Der Krieg mit dem Iran und das neue alte Gesicht des Nahen Ostens

Michael B. Elm (Tel Aviv)

Was mit dem Massaker des 7. Oktobers begann, ist nun in seine Endphase getreten. Die direkte militärische Konfrontation von Israel mit dem Iran bezeichnet das Ende der Stellvertreter- und Schattenkriege und bestimmt die Anfänge eines neuen Nahen Ostens. Wie dieser aussehen wird, lässt sich aufgrund der Vielzahl der staatlichen Akteure und der Unvorhersehbarkeit des Kriegsgeschehens nicht vorhersagen. Die Zerschlagung der ‚Achse des Widerstands‘ der Iranverbündeten in Syrien und Libanon eröffnet neue Perspektiven für die Region, allein die dafür verantwortlichen US-amerikanischen und israelischen Akteure bringen autoritäre Hypotheken ein, die nicht optimistisch stimmen können. Der Artikel zieht eine Zwischenbilanz, die einen Rückblick auf einige zentrale Stationen des bisherigen Geschehens beinhaltet und eine Einschätzung ermöglicht, welche Szenarien sich für die israelische Situation ergeben.

Für Netanjahu erfüllt sich mit dem Angriff auf den Iran eine politische Lebensmission. Dieser hatte sich schon immer als israelischer Winston Churchill imaginiert, der einen atomaren Holocaust abwendet. Das betonte er denn auch in seiner Ansprache zum Kriegsbeginn gegen den Iran und äußerte neben der Eliminierung der atomaren und ballistischen Kapazitäten den Wunsch, einen Regimewechsel im Iran anzustoßen. Letzteres klingt in den Ohren der westlichen Verbündeten plausibel, wurde von den meisten Experten aber als unrealistisch oder kontraproduktiv eingestuft. Für die israelische Regierung ging es zu diesem Zeitpunkt vorrangig darum, durch eine Radikalisierung der Kriegsziele und des damit verbundenen Kriegsverlaufs die USA in den Krieg einzubeziehen. Das diplomatisch-politische Tauziehen um den Einsatz der schweren bunkerbrechenden US-amerikanischen Waffen war in vollem Gange. Die Äußerungen von Außenminister Katz, die den Obersten Anführer Chameini mit Hitler gleichsetzten, verfolgten denselben Zweck.

Und in der Tat gelang es, die Trump-Regierung zum Einsatz der B2-Bomber zu bewegen. Ausschlaggebend dafür dürften die anfänglichen Erfolge der israelischen Militäroperationen gewesen sein, die Trump erlaubten ohne allzu großes Risiko, den Einsatz der Bomber zu beordern. Damit konnte er sein zuletzt angeschlagenes Image als TACO-Trump (Trump Always Chickens Out) aufpolieren, und musste lediglich Teile der noch stärker isolationistischen MAGA-Bewegung in die Schranken verweisen. Seine Ausrufung eines Waffenstillstandes zum 24.06.2025 und die Benennung des Krieges als ‚12 Days War‘ zeigen, dass er einerseits den ökonomischen und inflationären Druck fürchtet, der mit einer Verstetigung der Kriegshandlungen zu erwarten ist und andererseits eine Spaltung der MAGA-Bewegung verhindern will. Wie stabil die Annahme des Waffenstillstands in Teheran und insbesondere Jerusalem ist, muss sich noch zeigen. Israel dürfte vor allem darauf drängen, dass das hochangereicherte Uran das Land verlässt. Andernfalls kann Netanjahu kaum glaubhaft versichern, den Bau einer Bombe verhindert zu haben. Umgekehrt droht dem Regime in Teheran ein Diktatfrieden, den es langfristig innenpolitisch kaum überleben dürfte. Letzteres liegt im Interesse der westlichen Staaten und Israels. Insofern sind bei den nun hoffentlich wiedereinsetzenden Verhandlungen die Spielräume aller Beteiligten sehr begrenzt. Zu bedenken ist bei diplomatischen Waffenstillstandsverhandlungen generell, dass ein vorschnelles Einlenken als Schwäche gewertet wird, das weiteren Angriffen Vorschub leistet. Im vorliegenden Fall war das wechselseitige Vertrauen der Verhandlungspartner von Anfang an bei null und hat sich durch die israelisch-amerikanischen Täuschungsmanöver in unmessbare Minuswerte zurückgezogen. Ein Scheitern der Verhandlungen und die Wiederaufnahme von Kriegshandlungen wäre keine Überraschung.

