Kriegskapitalismus

Joachim Hirsch

Ex-Bundeskanzler Scholz hatte eine „Zeitenwende“ bereits anlässlich des Ukrainekriegs ausgerufen, was heißen soll, dass nun wieder massiv aufgerüstet wird, die angenehmen Zeiten vorbei sind und der Gürtel wieder enger geschnallt werden muss. So richtig geklappt hat es damals noch nicht, weil die FDP in der Ampelkoalition sich einer Aufweichung der Schuldenbremse – die im Übrigen eine Ursache des katastrophalen Zustands der Infrastruktur und des Bildungswesens hierzulande ist – widersetzt hatte. Dann kam der Bruch der Ampel und Trump, der den NATO-Vertrag zwar noch nicht aufgekündigt hat, aber doch in Frage stellt. Was heiße, dass Europa sich nun allein gegen die russische Aggression verteidigen müsse. Damit war der Weg offen nicht nur für ein gewaltiges Aufrüstungsprogramm, das die zukünftige Regierung von Union und SPD vorhat, sondern auch zu immer stärker werdenden Bestrebungen zur Wiedereinführung der Wehrpflicht. Möglich wurde dies dadurch, dass Bundeskanzler in spe Merz mit einer 180-Grad Wende gegenüber seinen Wahlversprechen eine unbegrenzte Verschuldung des Staates für Rüstungsausgaben nun für richtig hält. Ergänzt wird dies durch die geplante Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland, die eine massive Bedrohung Russlands darstellen. Früher hat ein ähnliches Vorhaben der Friedensbewegung Auftrieb gegeben. Davon kann heute kaum mehr die Rede sein. Auch das ist eine Zeitenwende.

Dem ins Stocken geratenen kapitalistischen Wachstum kann die Aufrüstung erst mal guttun, und wohl denen, die rechtzeitig in Rüstungsaktien investiert haben. Die Last der zurückzuzahlenden Schulden und der in die Höhe schießenden Zinsen tragen vor allem spätere Generationen. Und schon jetzt zeichnet sich ab, wo künftig gespart werden muss: vor allem bei den Sozialausgaben. Nun ist es so, dass der Kapitalismus immer mal wieder Kriege brauchte, um Krisen zu überwinden. Ihre Zerstörungen ermöglichen profitablen Wiederaufbau, schaffen neue Anlagemöglichkeiten und erzeugen gesellschaftliche Umwälzungen, die entstandene „Anspruchshaltungen“ zunichte machen.

Die Frage ist, woher die Kriegsgefahr nun eigentlich droht. Die offizielle und praktisch medienweit geteilte Ansicht sieht sie von Putins Russland ausgehen. Eine massive Invasion Europas wäre für dieses Land, das schon durch den Ukrainekrieg an seine wirtschaftlichen und militärischen Grenzen gestoßen ist, ziemlich riskant. Dazu kommt, dass selbst der europäische Teil der NATO bereits jetzt Russland militärisch deutlich überlegen ist, wie der Bundeswehroberst a.D. Wolfgang Richter, der im Gegensatz zu vielen selbsternannten als Abrüstungsbeauftragter Experte auf diesem Gebiet ist deutlich gemacht hat (https://www.youtube.com/watch?v=CdbDLEuxR1k). (Vgl. dazu auch den Beitrag von Jens Wissel auf dieser Seite). Putin kalkuliert im Gegensatz zu dem Autokraten auf der anderen Seite des Atlantiks wohl eher nüchtern. Was bei den gängigen Bedrohungsszenarien regelmäßig weggelassen wird ist der Umstand, dass der russische Angriff auf die Ukraine eine Reaktion auf die schon länger betriebene und absprachewidrige Osterweiterung der NATO war. Mit der beabsichtigten Aufnahme auch dieses Landes in das Militärbündnis wurde für Russland wohl eine rote Linie überschritten. Das ändert nichts daran, dass der Angriff völkerrechtswidrig ist und mögliche Verhandlungsspielräume nicht genutzt wurden. Für die Einschätzung von Russlands Aggressionsbereitschaft ist dieser Hintergrund dennoch wichtig.

Für das deutsche und europäische Aufrüstungsvorhaben muss es also andere Gründe geben. Sie liegen in einer veränderten geopolitischen und geostrategischen Situation, die durch den Aufstieg Chinas und das Ende der Hegemonie des „Westens“ gekennzeichnet ist. Die Politik Trumps ist auch als eine Reaktion auf den sich schon länger abzeichnenden Niedergang der US-Hegemonie zu verstehen und verstärkt diese weiter. Dazu kommt das Bestreben wichtiger Staaten der ehemals „dritten“ Welt, sich der Logik der Blockkonfrontation zu entziehen und als eigenständiger Machtfaktor zu etablieren. Das internationale System ist also multipolar geworden und für Europa stellt sich die Frage, wie es darin noch eine Rolle spielen kann. Nachdem die militärische Zusammenarbeit des „Westens“ brüchig geworden ist, gilt die militärische Aufrüstung als zentraler Hebel um international noch eine bedeutsame Rolle spielen zu können. Dieser Aspekt spielt in der öffentlichen Diskussion überhaupt keine Rolle. Und ebenso wird verschwiegen, was es bedeutet, wenn Deutschland als ökonomisch führende Macht nun auch militärisch – zumindest in konventioneller Hinsicht – in Europa wieder führend zu werden droht. Jürgen Habermas hat darauf hingewiesen, dass die Stabilität des europäischen Systems nur dann gewährleistet wäre, wenn die Militär- und Rüstungspolitik entnationalisiert und wirklich vergemeinschaftet würde (Süddeutsche Zeitung Nr. 68, 22./23.März 2025). Dem steht die aktuelle und erwartbare deutsche Politik diametral entgegen. Für die Rolle Europas im veränderten internationalen System sieht es also nicht besonders gut aus.