Wall Street, der feindliche Übernahmen zu einem Geschäftsmodell gemacht hat.
Offensichtlich hatte Trump 2016 noch sehr mächtige Gegner im kapitalistischen Lager: Nicht nur unter liberal orientierten Bankern und Unternehmern, sondern auch unter Kapitalisten, die traditionell rechte Agenden unterstützt haben. Die Koalition, die Trump unter dem Motto »America First« 2016 hinter sich vereint hatte, war also äußerst instabil und widersprüchlich. Sie bestand aus heterogenen Investorenblocks, die wenig gemein hatten außer einer starken Abneigung gegenüber der herrschenden Demokratischen Regierung. 2021 verlor Trump aufgrund des Sturms auf das Kapitol am 6. Januar stark an Glaubwürdigkeit in der Geschäftswelt, viele Unternehmer und deren Vereinigungen entzogen ihm seine Unterstützung, Facebook und Instagram sperrten seine Accounts.
2024: Bedrohung des Kapitalismus durch die Demokraten oder Bedrohung der Demokratie durch Trump?
Nach dem Kapitol-Sturm prognostizierten viele entweder ein Auseinanderbrechen der Republikanischen Partei oder die Wiederherstellung der alten Allianz zwischen christlichen Evangelikalen und moderaten Wirtschaftskonservativen. Stattdessen gelang es Trump, die Republikanische Partei komplett hinter sich zu bringen. Und nachdem die Wähler ihm bei den 2024er-Vorwahlen einen überwältigenden Erfolg bescherten, machte er den Vertrauensverlust wieder gut. Nach Trumps Wahlsieg titelte das Wall Street Journal in Vorfreude auf die versprochenen Steuersenkungen und Deregulierungen: »Die Wall Street geifert angesichts der Aussicht auf einen neuen Trump-Boom. Die gigantische Rally an der Börse am Mittwoch nach der Wahl verheißt laut Anlegern und Analysten enorme lukrative Chancen«.
Zugrunde liegt den nun akzelerierenden Kehrtwendungen bei Finanz- und Tech-Riesen ein schon länger gärender Unmut über Bidens Politik: Denn Bidens Besetzungen der Börsenaufsicht (Securities and Exchange Commission, SEC) und der Federal Trade Commission (FTC) bedeuteten strenge Regeln in Bezug auf Fusionen und Übernahmen. Die FTC hatte bereits 2020 ein Verfahren gegen Zuckerbergs Meta eröffnet, dem sie vorwarf, der Konzern habe mit dem Kauf von WhatsApp und Instagram 2014 potenzielle Konkurrenz ausgeschaltet und sein Monopol beim Betrieb sozialer Netzwerke unrechtmäßig aufrechterhalten. Risikokapital-Firmen wiederum reagierten kritisch auf Bidens Ernennung von Gary Gensler zum Vorsitzenden der SEC und von Lina Khan zur Direktorin der FTC. Praktisch jede der großen Tech-Firmen hat entweder Gerichtsverfahren am Hals oder konfrontiert Ermittlungen durch SEC oder FTC. Viele fanden, Bidens »techlash« ginge nun eindeutig weit genug und orientierten sich um.
Während die Medien (bis August) noch über »die bessere Beziehung von Harris zur Wall Street« titelten, flossen die Spendengelder und Unterstützungserklärungen von Wall Street, aus der Tech-Branche und vom Business Roundtable bereits in Richtung Trump – und zwar großzügiger als zuvor. Auch der reichste Mann der Welt, Elon Musk, wechselte nun zu den Großspendern für Trump, dessen Wahlkampf er fast 280 Millionen Dollar zukommen ließ. Er avancierte zu Trumps wichtigstem Berater und prospektiven Leiter des außerstaatlichen Department of Government Efficiency.