Von den jüngsten Ereignissen aus gesehen wird gleichzeitig klar, dass der 7. Oktober und die Geiselnahmen für die maßgeblichen Akteure nur eine Zwischenstation in einem größeren Konflikt ausmacht. Dessen Timing durch Yahya Sinwar wurde innerhalb der ‚Achse des Widerstandes‘ nicht abgestimmt, um den Überraschungseffekt für die Hamas nicht zu gefährden. Die Hisbollah im Libanon und das Regime im Iran unterstützten das mörderische Massaker, ließen sich aber nicht direkt in die Kriegshandlungen verwickeln. Auf israelischer Seite wurden die Kriegshandlungen nach anfänglichem Zögern – jenseits der Scharmützel an der libanesischen Grenze – ebenfalls auf den Gazastreifen beschränkt. Bekanntermaßen waren die Verhinderung eines Normalisierungsabkommen zwischen Israel und Saudi-Arabien sowie die regionale Ausweitung des Krieges explizite Ziele des Hamas Massakers und der Geiselnahmen. Beides gelang, letzteres aber mit anderen Resultaten als die Hamas sich das vorstellte. Die Ausschaltung der iranischen Proxys im Libanon und Syrien war die Vorbedingung für den jetzigen Angriff auf den Iran. Wer den Angriff des Irans im April 2024 auf israelische Militärbasen mit 300 Raketen und Drohnen mitverfolgte (oder miterlebte), konnte nicht daran zweifeln, dass es im strategischen Interesses Israel lag, die militärischen Kapazitäten von Hisbollah und dem Regime in Teheran möglichst getrennt voneinander zu eliminieren. Israelische Analysten waren davon ausgegangen, dass allein die Hisbollah in der Lage wäre, die israelische Infrastruktur für mehrere Wochen lahmzulegen und tausende Todesopfer zu fordern. Notstromaggregate waren im letzten Frühjahr in Israel ausverkauft. Bislang hatte keine US-Administration grünes Licht für die geopolitisch heikle Attacke gegen den Iran gegeben. Das änderte sich erst unter Trump. Nun war man aufgrund der oben benannten Lage dazu bereit, sich an dem Täuschungsmanöver zu beteiligen, der der israelischen Seite ein Überraschungsmoment verschaffte.

Die Diskussion in Deutschland, dass man dabei gegen Völkerrecht verstoßen habe, bedarf der Kontextualisierung. Sicher ist es richtig, dass die Rechtfertigung von Angriffskriegen aufgrund einer wachsenden Bedrohung durch den tatsächlichen oder vermeintlichen Gegner zu den ältesten Kamellen der Kriegsgeschichte gehört. In der gegenwärtigen politischen Situation ist nach der Preisgabe des Prinzips der territorialen nationalstaatlichen Souveränität durch Trumps Äußerungen zur Ukraine, Gaza oder Grönland zudem höchste Vorsicht geboten. Völkerrechtliche Standards sind als historische Lektionen zweier Weltkriege gegenüber den neoimperialen Tendenzen zu verteidigen und offenkundig sind die geopolitischen Allianzen von Iran-Russland und Israel-USA selbst in diese Rechtsbrüche verstrickt. Es ist im konkreten Fall allerdings das fundamentalistisch schiitische Regime, das dem ‚zionistischen Gebilde‘ seit Jahren damit droht, es von der Landkarte zu tilgen, und durch den Aufbau von regionalen Allianzen der Entwicklung eines Raketenprogrammes sowie der Atomoption die konkreten Voraussetzungen dafür geschaffen hat. Die geheimdienstliche Lagebeurteilung, dass man noch etwa ein Jahr von einer Bombe entfernt sei – die aufgrund der fahrlässigen Aufkündigung des JCPOA[1] 2018 durch Trump und Netanjahu ein durchaus hausgemachtes Problem bezeichnet – kann als realistisch gelten. Bereits im Februar 2024 äußerte der ehemalige Vorsitzende der iranischen Atomenergiebehörde Ali Akbar Salehi im Staatsfernsehen, dass der Iran alle Komponenten einer Bombe beisammenhabe. (Avner Cohen, Haaretz 21.03.2024) Die Aussage wurde von offizieller Seite niemals dementiert. Solche indirekten Verlautbarungen werden in der internationalen Atomdiplomatie dazu genutzt, den Status als atomares Schwellenland bekannt zu geben. Nun kann man sagen, ein Jahr ist viel Zeit, übersieht dabei aber, dass einerseits der margin of error (falls die geheimdienstlichen Informationen nicht stimmen) extrem gering ist und wichtiger noch, dass es für beide Länder nur eine Frage des Zeitpunktes war, wann die Stellvertreterkriege in eine direkte Auseinandersetzung übergehen. Die Kampfhandlungen seit dem 7. Oktober sind nicht ohne aktive Unterstützung der Iraner denkbar und der wiederholte offene Schlagabtausch der beiden Länder im letzten Jahr dürfte auch völkerrechtlich gesehen nahe am Kriegszustand liegen. Die israelische Seite hat einen für sie günstigen Zeitpunkt gewählt, die Kampfhandlungen (wieder) zu eröffnen. Sicher hat Netanjahu damit auch Innenpolitik betrieben, indem er von Gazakrieg, Geiselnahme, Gerichtsprozessen und Koalitionskrise ablenkte.

