von Aram Ziai
Seit zu Beginn des 21. Jahrhunderts post- und dekoloniale Perspektiven, die sich mit dem Kolonialismus und seinen Nachwirkungen beschäftigen, in den deutschsprachigen Geistes- und Gesellschaftswissenschaften zunehmend Anerkennung fanden, wuchs – sicher auch beeinflusst von den zahlreichen postkolonialen Städteinitiativen – das Interesse der deutschen Öffentlichkeit an diesem Thema (s. Prokla Nr. 158). Dies hat sich im letzten Jahrzehnt noch verstärkt, unter anderem durch die Rezeption internationaler Debatten um Black Lives Matter und Rhodes Must Fall, aber auch durch die offizielle Anerkennung des Völkermords an den Herero und Nama seitens der BRD 2021. Der Historiker Sebastian Conrad (2022: 31) spricht von einer „Aufmerksamkeitsexplosion“ für die koloniale Vergangenheit. Parallel dazu lässt sich als Reaktion eine revisionistische Gegenbewegung beobachten, getragen von konservativen und rechten Publizist*innen, Politiker*innen und Politikwissenschaftler*innen, die mal die Befreiung vom Kolonialismus als eine Katastrophe darstellen (Stein 2015), mal eine Rekolonisierung fordern (Martenstein 2015) oder den Kolonialismus generell als eine legitime und für die Kolonisierten vorteilhafte Herrschaftsform ansehen (Gilley 2019).