Neu in der republikanischen (diesmal breiter aufgestellten) Koalition sind die beiden jüngsten Branchen der Tech-Industrie: Kryptowährung und Künstliche Intelligenz. Allein die Lobby der Kryptoindustrie gab für diese Bundeswahlen 265 Millionen Dollar aus – fast so viel wie alle andern Kapitalgruppen zusammen, was ihnen half, mehr als 270 pro-Krypto Kandidaten in den Kongress zu platzieren. Der zentrale Verband der Industrie, die Blockchain Association, veröffentlichte noch vor der Wahl im November eine Wunschliste, in der sie ihre Forderungen an die neue Regierung deutlich machte: ein Ende der restriktiven Bankregeln für Krypto-Unternehmen, die Ernennung eines neuen Vorstands der Securities and Exchange Commission (SEC), Regulierung durch eine ihnen freundlicher gesonnene Behörde als die FTC, sowie neue Leitungen im Finanzministerium und bei der Steuerbehörde.
Nach Trumps Wahlsieg gab es kein Halten mehr. Der Meta-Chef Zuckerberg, der Trump zwei Jahre lang von Facebook verbannt hatte, war schon im Juli mit großem Lob für den Präsidentschaftskandidaten an die Öffentlichkeit gegangen. Die endgültige Versöhnung erfolgte sofort nach dem Wahlsieg, als eine Parade von Firmen- und Vorstandschefs nach Mar-a-Lago pilgerte: Neben Zuckerberg machten auch Tim Cook von Apple, Sundar Pichai und Sergey Brin von Google sowie der Amazon-Gründer Jeff Bezos, der sich früher ebenfalls nur kritisch über Trump geäußert hatte, dem neuen »König« ihre Aufwartung. Meta, Amazon, Uber, sowie Sam Altman von Open AI und der CEO des AI-Search-Startup Perplexity versprachen obendrein je eine Million für die Feierlichkeiten zur Amtseinführung am 20. Januar 2025. Allen erscheint es sinnvoll, sich mit der neuen Regierung gut zu stellen – wenn nicht aus Profitstreben und einer »guten amerikanischen Tradition« heraus, dann aus Furcht vor Trumps uneingeschränkter Macht oder dem Glauben, dass Widerstand zwecklos sei.
Entsprechend hat Trump nun der Tech- und Krypto-Branche versprochen, ihren Forderungen nachzukommen. Er hat einige ihrer Vertreter auf wichtige Posten platziert – wie den PayPal-Mitgründer Ken Howery, die beiden Venturecapitalists Scott Kupor und Sriram Krishnan, sowie den Tech-Boss David Sacks, der als »white house czar« für Krypto und Künstliche Intelligenz« zusammen mit anderen Neu-Besetzungen ein kryptofreundliches policy environment schaffen soll. Dazu gehört auch Paul Atkins, der seit langem fordert, auch Krypto-Währungen weniger zu regulieren. Ihn hat Trump zum Vorsitzenden der SEC, also der amerikanischen Börsenaufsicht, ernannt – als Nachfolger des in der Branche unbeliebten Gary Gensler.
III. Trump 2.0: Vorhaben und Widersprüche
Die zentralen Versprechen, die Trump auch schon zu seinem ersten Sieg verholfen haben und die er in diesem Wahlkampf intensivierte, entsprechen den breit geteilten (engen) Interessen sämtlicher Kapitalgruppen: Noch mehr Deregulierung für Unternehmen und noch massivere Steuersenkungen für Konzerne und Reiche. Bei sämtlichen anderen Vorhaben – ob in der Wirtschafts- und Handelspolitik, bei der Kontrolle der Migration oder beim geplanten Staatsabbau – herrscht innerhalb seiner Koalition weniger Einigkeit. Es zeigen sich schon jetzt materielle und/oder ideologische Gegensätze, von denen einige im Folgenden kurz beleuchtet werden.
Massenabschiebungen
Massenabschiebungen waren das Thema, mit dem Trump seine MAGA-Basis mobilisierte. Auch einige Wirtschaftssektoren würden von Trumps »Krieg gegen die Immigration« profitieren, insofern Arbeitskräfte, die in permanenter Furcht vor einer Abschiebung leben, kaum bereit sind für ihre Rechte zu kämpfen. Andererseits würde die Umsetzung dieses Wahlversprechens unabsehbare Kosten verursachen, und auch die Interessen mancher Kapitalgruppen negativ tangieren.
