Joachim Hirsch
Bezogen auf den Angriff auf den Iran meinte Friedrich Merz, Israel leiste „für uns alle die Drecksarbeit“. Von Bundeskanzlern und -innen war man früher eine etwas zivilisiertere Wortwahl gewöhnt, aber Trump macht eben Schule. Dabei klingt der Ausdruck Drecksarbeit angesichts zehntausender sozusagen als Kollateralschäden ermorderter eher noch verharmlosend. Merz ist allerdings zugute zu halten, dass er damit eine Wahrheit ausgesprochen hat, die sonst geflissentlich verschwiegen wird, nämlich dass Israel bei seinem völkerrechtlich unzulässigen Angriff auf den Iran durchaus in „unserem“ Interesse handle. Und offensichtlich auch in dem der USA. Das tut es wohl auch bei seiner anderen Drecksarbeit, den Kriegsverbrechen in Gaza. Israel ist also ein Verbündeter, der Loyalität und Unterstützung beanspruchen kann, ungeachtet seiner autoritär-rechtsradikalen Regierung. Völker-, Kriegs- oder Menschenrecht dürfen dabei keine Rolle spielen. Es ist also durchaus folgerichtig, dass Merz den israelischen Premier Netanjahu ungeachtet eines Haftbefehls des internationalen Strafgerichtshofs als Staatsgast empfangen wollte oder Innenminister Dobrindt nach Israel reist, um sich über die Verwendungsmöglichkeiten neuester Überwachungstechniken zu informieren. Autoritäre Regierungen sind dabei nicht nur gute Ratgeber, sondern können auch die geeignete Software verfügbar machen.
Aber was ist nun eigentlich „unser“ Interesse? Wir hier in Deutschland werden weder von der Hamas noch vom Iran bedroht. „Interesse“ heißt offensichtlich auch mehr als einem bedrohten Land seinen Beistand zu versichern. Um was es im Kern geht, ist der Erhalt und die Stabilisierung einer Weltordnung, die Grundlage und Garant dessen ist, was Brand und Wissen als „imperiale Lebensweise“ bezeichnet haben, d.h. eine Produktions- und Konsumweise, die in einigen Metropolen einen relativen Wohlstand zu Lasten der globalen Umwelt und peripherer Regionen garantiert. Dazu bedarf es eines Blicks auf die geostrategische Situation. Diese ist durch eine wachsende Konkurrenz zwischen dem, was als „Westen“ bezeichnet wird – also vor allem die USA und Europa – und aufstrebenden Mächten wie vor allem China gekennzeichnet. Der Konflikt um die Kontrolle von Märkten, profitable Investitionsmöglichkeiten, Transportwege und nicht zuletzt um die Verfügung über strategische Rohstoffe wie seltene Erden intensiviert sich dadurch. In dieser Auseinandersetzung hat die Kontrolle des „Westens“ über den Nahen und mittleren Osten einen zentralen Stellenwert. Und diese garantiert eben die in der Region militärisch dominierende Macht: Israel. Was Merz mit „unserem“ Interesse meint, ist das des hier residierenden Kapitals und des privilegierten Bevölkerungsteils, der von dieser imperialen Situation profitiert. Um die anderen kümmert man sich ohnehin nicht mehr.
Damit kommen wir zum Antisemitismus. Dass dieser hierzulande zu einem zentralen öffentlichen Thema geworden ist, verdankt sich nicht nur der Besonderheit der deutschen Geschichte, dem Holocaust. Der die öffentliche Debatte überschattende Kampf gegen ihn hat einiges mit der „Drecksarbeit“ Israels zu tun. Eine Kritik daran und an seinen Hintergründen würde ein Licht auf die herrschenden ökonomischen und politischen Machtverhältnisse werden. Daher muss die Kritik an Israel, solange sie sich nicht auf einzelne Erscheinungen beschränkt (und sich in wohlwollenden Mahnungen erschöpft), sondern an die Wurzel geht, wenn nicht ganz unterbunden, so doch delegitimiert werden. Der dabei ins Spiel gebrachte Terminus ist „israelbezogener Antisemitismus“, der es gestattet, jede Kritik an diesem Staat als antisemitisch zu bezeichnen und daher zu bekämpfen. Eine Vielzahl entsprechender Demonstrations- und Veranstaltungsverbote legt davon Zeugnis ab. Kampf gegen Antisemitismus ist damit zu einer zentralen Herrschaftsideologie verkommen, die nicht nur staatliche Repressionen, sondern auch weite zivilgesellschaftliche Prozesse bestimmt. Nur ein Beispiel: einen Raum für ein in Frankfurt geplantes Gaza-Solidaritätskonzert von Michael Barenboim zu bekommen, erwies sich als äußerst schwierig und wurde erst nach langen Verhandlungen möglich. Anderswo ging und geht es weniger gut aus. Bedenklich ist nicht zuletzt, dass die Verwässerung des Antisemitismusbegriffs zu Herrschaftszwecken eine Dynamik beinhaltet, die diesen auch noch befeuert. So stabilisieren sich Herrschaftsideologien selbst.