Die Gefahr des Sieges – Triumphalismus

Ein kurzer Blick in die Kristallkugel der israelischen Politik lässt unschöne Szenarien erahnen. Kassandra-Rufe wie des Parteivorsitzenden ‚Der Demokraten‘ Yair Golan (Haaretz 18.06.2025), dass man es nicht versäumen dürfe, die militärischen Erfolge in nachhaltige regionale diplomatische und politischen Resultate umzuwandeln, die auch die palästinensische Situation berücksichtigen, dürften ungehört verhallen. Stattdessen steht man davor, die Fehler vom Siegesrausch des Sechs-Tage-Krieges zu wiederholen, wie Golan betont. Keine Gebietsverzichte zugunsten politischer Lösungen. Bei Golan klingt das so, als ob dies eine realistische Option israelischer Politik sei. Die tiefreichenden innerisraelischen Zerwürfnisse, die trotz Krieg und Geiselnahme, keine Moderierung erfahren haben, geben unter der Ägide einer zunehmend autoritäreren USA einen anderen Kurs vor. Die militärischen Erfolge werden in Israel mehrheitlich als eine Bestätigung der rechten Doktrin vom ‚ewigen Leben mit dem Schwert‘ aufgefasst. Weitere Gebietsnahmen in der Westbank und die Fortführung des unsäglichen Krieges in Gaza müssen als wahrscheinlich gelten. Schon jetzt ist es gelungen, die barbarischen Verhältnisse und das tägliche Sterben in Gaza weitgehend aus den Nachrichten zu verdrängen. Die Hoffnung der moderaten israelischen Kräfte, dass mit der Zerschlagung der ‚Achse des Bösen‘ (Terminologie Netanjahu) und einer möglichen Erweiterung der Abraham Accords auch der Autoritarismus im eigenen Land schwindet, schillert bunt wie eine Seifenblase in der Wüstensonne. Ein Szenario ist, dass Netanjahu einen Gaza-Deal anstrebt, die extreme Rechte löst die Koalition auf und die anschließenden Neuwahlen schaffen Raum für Verhandlungen mit dem Iran. Das würde den Konflikt um das iranische Raketen- und Atomprogramm zum Wahlkampfthema machen und die Katastrophe des 7. Oktobers als eine Vorstufe zu einer unvermeidlichen Auseinandersetzung erscheinen lassen. Zwei riesige Pluspunkte in der Gunst um die rechte Wählerschaft. Im Falle von ungünstigen Umfragewerten könnten man die Verhandlungen mit dem Iran torpedieren und durch die Veränderung der Sicherheitslage den Wahltermin hinauszögern. Der Fortsetzung des hiesigen Autoritarismus stünde kaum etwas im Wege. Netanjahus vermehrte Auftritte in der israelischen Öffentlichkeit seit dem Krieg mit dem Iran deuten eine solche Strategie an.

Es ist daher mehr als die Punchline eines Artikels oder eine historische Ironie, wenn man festhält, dass auch ein liberal-demokratischer Iran, unter den derzeitigen Verhältnissen kein Freund der israelischen Regierung wäre. So wie es richtig war, im Moment dieser regional entscheidenden Auseinandersetzung Israel zu unterstützen, müssten die Verbündeten von Saudi-Arabien, den USA bis zu den europäischen Ländern auf eine diplomatisch-politische Lösung der Probleme in Nahost drängen. In Israel selbst ist man geneigt, speziell im Verhältnis zu den Palästinensern autoritäre Antworten fortzusetzen. Die Hoffnung, dass sich mit der Überwindung der ‚Achse des Widerstandes‘ die Neuausrichtung emanzipativer Verhältnisse verbinden, setzt die Bearbeitung des inneren Autoritarismus voraus. Weder die Katastrophe des 7. Oktobers noch die jüngsten militärischen Erfolge werden im vorherrschenden politischen Diskurs dahingehend ausgelegt.


[1] Der Joint Comprehensive Plan Of Action war ein Abkommen zwischen dem Iran und China, Russland, Großbritannien, Frankreich, der EU und den USA, das 2015 unter Federführung von Barack Obama zur Kontrolle des Atomprogrammes unterzeichnet wurde.