In manchen Schlüsselindustrien wie im Baugewerbe, wo fast 14 Prozent der Beschäftigten keinen legalen Status haben, sowie im Gastgewerbe und in der Landwirtschaft, würden die Arbeitsmärkte zusammenbrechen.
Der American Immigration Council berechnete für die Durchführung der Abschiebung von 11 Millionen ‚Papierlosen‘ 315 Milliarden Dollar. Selbst die Auswirkungen von Abschiebungen in kleineren Dimensionen auf die amerikanische Wirtschaft wären desaströs.
Während seiner ersten Amtszeit hat Trump kurzzeitig versucht, die Zahl »illegal« in den USA arbeitender Migranten über die Arbeitgeberseite zu reduzieren, also mittels Maßnahmen wie E-Verify, wobei die Unternehmen über die Sozialversicherungsnummern ihrer Beschäftigten sicherstellen müssen, dass tatsächlich nur solche mit Aufenthaltstiteln bei ihnen arbeiten. Wenn Trump ein solches – recht aufwendiges – Programm nicht ausweitet, wird er dieses Wahlversprechen nicht effektiv umsetzen können. Ein paar groß inszenierte PR-Razzien in Betrieben könnten seine Basis kurzfristig in Laune halten, aber den versprochenen Effekt, den die »America First«-Gruppen einfordern, würden sie nicht bringen.
Zölle, Handels- und Industriepolitik
Schon während seiner ersten Amtszeit hatte Trump mit dem Freihandels-Mantra gebrochen und mit seinem damaligen Handelsbeauftragten Robert Lighthizer damit begonnen, Handelspolitik zu völlig neuen Zwecken zu nutzen: Handel also nicht mehr nur mit dem Ziel, die bestmögliche internationale Arbeitsteilung möglichst effizient zu nutzen, sondern darüber auch diverse andere Zwecke zu realisieren – wie zum Beispiel die Senkung von Standards bei den Arbeitsbedingungen, das Reshoring verarbeitender Industrien in den mittleren Westen, überhaupt die Diversifizierung der ökonomischen Basis der USA. Biden führte Trumps Zölle auf bestimmte chinesische Produkte fort, und erhöhte sie sogar gegen Ende seiner Amtszeit von 25 auf 100 Prozent. Seine Ziele waren, damit nicht nur der chinesischen Exportindustrie einen Stich zu versetzen, sondern auch zur Erfüllung seiner Klimaziele beizutragen sowie durch den Schutz heimischer E-Auto-Produktion, Halbleiterindustrie und sauberer Energieproduktion industriepolitische Akzente zu setzen. Trump kündigte nun an, auf sämtliche eingeführte Waren Zölle zu erheben, sogar auf solche aus Mexiko und Kanada, mit denen er selbst 2018 ein Handelsabkommen abgeschlossen hat. Wie unter Biden sollen sie die heimische Produktion fördern, aber sie sollen auch die Handelsbilanzdefizite mit Partnerländern, vor allem mit China verringern; und sie sollen Geld in die Staatskasse bringen, um das Haushaltsdefizit verschwinden zu lassen, womöglich gar die Einkommenssteuern zu ersetzen. Teile der Wall Street jedoch sind in Sorge, dass eine solch harte Zollpolitik Handelskriege auslösen und letztlich zu Preiserhöhungen führen werde.
Wenn Trump und sein designierter Handelsminister Lutnick sich durchsetzen, werden die USA nicht für alle dann teureren Importe auch heimische Ersatzproduktion haben bzw. können sie nicht schnell genug ankurbeln. Außerdem verteuert sich auch die heimische Produktion, wenn Zölle die Preise von importierten Vorleistungsgütern erhöhen. China sitzt, vor allem was die Materialien betrifft, die in E-Autos und anderen elektronischen Geräten verbaut werden, schließlich am längeren Hebel. Verschiedene Kapitalgruppen sind also sehr unterschiedlich affiziert durch eine solche harte Zollpolitik. Selbst wenn sie sich einigen könnten: Die höheren Preise werden auf jeden Fall die Konsumenten treffen – grade jene, die in der neoliberalen Ära dank Billiggut aus Fernost besänftigt wurden.
Haushaltsdefizit
Im Steuerjahr 2024 haben die USA netto 882 Milliarden Dollar für Schuldzinsen ausgegeben – mehr als für das Militär. Durch die Senkung der Unternehmenssteuern wird Trump das Budgetproblem sogar noch verschlimmern. Unter anderem deswegen hat Trump Musk darauf angesetzt, mit einer neuen »Effizienzkommission« den Beamtenapparat in Washington zu verschlanken und damit auch das Defizit zu verringern. Musk schwebt vor, zwei Billionen Dollar aus dem 6,75 Billionen Dollar umfassenden Haushalt zu streichen. Die meisten Bundesbeschäftigten (drei Millionen) arbeiten direkt oder indirekt für das Verteidigungsministerium. Da sind Kürzungen aus Gründen der nationalen Sicherheit sowie ideologischen Gründen kaum möglich. Die beiden nächsten großen Departments sind Veterans’ Affairs (mit 400.000) und Homeland Security (mit mehr als 200.000 Beschäftigten). Auch in diesen Bereichen würden umfangreiche Kürzungen und Entlassungen bei den Trump-Anhängern nicht gut ankommen.
Das Bildungsministerium, schon seit Jahren im Visier der Republikaner, hat kaum mehr als 4.000 Mitarbeiter. Sein Budget von 45 Milliarden Dollar wird vor allem an lokale Schulen verteilt, etwa für sonderpädagogische Maßnahmen. Der Entzug solcher Mittel in benachteiligten ländlichen Regionen, die selbst kein Geld für solche »Luxus«-Programme haben, würde wiederum die Trump-Basis enttäuschen.
Außerdem verschlingen ganz andere Posten den Großteil des Haushalts: Allein die Altersvorsorge und Medicare, die Krankenversicherung für Rentner, kosten den Staat 2,1 Billionen Dollar jährlich. Trump hatte im Wahlkampf versprochen, diese äußerst beliebten Programme nicht anzutasten – doch darauf muss es wohl hinaus laufen.
Staatsumbau
Die Maßnahmen zur Reduktion des Haushaltsdefizits stehen in engem Zusammenhang mit dem vielleicht wichtigsten Vorhaben der neuen Regierung, dem massiven Ab- und Umbau des Staats.
Das 900-seitige Project 2025 wurde von der Heritage Foundation geleitet, an der Erarbeitung dieses Plans partizipierten mehr als hundert konservative Organisationen. Eine führende Rolle spielte Russell Vought, ein erzchristlicher Nationalist, der bereits in der ersten Trump-Regierung Direktor bzw. Vize-Direktor des Office of Management and Budget (OMB) war und danach das Center for Renewing America gründete. Er hat sich dem Ziel verschrieben, den »administrative state« mitsamt seinen zigtausenden Beamten abzuschaffen – und wird dies als neuer Chef des OMB umzusetzen versuchen. Das Amt gibt ihm schließlich die Möglichkeit »alles zu finanzieren, was wir mögen, und alles zu streichen, was wir nicht mögen“. Sämtliche administrativen Funktionen sollen von der Bundesregierung nach unten, auf einzelstaatliche und County-Ebenen übertragen werden. Ganze Ministerien und Behörden sollen aufgelöst werden – insbesondere das Justiz- und Bildungsministerium, das FBI, und die Umweltschutzbehörde EPA. Mit diesem extremen Schrumpfungskonzept steht der libertäre Flügel innerhalb Trumps Koalition potenziell im Widerspruch zur Wall-Street-Fraktion, denen die Erzielung höchster Renditen weitaus wichtiger als die Verschlankung des Staats ist.
Die Umsetzung des Project 2025 – und darauf ist das neue Team um Trump dieses Mal bestens vorbereitet – impliziert nicht nur Kürzungen einzelner Programme, sondern auch die Demontage einer Vielzahl staatlicher Funktionen und die Stärkung der Exekutive. Dieser Umbau soll insbesondere auf zwei Wegen umgesetzt werden: Erstens mit der Umwandlung von Karrierebeamten in nach politischen Kriterien Berufene. Das heißt, künftig werden statt Ingenieuren, Ärzten und sonstigen Professionellen dort politisch loyale Leute ohne fachliche oder juristische Expertise arbeiten. Das beträfe etwa 50.000 der mehrere Millionen umfassenden Karrierebeamten, die aufgrund ihrer mangelnden Kompetenzen tatsächlich Chaos anrichten könnten. Zweitens durch die Ermächtigung der Exekutive, mittels Aufhebung des Impoundment Control Act von 1974, werden die den Haushalt betreffenden legislativen Prozesse ausgehebelt, sodass die Exekutive eigenständig, unabhängig vom Kongress, über Ausgaben verfügen kann.
Eingesetzt um den Abbau zu organisieren und »überflüssige« Programme zu streichen, hat Trump Elon Musk, der ein außerhalb der Regierung angesiedeltes Department of Government Efficiency (DOGE), also ein informelles Beratungsgremium ohne eindeutig geregelte Kompetenzen leiten sollen. Würde er eine offizielle Regierungstätigkeit übernehmen, müsste er sich von seinen Firmen zurückziehen, dürfte dort also weder eine Führungsposition innehaben noch von seinen Investitionen profitieren. Im Fall von Musk hat das Verschwimmen von enormer privater und politischer Macht neue Dimensionen erreicht. Sein E-Auto-Konzern Tesla profitiert von hohen staatlichen Subventionen, sein Erfolg als Unternehmer hängt eng von der Klima- und Zollpolitik ab. Sein Raumfahrtunternehmen SpaceX lebt von Regierungsaufträgen. Seine diversen Firmen haben in den letzten 16 Jahren Aufträge im Wert von mehr als 20 Milliarden Dollar aus unterschiedlichen Ministerien erhalten.
Innerhalb von Trumps Regierungsteam zeichnen sich bereits jetzt Spannungen ab. Das generelle Ziel von Bürokratieabbau wird zwar einhellig unterstützt, aber es steht auch in Widerspruch zu Trumps Plänen für harte Zölle und eine restriktive Migrationspolitik sowie zu den Forderungen so mancher Großkonzerne in der Pharmaindustrie oder in der Landwirtschaft, die stark von umfangreichen staatlichen Subventionen für ihre Forschungs- und Entwicklungsabteilungen abhängig sind. Nicht zuletzt steht es in Widerspruch zu den Erwartungen der Basis, die sich eine familien- und arbeitnehmerfreundliche Politik Washingtons erhofft.
Die sich abzeichnende Transformation des US-amerikanischen Staatsapparats würde uns in ein anderes System katapultieren, zweifellos ein kapitalistisches, das nach wie vor einige neoliberale Züge trägt (z.B. Deregulierung) – aber eben auch durch fundamental neue, chaotisch-autoritäre Merkmale gezeichnet wäre. Es gibt keine Anzeichen für einen aus den Kapitalfraktionen hervorgehenden kohärenten pro-MAGA-Block, aber sehr wohl Indizien, dass der neoliberale Konsens der amerikanischen herrschenden Klasse weiter erodiert ist.
Beide politischen Parteien sind kapitalhörig, wobei sich die demokratische Partei eher zur Schaffung übergeordneter günstiger Voraussetzungen für das Prosperieren des US-Kapitals anbietet. Die Republikaner dagegen bedienen eher das engere Interesse des Kapitals an der Sicherung maximaler Renditen (indem sie versprechen, den Steuersatz für Konzerne zu senken oder die Öl- und Gasproduktion zu steigern). Mit dieser ‚Arbeitsteilung‘ sowie mit ihren jeweiligen ideologischen Schwerpunktsetzungen verprellen die Parteien jeweils auch bestimmte Kapitalgruppen. Offenbar meinen zurzeit gewichtige Teile der kapitalistischen Fraktionen, dass sie die Sicherung der Rahmenbedingungen für ihr Prosperieren gerade nicht so sehr benötigen.
Margit Mayer lehrte an der FU Berlin nordamerikanische und vergleichende Politikwissenschaft.
Der vorliegende Beitrag ist die gekürzte Fassung eines Artikels, der in der Zeitschrift PROKLA 218, Jg.55, Nr.1 im März 2025 erscheinen wird.